L I: Jes 2, 1-5 / Ev.: Mt 24, 37-44 (Kf)
Schwestern und Brüder!
(Schweigen) Diese Stille passt Ihnen nicht wirklich – stimmt‘s? Sie warten auf etwas. Aber worauf eigentlich? Dass wir endlich wieder die altvertrauten Adventslieder singen und in vorweihnachtlichen Emotionen schwelgen? Dass ich Ihnen was Kluges zum Advent sage oder Ihnen ein paar wohltuende Gedanken mit auf den Weg in diese Vorweihnachtszeit gebe? Warten, das spüren wir nicht nur in so Momenten der Stille, das ist mitunter etwas überaus lästiges, nervtötendes und macht mitunter unsagbar ungeduldig. Dabei müssen wir Menschen ja ständig warten. Gar nicht auszudenken, wie viel Stunden tagtäglich auf dieser Erde „verwartet“ werden. Doch ich kann Sie beruhigen. Mir geht es da kein Haar anders als wohl den meisten von Ihnen. Auch ich tue mich immens schwer mit dem Warten und vielleicht ist das sogar der Punkt, an dem ich mich immer wieder neu einüben und Geduld bei mir selber anmahnen muss. Gelegenheit dazu gibt es wahrhaft genügend:
Da hat sich z.B. jemand um 11 Uhr vormittags zum Gespräch angesagt. Es wird 11.10 Uhr – keine telefonische Absage; es wird 11.20 Uhr – nichts – aber: kurz vor halb zwölf kommt besagte Person bestens gelaunt, wundert sich wahrscheinlich weil ich mit einem dicken Hals kurz angebunden bin und hält es noch nicht mal für nötig, diese knapp halbstündige Verspätung auch nur zu erwähnen geschweige denn, sich dafür zu entschuldigen. Dass ich mich bei einem solchen Gespräch zuerst neu finden, innerlich beruhigen und sammeln muss, das brauch ich wohl nicht extra zu erwähnen.
Oder nehmen wir den Gang zur Post, zur Bank oder auch mal zu einer Behörde. Ich mach mich rechtzeitig auf den Weg, in der Hoffnung einer der ersten am Schalter zu sein. Dann beginnt die Parkplatzsuche. Endlich fündig geworden freu ich mich darauf, das Ganze schnell abhaken zu können. Denkste! Zuerst einmal Kärtchen ziehen und warten, obwohl überhaupt keine andere Person weit und breit zu sehen ist. Also: Ich warte und warte – und wundere mich, dass mir nicht der Kragen platzt. Aber man gewöhnt sich ja an vieles; und die Titel, die mir währenddessen für die überaus motivierten Bediensteten einfallen und durch den Kopf gehen, die spreche ich besser nicht laut aus, denn sonst könnte ich wahrscheinlich in einem solchen Moment auf der Stelle kehrt machen.
Diese Beispiele ließen sich jetzt beliebig fortsetzen, und vieles davon kommt ihnen wahrscheinlich auch mehr als vertraut vor: Z.B. die endlose Zeit im Wartezimmer eines Arztes; das Warten auf den Morgen in schlaflosen Nächten; die Ungeduld, bis die Post die bestellte Ware bringt; manchmal auch das Hin- und Herrutschen auf der Kirchenbank, weil der Prediger da vorne mal wieder kein Ende findet usw. Warten – ich glaube das empfinden viele von uns so – macht wirklich keinen Spaß, sondern kann manchmal eine richtige Tortur sein. Und weshalb? Weil es für unser Empfinden vertane Zeit ist, die wir da opfern. Oder um es mit einem uns vertrauten Bild zu sagen: Wartezeit ist eine Zeit, in der wir uns oft im Kreis drehen wie ein Flugzeug, das über dem Flughafen Warteschleifen dreht, bis es endlich landen kann. Außer unnötigen Abgasen kommt dabei aber nichts heraus. Genau deshalb ist es aber auch kein Wunder, dass wir das Warten vermeiden wollen, wo immer uns dies möglich ist.
Wer jetzt allerdings behauptet, dass dies eine typische Zeiterscheinung sei und die Menschen heute einfach nicht mehr Warten könnten, dem halte ich entgegen: Das war schon immer so. Zumindest erging es den Leuten zur Zeit des Evangelisten Matthäus kein Haar anders, wie es uns das heutige Evangelium deutlich macht. Worum ging es damals? Jesus hatte allem Anschein nach erwartet, dass der „Tag des letzten Gerichts“, schon bald anbrechen würde. Wer das Evangelium aufmerksam liest, stößt da auf einige Stellen, die nämlich genau das belegen. So heißt es z.B. im 16. Kapitel: „Amen, ich sage euch: Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht erleiden, bis sie den Menschensohn in seiner königlichen Macht kommen sehen.“
Natürlich waren auch die Freundinnen und Freunde Jesu von dieser „Naherwartung“ überzeugt, genauso übrigens wie auch der „Völkerapostel“ Paulus. Deshalb war es eigentlich nur logisch und konsequent, dass viele genau aus dieser Stimmung heraus ihr „Hab und Gut“ verkauften, um sich durch Armenspenden rechtzeitig den Himmel zu sichern. Und: es ist dann letztlich auch nur konsequent, in einer solchen Situation auf Trauungen oder das Zeugen von Kindern zu verzichten, wie Paulus es im 1. Korintherbrief den Menschen rät.
Nun gab es bei dieser ganzen Entwicklung allerdings einen großen Haken. Das Ende der Welt blieb nämlich aus; Jesus kam nicht wieder und vom „Tag Jahwes“, vom Endgericht, war weit und breit keine Spur! Sie erinnern sich: Als Matthäus sein Evangelium niederschrieb waren gut 50, 60 Jahre seit Jesu Tod und Auferstehung vergangen. Keinem Menschen kann man ein solch langes Warten zumuten, zumal ja auch die Lebenserwartung der Menschen damals weitaus geringer war als dies heute der Fall ist. Von daher ist es verständlich, dass der Gedanke an den Tag „X“, die baldige Wiederkehr Jesu in den Gemeinden der Matthäuszeit immer mehr und mehr verblasste. Sorglosigkeit machte sich breit – vergleichbar mit einer Schule, an der der angekündigte Schulratsbesuch, der schon seit Wochen angekündigt war, immer noch auf sich warten lässt. Kollegin Y, die zu diesem Anlass wirklich gute Schulstunden vorbereitet hat, verfällt langsam wieder in ihren alten Trott und die älteren Schüler erscheinen allmählich auch wieder unpünktlich zum Unterricht. Mit einem Wort: Es läuft alles wieder seinen
gewohnten Gang.
Der Seelsorger Matthäus möchte aber genau diesem Empfinden der Menschen damals und heute entgegenwirken. Ihm geht es darum deutlich zu machen, dass Menschen anscheinend mitten am Tag schlafen, obwohl sie doch rein körperlich wach sind; essen, trinken. Vielleicht ist es ihnen ja auch schon so ergangen, dass Sie hinter dem Lenkrad Ihres Autos saßen und irgendwie nicht so recht bei der Sache waren – und schwupp wurde die richtige Ausfahrt verschlafen oder Sie haben Bekanntschaft mit dem Straßengraben gemacht. So was gibt es immer wieder und das nicht nur beim Autofahren. „Ach das hab ich gar nicht gesehen!“; „Das ist mir total entgangen!“, das sind typische Aussagen von uns, wenn wir mal wieder vor uns hingeträumt haben, anstatt wirklich aufmerksam und wach zu leben.
Die Palette dessen, was alles im Leben einschläft, wenn man nicht aufmerksam und wach für die Zeichen ist, die einen warnen oder eine Entscheidung verlangen, die ist schier unendlich. Da können einem eben nicht nur Hände und Füße einschlafen, sondern auch die Aufmerksamkeit dafür, was um einen herum passiert. Da kann die Liebe zum Partner oder zur Partnerin einschlafen oder auch der Glaube selig und sanft entschlummern. Nur – eine selige Sache ist das dann nicht, sondern wie die Tage des Noah beweisen, eine höchst gefährliche und lebensbedrohliche Sache. Mensch, wach doch auf! Merkst du denn nicht, wo das alles hinläuft? Das ist für mich ein sehr adventlicher Ruf. Denn wer einfach so vor sich hinlebt oder sich so durchs Leben „wurschtelt“, der verschläft eben nicht nur die Stunde, in der Christus zu ihm kommt, sondern über den geht schließlich das gesamte Leben hinweg wie eine Flutwelle, die alles nur verschlingt. Leben ist doch nicht etwas, das automatisch und garantiert gelingt. Nein, es bedarf viel-mehr der Aufmerksamkeit für die Zeichen der Zeit; es bedarf eines wachen, adventlichen Menschen, damit wir Christus wahrnehmen, der uns oft ganz
unscheinbar, aber der uns täglich begegnen kann.
So wie Matthäus auf diese Art und Weise seine des Wartens müde gewordene Gemeinde wachrütteln will, so will er auch uns heute mit dieser Botschaft wachrütteln. Denn allzu langes Warten – das wissen wir aus eigener Erfahrung – schläfert ein. Man entwickelt dann Verdrängungsstrategien; lullt sich ein in falsche Sicherheit und Pseudo-Lebensinhalte und verdrängt so die wahre Suche nach dem Sinn des Lebens; und eine gewisse Sorglosigkeit und Unbekümmertheit macht sich breit und man begnügt sich mit dem, was vergänglich ist. Könnte es denn nicht sein, dass täglich, ja stündlich der Tag „X“ hereinbrechen kann – nicht so sehr für die ganze Erde, aber doch vielleicht für mich ganz persönlich? Eine falsche Lenkbewegung am Steuer, eine kleine Nachlässigkeit am Arbeitsplatz, das Verdrängen von Gesundheitsproblemen, eine kleine Krebsgeschwulst…
Ich möchte niemandem Angst machen – beim besten Willen nicht. Wer mich kennt weiß, dass mir solche Gedanken fremd sind. Schon allein deshalb, weil viele in unserer Kirche dies jahrhundertelang getan haben und ich keinesfalls in diese Fußstapfen treten will. Aber: eine erhöhte Wachsamkeit und ein tiefes Vertrauen in die unendliche Liebe Gottes, das gehört für mich beides untrennbar zusammen und beides erfordert von mir – von uns allen – ein geduldiges, ein vertrauendes, aber auch ein beharrliches Warten.
Advent – nur eine hektische Vorbereitungszeit auf das grandiose Fest – oder vielmehr eine Lebensaufgabe, damit mir das Ziel und die Vollendung meines Lebens nicht aus den Augen gerät? Wir haben die Wahl – vielleicht nutzen uns ja die kommenden Tage, uns ganz bewusst zu entscheiden.
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Erstellt am: 02.12.2013 11:05 Uhr