Predigt vom 29.09.2013

Von Pfarrer Johann Weingärtner
MARKUS 12, 28 – 34
28 Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen?
29 Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein,
30 und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften« .
31 Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« Es ist kein anderes Gebot größer als diese.
32 Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Meister, du hast wahrhaftig recht geredet! Er ist nur einer, und ist kein anderer außer ihm;
33 und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.
34 Als Jesus aber sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.
Was, liebe Gemeinde, würden wohl heute bedeutende Menschen antworten, wenn man sie fragte: Was ist für dich die wichtigste Richtschnur in deinem Leben? Wofür stehst Du? Was gehört zu den unaufgebbaren Essentials, die nicht infrage gestellt werden dürfen?

Das ist ja nun, liebe Gemeinde, nicht nur ein individuell religiöses Thema. In unseren Tagen und sicherlich in der vor uns liegenden Zeit wird es reichlich traktiert werden in den Verhandlungen zur Bildung einer Regierung. Was sind unaufgebbare Grundsätze: Hier einige als Kostprobe:
Verantwortlich die Wirtschaft vorantreiben, damit Arbeitsplätze gesichert werden und der Sozialstaat finanzierbar bleibt.

Die Steuern eher senken statt sie zu erhöhen, vor allem für die Leistungsträger, damit mehr Netto vom Brutto – welch beliebte Floskel – übrig bleibt, und der Konsum angekurbelt werden kann, das war ja mal eine ganz und gar entscheidende Bedingung, ohne nichts gehen sollte. Was wurde daraus?

Solidarität der Reichen mit den Armen, wenn nötig per Gesetz herbeiführen. Die da oben müssen abgeben, damit die da unten etwas bekommen können – so sagten und sagen andere

Waffen abgeben und raus aus Kriegsgebieten um jeden Preis und zwar sofort und ohne jede Bedingung, auch das war und ist eine unaufgebbare Forderung, die nie und nimmer einem Kompromiss geopfert werden darf.

Und immer wieder, wie auch vor Jahren: Das Finanzgebaren der Investmentbanker regulieren, damit die nicht noch einmal die Welt an den Rand des Ruins treiben.

Das sind nur einige angeblich unaufgebbare Positionen, die niemals verwässert werden dürfen, von wem auch immer. Was ist daraus geworden? Und was wird aus daraus werden? Nur Versprechungen?

Und Otto und Ottilie Normalverbraucher und – verbraucherin haben da ja auch noch ihre verständlichen Prioritäten, die sie beachtet haben möchten und ohne die wenig oder nichts geht:

Ich möchte nur meine Ruhe haben, meine Altersversorgung gesichert wissen und im Frieden leben können.
Ich möchte ungestört meinen Lebensabend genießen; und die da oben sollen endlich Ruhe geben und nicht so viele Sprüche klopfen, sondern ihre Arbeit tun.
Und ich möchte natürlich alt werden und mich dabei jung fühlen bei möglichst guter Gesundheit.
Und wenn Otto und Ottilie Normalberbraucher und – verbraucherin noch relativ jung sind, dann könnte das so klingen:
Ich möchte einen guten Beruf haben mit wenig Stress und fettem Verdienst
Ich möchte in einer guten Beziehung leben, wo es so wenig Konflikte wie möglich gibt
Ich möchte, dass die Menschen endlich lernen, Frieden zu machen, vor allem die andern.

So oder ähnlich, vielleicht aber ja auch noch ganz anders könnten die Antworten aussehen auf die Frage: Was ist für dich das höchste Gebot, also die entscheidende Richtschnur für dein Leben. Mancher und manche mag jetzt sagen: Aber das ist doch nur die ganz und gar weltliche Sichtweise, die Frage nach der Religion, um die es ja im Evangelium geht, die weist doch noch in eine ganz andere Richtung.

Ich antworte mit Luther, der einmal gesagt hat: Woran dein Herz hanget – das ist dein Gott. Warum aber mache ich diesen Umweg über das so ganz und gar Profane und Weltliche hin zum Religiösen oder gar Heiligen? Ganz einfach, liebe Gemeinde, weil ich davon überzeugt bin, dass in unserer scheinbar
unreligiösen oder – wie die Fachleute sagen – ganz und gar säkularen Welt, die Religion durch die Hintertür wieder eingezogen ist. Gelegentlich allerdings in einer nahezu perversen Gestalt.

Da wird die Macht vergottet und um jeden Preis angestrebt.
Und wenn sie errungen ist, dann kommen die Geldgeber namens Lobbyisten ins Spiel.
Und dann geht es nach der Methode. Wes Brot ich eß, des Lied ich sing,
Und da wird dann nicht „Lobe den Herren“, und schon gar nicht den mächtigen König der Ehren, gesungen;
und auch nicht den, der künstlich und fein dich bereitet,
oder der sichtbar dein Leben gesegnet,
oder der aus dem Himmel mit strömender Liebe geregnet. Wenn da denn schon von etwas herunterregnen darf, dann sollen da bestenfalls die Euros fallen.
Und wer das Brot nicht isst, der singt dann auch nicht mehr und verliert im wahrsten Sinne des Wortes die Stimmen.

Es mag genug sein, denn auch die schon zweimal beschworenen Normalverbraucher und offen gesagt, ich bin auch einer davon und Du und Sie wohl auch, haben da ihre kleinen und großen Götter, also Dinge, an denen das Herz hängt.

Du sollst lieben Gott, deinen Herrn……….
Da ist sie nun, die große Frage: Wer ist nun mein Gott, wer oder was bestimmt da die Richtlinien meines Lebens?

Die Frager, die da um Jesus herumstehen, wollen ihn ja eigentlich prüfen, seine religiöse Glaubwürdigkeit auf die Waagschale legen und genau nachsehen, ob er in rechter Weise gläubig ist. Das tun die Rechtgläubigen ja sehr gerne.

Auch dieses Verhalten gibt es hier und heute, liebe Gemeinde, ist nicht ganz sympathisch, hat immer den Geschmack von Besserwisserei und Überheblichkeit. Ich erinnere an das Thema vom letzten Sonntag.
Auch dieses religiöse Verhalten kann ein solcher Götze werden, ein ziemlich übler – manchmal.

Die Antwort Jesu auf die Frage nach seiner höchsten Priorität ist ganz traditionell – so wie es jeder Jude und jede Jüdin von Kindheit an lernt:

»Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften« .
Mit diesem Bekenntnis hat das jüdische Volk alle Zeiten, auch die der Pogrome, der Verfolgung auch die der Vernichtung, überlebt. Mit diesem Bekenntnis auf den Lippen sind viele in die Gaskammern von Auschwitz und Treblinka und anderswo gegangen. Das hat sie gehalten und getragen.
Und wenn die Peiniger noch so schreien, sie sagten laut und klar: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein«.
Und wenn sich andere als Herren aufspielen, sich sogar mit Heil begrüßen lassen, sie hielten diesem Geschrei entgegen: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein«.

Ja, mit diesem Bekenntnis haben die Juden das babylonische Exil und den Holocaust überlebt.
Ist es seit Jesus auch unser Bekenntnis? Wer hat das Sagen im ganz persönlichen Leben der Christen und in dem der Kirche? Er – Gott, der Herr, allein? Oder gibt es da mittlerweile ganz andere Herren – und gelegentlich auch Damen – die die Macht an sich genommen haben und sehr wohl unter Berufung auf ihn aber doch ganz gewiss in eigenem Namen Macht und Herrschaft ausüben?

Dieses erste und größte Gebot, zu dem sich Jesus hier bekennt, beendet oder relativiert zumindest alle Hierarchie. Das gilt auch für die Kirche Jesu Christi. Die Herrschaft des Menschen über den Menschen wird grundsätzlich aufgehoben. Und jede und jeder, der oder die leiten und regieren will, wann und wo auch immer, ist in der Ausübung von Macht gebrochen durch den, der allein mächtig ist. Oder er übt Macht aus auf eigene Rechnung und zu eigenem Nutzen.
Das wäre ja mal ein Maßstab christlicher Politik. Macht um ihrer selbst willen ist indiskutabel.

Das sollen wir nie vergessen, wenn wir uns auf Jesus berufen und auf den Gott, den er seinen Vater nennt und uns erlaubt, es ebenfalls zu tun. Die Sendung Jesus besteht eigentlich in nichts anderem als in der Aufrichtung dieses 1. und höchsten Gebotes und zwar mit ganzen Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen Kräften – das will sagen: mit allen Fasern deiner Existenz. Da ist nichts ausgenommen, kein Lebensbereich, keine biographische Strecke, keine Situation, sei sie erfreulich oder bedrohlich, erfolgreich oder von Scheitern gekennzeichnet.

Dessen Brot essen wir, von seiner Güte leben wir, von seiner Vergebung werden wir geheilt und mit seiner Hoffnung im Herzen bohren wir dicke Bretter und von seiner Liebe getrieben wird Feindschaft überwunden, Versöhnung ermöglicht, Vertrauen gefasst und so Zukunft gewonnen.

Das alles ist in diesem einen Satz mit enthalten, der da durch tausende von Jahren der gleiche geblieben ist: »Höre, Israel, oder wir können sagen: Höre, alle Welt, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein«.

Dessen Herrschaft allerdings führt nun wahrlich nicht zur Willkür, zum Despotismus oder zur Diktatur – auch nicht der der Liebe, die gibt es ja auch. Und wenn die Macht der Liebe an die Macht kommt oder anders gesagt: Die Religion die weltliche Herrschaft ergreift, dann kann das grausam werden.

Der Glaube an diesen einen Herrn, den Vater Jesu Christi, aber führt nach dem Bekenntnis Jesus zu nichts anderem als zu einer geschwisterlichen Liebe: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«. Wir könnten – übrigens um einiges genauer aus dem Hebräischen – auch übersetzen: Dann wirst du deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Wer Gott den Herrn zum Vater hat, der sieht in jedem Menschen seinen Bruder und seine Schwester.
Wie kann das geschehen? Ich kann doch nicht jeden Menschen lieben. Und deshalb hat Lukas in seiner Fassung dieses Textes auf die Frage: Wer ist nun mein Nächster, meine Nächste, das bekannte Gleichnis vom barmherzigen Samariter angefügt. Markus kannte das in seiner Textsammlung wohl noch nicht. Macht aber nichts.

Wer Gott zum Herrn hat und ihn Vater nennt, der sieht einen ganz besonderen Auftrag zum Dienst an den unter die Räuber gefallenen. Mögen die Räuber nun die Straßenplünderer sein oder auch die Ehrabschneider, die von Gier getriebenen Kontenabräumer oder andere Figuren, die sich auf Kosten einzelner oder des Gemeinwesens bereichern und Ausgeplünderte, ihrer Menschenwürde beraubte, um ihre Hoffnung Betrogene an den Wegrändern dieser Welt zurücklassen.

Spüren wir? Dieses Wort Jesu ist einerseits ein ganz persönliches Wort mit Aufruf zur Entscheidung von jedem und jeder von uns; und es ist ein politisches Wort, das deutlich macht: Wo Gott der Herr, der Vater Jesu Christi, der Gott der Gnade und der Menschenfreundlichkeit abgesetzt wird, da besteigen die Götzen den Thron. Und die fordern immer auch Menschenopfer in Afghanistan, leider auch in der Heimat Jesu, viel tausendfach in Syrien und immer noch in Afrika und überall, wo Macht in teuflischer Weise mit nackter Gewalt gepaart wird.

Dem gilt es zu widerstehen. Wer A sagt zum Bekenntnis: Höre, alle Welt, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, der kann und darf, ja muss auch B sagen: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«. Und mehr gibt es nicht zu sagen, das reicht – zumindest für heute.
Amen

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Erstellt am: 04.10.2013 11:19 Uhr

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