Predigt vom 20.07.14

Liebe Gemeinde
Der heutige Predigttext aus dem 2. Jesajabuch beginnt mit einer Einladung:
Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn – und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ursprünglich richten sich diese Worte an die Menschen, die unterdrückt und versklavt im babylonischen Exil lebten. Mit der Ankündigung des Gottesknechts wird ihnen Mut und Hoffnung gemacht. Wer mit diesem Knecht gemeint ist, ist bei Bibelforschern umstritten. Viele sind der Meinung, bei dem Gottesknecht handelt es sich um den Propheten selbst.
In der Geschichte des Christentums wurde schon früh die Ansage des Gottesknechts auf Jesus Christus bezogen.
Dafür spricht die besondere Nähe zu Gott, die den Knecht auszeichnet.
Im Text heißt es: Gott hält/ erhält ihn.
In den Evangelien wird Jesu Gottesbeziehung fast mit den gleichen Worten beschrieben etwa bei der Taufe, wo eine Stimme von oben sagt: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.(Mt3,17)
Und wenn wir das Lied vom Gottesknecht, von dem wir lediglich den Anfang gehört haben, im ganzen lesen, dann spricht noch mehr dafür, diese alte Prophezeiung auf Jesus Christus zu beziehen, wenn es da heißt:
Ich mache dich zum Licht der Heiden, dass du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen, und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker. (6f)
Wir Christen sehen diese Prophezeiung in Jesus Christus erfüllt.
Mit ihm, der sich selbst als das Licht der Welt bezeichnet hat, ist Licht ins Dunkel der Welt gekommen.
Jesus hat den Menschen die Augen geöffnet, ihnen eine neue Sichtweise geschenkt und sie von der Knechtschaft der Ichverhaftung befreit.
Und das nicht auf spektakuläre Weise, sondern indem er uns durch sein Leben und Sterben ein Beispiel gab. Ja – er hat von der Liebe seines Vaters nicht bloß geredet, sondern er hat sie durchgehalten bis hinein zu seinem Sterben, wenn er selbst am Kreuz noch für seine Peiniger bittet:
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
All das dürfen wir heute mithören, wenn wir an die Worte unseres heutigen Predigtextes denken, der mit den Worten beginnt:
Siehe, das ist mein Knecht – ich halte ihn. Ich habe ihm meinen Geist gegeben.
Wo immer wir uns auf diesen Knecht einlassen und uns dem Geist der Liebe öffnen, an dem wir durch ihn teilhaben, wird unsere Seele und auch unsere Welt heil.
Unsere Gottesbeziehung bleibt ja nicht Auswirkung.
Wo wir inwendig Gott als Liebe spüren, werden wir fähig, auch andere zu lieben.
Wo wir innerlich zur Ruhe kommen und Frieden finden, geben wir diesen Frieden einander weiter.

Zeiten der Stille, Zeiten des Schweigens, sind notwendige Voraussetzungen, um aus den vielen Stimmen, die täglich auf uns einstürmen, Gottes Stimme an uns zu vernehmen.
Die Stille kann helfen, dass wir uns innerlich reinigen, um frei zu werden für Gottes Anruf an uns.
In unserem Text heißt es: Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.
Wie wir aus den Evangelien wissen, hat sich Jesus immer wieder der lauten Menge entzogen und sich in die Einsamkeit zurückgezogen und die Stille gesucht.
Wo Gott am Werke ist, kann es unscheinbar und still zugehen. Da braucht es keine Events und spektakuläre Großveranstaltungen. Wesentliches kann auch mit wenigen Worten ausgesprochen werden ohne beeindruckende Rhetorik.
Heilungsprozesse, die inwendig erfahren werden, geschehen oft in der Stille, nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit.
Und damit komme ich auf die Zusage zu sprechen, die sich nicht an die äußerlich Erfolgreichen richtet, sondern an Menschen, die angeschlagen sind und kein Licht mehr sehen.
Ihnen gilt die Verheißung:
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
Das geknickte Rohr und der glimmende Docht sind eindrückliche Bilder, die menschliche Zustände beschreiben, die wir alle kennen.
Was Luther mit geknicktem Rohr übersetzt hat, kann ein angeschlagenes Schilfrohr oder ein am Boden liegender Getreidehalm sein. Ein am Boden liegender Getreidehalm droht zertreten und damit auch unbrauchbar zu werden.
Ähnlich gefährdet ist ein glimmender Docht. Da kann ein kleiner Windstoß genügen, der die Kerze zum Erlischen bringt.
In Zeiten der Krise sind uns solche Zustände nicht fremd. Es gibt Zeiten, wo wir uns angeschlagen fühlen und keine Kraft mehr haben. Die Zahl der Menschen, die an „burnout“, am Ausgebrandtsein, erkranken, nimmt in unserer stressbesetzten Zeit auffallend zu. Es sind zu viele
Anforderungen, die auf uns einströmen und denen zunehmend viele Menschen nicht mehr gewachsen sind.
Solange wir den Anforderungen der Gesellschaft entsprechen und nach den Gesetzen der Welt funktionieren, kann es uns lange Zeit gut gehen. Aber schon kleine Störungen können uns aus dem Gleichgewicht bringen.
Wie schnell sind wir dann geknickt und drohen unseren Lebensmut zu verlieren, wenn es im Leben anders kommt als wir erwarten. Ich denke an Belastungen im Beruf, in der Familie oder auch an Krankheit und Tod.
In solche Belastungen hinein dürfen wir heute die Ermutigung hören, dass Gott das geknickte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht.
In der Seelsorge, bei der Begleitung von schwerkranken Menschen, habe ich erfahren, dass wir auf unserem Lebensweg nicht ohne Hilfe sind – gerade auch in Zeiten, wo wir großen Belastungen ausgesetzt sind.
So sagte mir einmal eine Patientin, die sich einer Beinamputation unterziehen musste und deshalb sehr verzweifelt war, einen Spruch, der trotz all dem Schweren nicht ohne Hoffnung ist. Sie sagte:
„Es kann im Leben eines Gotteskindes so dunkel werden, dass es den Heiland nicht mehr sieht.
Aber es kann niemals so dunkel werden, dass der Heiland durch die dunkelste Wolke sein Kind nicht mehr sieht.“
Im Glauben haben wir eine Kraft, die uns hilft, Belastungen auszuhalten und nicht aufzugeben.
Das gilt auch im Blick unser Sterben, das kurz oder lang auf uns wartet.
Auch wenn die Kräfte dahinschwinden und keine Hoffnung auf Genesung mehr besteht, können wir darauf vertrauen, dass wir einmal nicht in einer dunklen Nacht versinken, sondern teilhaben an der Verheißung:
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
Ja, wir dürfen die Hoffnung haben, dass Gott, wo wir an unsere Grenzen kommen, mit uns noch nicht zu Ende ist.
Ich möchte dies nochmals an einem Beispiel aus der Seelsorge verdeutlichen.
Ich machte einen Besuch bei einer Patientin im Krankenhaus. Neben ihr lag eine Frau, die schwer krank war und schlief. Sie hatte die Augen zu. Bevor ich ging, trat ich an ihr Bett, um mich zu verabschieden.
Da machte die Frau die Augen auf und strahlte mich an. Ich sagte zu ihr: „Sie strahlen so.“
Da erzählte sie mir mit schwacher Stimme, sie habe eben ein strahlendes Licht gesehen und im Licht Maria und Jesus, die auf sie warten.
Als ich am nächsten Tag ins Krankenhaus kam, erfuhr ich, dass sie in der Nacht verstorben war.

Ich denke, in diesem weiten Horizont, der auch den Tod mit einbezieht, dürfen wir die prophetische Zusage unseres heutigen Textes hören.
Gott widerspricht dem Gesetz der Welt, wonach das Zerbrochene und Verlöschende sterben muss.
In seinem Sohn hat er uns den Auftrag geben, dass wir seine Liebe in die Welt tragen, indem wir den Angeschlagen beistehen und die, die keine Hoffnung mehr haben, aufrichten.
Wo immer dies geschieht, wo wir anderen beistehen und helfen, ist der Herr der Kirche uns bei uns.

In unserem heutigen Predigttext ist am Schluss vom „Recht“ und der „Weisung“ des Knechts die Rede, auf die die Inseln warten.
Damit ist unser universaler Auftrag angesprochen, den wir Christen über den eignen Kirchturm hinaus haben. Gerade ein Land, das zu einem der reichsten gehört, darf nicht gleichgültig sein gegenüber den Völkern, die in der Knechtschaft von Hunger und Terror leben.

Dietrich Bonhoeffer hat, was Christsein kennzeichnet, in die einfachen Worte gefasst:
„Christsein besteht im Beten und Tun des Gerechten.“

Gott selbst verhelfe uns in Jesus Christus zu einem Leben, das sich für Menschenrechte einsetzt – bei uns und in jenen Ländern, wo Hunger und Terror herrschen.
Er stärke unseren Glauben, dass wir auch in Zeiten, wo wir angeschlagen und kein Licht mehr sehen, an ihm festhalten und im Gebet um seinen Beistand bitten.

Ich möchte mit Worten von Elisabeth Whitehouse schließen, die deutlich machen, dass Gott auf unsere Gebete antwortet, auch wenn es anders kommt, als wir erwarten. Die Worte lauten:

Ich bat um Kraft, um durchhalten zu können,
ich wurde schwach, um demütig gehorchen zu können.
Ich bat um Gesundheit, um größere Dinge tun zu können;
ich wurde krank, um bessere Dinge tun zu können.
Ich bat um Reichtum, um glücklich zu werden;
ich wurde arm, um weise zu werden.
Ich bat um Macht, um von Menschen geachtet zu werden;
ich wurde kraftlos, damit ich fühlte, dass ich Gott brauchte.
Ich bat um alles, um das Leben genießen zu können;
ich empfing das Leben, um alles genießen zu können.
Amen

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Erstellt am: 22.07.2014 18:57 Uhr

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