von Pfarrer Andreas Knüpffer
Gospelgottesdienst
Kanzelgruß
Predigttext: 1. Mose 1,1-2,4 – in Auszügen:
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.
4 Und Gott sah, dass das Licht gut war.
26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.
27 Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.
28 Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
29 Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.
30 Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so.
31 Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.
2,1 So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer.
2 Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.
3 Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.
4 So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden.
„Und siehe, es war sehr gut!“ Liebe Gemeinde! So lautet die biblische Bilanz nach Gottes Schöpfungswerk. War es wirklich sehr gut? Ist der Mensch wirklich über jede Kritik erhaben, so dass man ihn zu Recht ein Ebenbild Gottes nennen kann?
Der Arzt und Dichter Gottfried Benn kommt zu einem anderen Schluss: „Der Mensch ist kein höheres Wesen. Was wir erreichten, war in weitem Umfange das Überhebliche, Hybride und Dumme.“ Und hier hat nicht ein Pessimist schlecht geträumt, sondern Benn hat nur genau hin geschaut und dann formuliert, was durch Welt- und Zeitgeschichte hundertfach belegt ist. Und Gottfried Benn ist nicht der einzige, der das Bild vom Menschen dunkel ausmalt.
Konrad Lorenz, der große Verhaltensforscher, der – wie der Arzt Benn – eine Menge vom Menschen weiß, gesteht in seinem Buch „Das sogenannte Böse“ zwar zu: „Wir sind das Höchste, was die großen Konstrukteure des Artenwandels auf Erden bisher erreicht haben, wir sind ihr letzter Schrei“, – um dann freilich sofort dagegen zu setzen: „Wenn ich den Menschen (aber) für das endgültige Ebenbild Gottes halten müsste, würde ich an Gott irre werden.“ Diese Einsprüche lassen sich beliebig vermehren.
Dostojewski zum Beispiel lässt Raskolnikow in „Schuld und Sühne“ vom Menschen „als einer nutzlosen, lästigen Laus“ sprechen.
Und schließlich – und damit will ich es bewenden lassen – gibt es jene alte lateinische Sentenz: „Homo homini lupus“ – „der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“!
Aber warum sich in literarischen Beispielen ergehen, wenn doch jeder von uns mit einer Fülle von Erfahrungen aufwarten kann, die nichts anderes belegen als das, was die Dichter und Wissenschaftler sagen: dass es nicht weit her ist mit jener Würde des Menschen, genannt „Gottesebenbildlichkeit“. Und Unzulänglichkeiten, die Hinfälligkeit des eigenen Körpers, die eigene Ohnmacht, die eigenen Fehlreaktionen im zwischenmenschlichen Bereich, die mangelnde Kontrolle über das eigene Tun. – Paulus sagt: „Das Gute, das ich tun will, das tue ich nicht, aber das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ -, all das lässt kaum ein Denken an unsere Gottes- ebenbildlichkeit aufkommen. Wir sind keine stolzen, sondern eher armselige, traurige, bemitleidenswerte Figuren.
Noch sind wir vielleicht mitten drin im Kreislauf, im Spiel des Lebens, aber schon, wenn man in Rente geht, im Ruhestand, merkt man, wie schnell man vergessen ist. Wir sind problemlos ersetzbar. Und wie geschmeidig gehen wir nach einem schrecklichen Massenunglück zur Tagesordnung über – Nein, in diesen alltäglichen Erfahrungen lässt sich die Vorstellung von unserer Gottesebenbildlichkeit kaum unterbringen.
Und doch macht gerade das, was ich eben aufgezählt habe, den Hintergrund unserer tiefsten Sehnsucht aus, nämlich: etwas zu sein, nicht spurlos von der Bühne abzutreten. Die Kleidungs- und Karriere-Träume sind Ausdruck dieser Sehnsucht; ich kenne die Wünsche von Menschen, die ich berücksichtigen, wenn ich sie einmal beerdigen sollte: „Werden Sie auch mein Bundesverdienstkreuz erwähnen?“ – Auch Grabsteine sind Erinnerungsmale gegen das Vergessen-werden.
Liebe Gemeinde! Auf diese Sehnsucht antwortet die Rede von der Gottesebenbildlichkeit: Wie armselig ich auch sein mag, ich bleibe Gottes Gegenüber, so wie er mein Gegenüber bleibt, mich hörend und mit mir redend. Gott kann auf sein Gegenüber nicht verzichten, so wie ich auf ihn nicht verzichten kann. Dieses Gegenübersein, dieses Angewiesensein Gottes auf mich macht meine Würde aus – übrigens nicht nur meine, sondern auch die meiner Mitmenschen. Denn Gott schafft den Menschen nach
seinem Bilde – als Mann und Frau. Wo von der Gottesebenbildlichkeit die Rede ist, kommt sofort die der anderen mit ins Spiel. Gottes Gegenüber sind wir nicht allein, sondern nur im Kollektiv, und davon ist niemand ausgeschlossen. Unsere Gottes- ebenbildlichkeit aber ist unantastbar und unverlierbar. Ich möchte jetzt nicht auf die Bereiche Menschenrechte und Todesstrafe eingehen.
Wie aber, wenn das Ebenbild doch verloren geht? –
Darauf antwortet Andreas Gryphius in einem Weihnachtsgedicht:
„Der Mensch war Gottes Bild.
Weil dieses Bild verloren,
wird Gott, ein Menschenbild,
in dieser Nacht geboren.“
Der sechste Tag der Schöpfung ist vergangen. Gottes Werk ist vollbracht. „Und siehe, es war sehr gut.“ Aber wie geht es weiter? Das ist nun die große Überraschung der Bibel: Gott arbeitet – vorerst – nicht weiter an seinem Projekt Welt, sondern er setzt sich nieder und „ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte; und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken.“ Der siebente Tag ist ein – sehr stilles – Kontrastprogramm zu der unglaublichen Aktivität der ersten sechs Tage.
Das ist der Unterschied zwischen uns und Gott. Wenn uns etwas gelingt, dann machen wir am liebsten gleich weiter, um etwas noch Besseres zu erreichen. Gott ruht. Und diese Ruhe hat offenbar kein Ende. Denn die stereotype Formel „und es ward Abend und es ward Morgen“, die die ersten sechs Tage beschließt, fehlt am siebenten Tag – damit wir Gottes Ruhe aufnehmen und fortsetzen. So ist es jedenfalls in der Schöpfungsgeschichte: Der erste Tag des Menschen nach seiner Erschaffung gehört der Ruhe. Der Ruhe Gottes. Nicht der Arbeit. Nicht der Leistung. Sondern dem Fest und der Freude. Deswegen haben die Christen den Feiertag dereinst auch zum ersten Tag der Woche erklärt. Von diesem Tag aus soll es in der Woche nicht steil bergauf, sondern munter und fröhlich bergab gehen. Die Ruhe soll nicht das Ende sein – wie bei uns heute, wo der Sonntag zum Wochenende gerechnet wird – , sondern der Anfang, nicht der Punkt hinter, sondern das Vorzeichen vor aller Arbeit. Das ist Gottes große soziale Revolution. Gott will nicht, dass wir uns zu Tode arbeiten. Er will unser Leben. Er will, dass wir frei sind.
Amen
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Erstellt am: 10.03.2013 19:31 Uhr