Liebe Gemeinde!
Wir Menschen sind gerne groß. Wir alle kennen den unverwüstlichen Kindertraum: groß werden, reich und mächtig und dann alles besser machen. Wir alle kennen Machtfantasien wie: groß raus kommen im Beruf, groß dastehen vor den Leuten, die Welt auf einen Schlag verändern. Wir wissen aber auch, dass solche Machtfantasien schon oft genug zu Katastrophen geführt haben. Wahrscheinlich haben sich Menschen deswegen Gott immer wieder so unendlich groß und mächtig vorgestellt.
Wir sind es nicht, aber Gott, der ist wirklich so groß und mächtig wir es gerne wären. Der kann, was wir gerne könnten. Dabei gibt es handfeste Anzeichen dafür, dass Gott viel lieber klein als groß ist. Jesus, der Gottessohn, lebt es uns gerne großen Gotteskindern vor. „Er erniedrigte sich selbst“ haben wir in der Lesung gehört (Phil 2,8). Das heißt: er machte sich kleiner, als er war. Er hätte nicht so leben und schon gar nicht so sterben müssen. Warum geht er gerade diesen Weg der Erniedrigung? Warum macht er sich klein? Hätte er als Gottes Sohn nicht andere Möglichkeiten gehabt, diese Welt zu verändern? Es gibt dazu eine Geschichte aus dem Neuen Testament, in der der Teufel mit Jesus spricht.
Textlesung: Mt 4,1-11, Jesu Versuchung
Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.
2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn.
3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.
4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“
5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels
6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben „Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“
7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“
8 Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit
9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du nieder fällst und mich anbetest.
10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben „Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“
11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.
Damit fängt sie eigentlich an: die Jesus-Geschichte. Mit der Taufe, mit dem Versprechen im Rücken „Du bist mein lieber Sohn“ gerät Jesus an den Teufel, den Versucher. Da geht es nicht um „zarte Versuchungen“ durch Süßigkeiten oder andere Genussmittel. Da geht es um Ansehen und Macht und um die Frage: Wie und mit welchen Mitteln kann diese Welt verändert werden? Es entspinnt sich eine Auseinandersetzung auf hohem Niveau. Da wird mit der Bibel argumentiert und mir wird deutlich:
Der Glaube ist eben nicht nur eine Gefühlssache und Herzensangelegenheit, sondern in hohem Maß auch eine geistige Auseinandersetzung. Mitten hinein in diese Auseinandersetzung nimmt uns dieser Bibelabschnitt. Mitten hinein in die Frage: Wie sieht er denn aus, der Weg Gottes hier in dieser Welt? Wie greift Gott in diese Welt ein?
Nicht nur vom Brot leben wir Menschen. Vom Wort Gottes leben wir, und das handelt vom geschwisterlichen Teilen, das nicht nur die Freunde, sondern auch den unbekannten Nächsten und selbst den Feind einbezieht. Nicht vom Tischleindeckdich erzählen die Jesusgeschichten, sondern von der Tischgemeinschaft, bei der Jesus die mitgebrachten Gaben verteilt und alle satt werden. So erzählt es uns Matthäus einige Kapitel weiter. Vom Wort Gottes sollen die Menschen satt werden. Das Wort sagt uns: Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Und was ihr einem meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan. Diese Gottesworte sind Brot für die Welt.
Nicht zum Überflieger wird Jesus; er stürzt sich nicht vor den Augen der Menge die Tempelzinne hinab, sondern steigt bescheiden die Treppenstufen hinab; hinab zu den Menschen begibt er sich, in ihren Alltag. Ihre Nöte, ihre Krankheiten nimmt er ernst, tröstet und heilt. Und er zeigt ihnen: Bei Gott müssen wir keine strahlenden Überflieger sein. Ein Leben ohne Leiden und Not verspricht er uns nicht. Aber er verspricht, bei uns zu sein in der Not. Nicht abheben, um groß herauszukommen, sondern sich fallen lassen in Gottes Hand – darin liegt der Unterschied zwischen Gott versuchen und Gott vertrauen.
Der Teufel kommt zur Sache: Bete mich an! Dann kommst du an die Macht, dann liegt alles in deinen Händen. Dann kannst du die Welt verändern. Jesus lehnt ab. Wie kann durch Böses Gutes werden? Frieden kann man nicht herbeibomben, Gerechtigkeit nicht einbläuen, Liebe nicht erzwingen, Barmherzigkeit nicht verordnen. Jesus geht einen anderen Weg. Er geht den Weg in die Niedrigkeit, den Weg ans Kreuz. Er verzichtet darauf, die Welt mit aller Macht zu erobern.
Darum hat ihm Gott die Macht gegeben nicht nur über alle Reiche der Welt, sondern über Himmel und Erde. –
Liebe Gemeinde!
Was für ein Mensch möchte ich sein? Was hat Gott mit mir vor? Vor diese unausgesprochene Frage stellt uns unsere Geschichte von der Versuchung Jesu. Jesus wird mit den Versuchungen konfrontiert, die Welt mit einem Schlag zu verändern, groß herauszukommen, zu herrschen. Das sind Versuchungen, die für uns nahezu unwiderstehlich sind, von denen wir aber auch ahnen, welches Unheil sie bringen können. Jesus widersteht diesen Versuchungen nach Macht und Stärke. Er geht einen anderen Weg. Machtlos vertraut er Gott. Er will nicht groß herauskommen.
Er macht sich selber klein. Aber das Kleine entwickelt seine eigene Stärke. Das Kleine wird oft unterschätzt, nicht ganz für voll genommen. Und doch zeigt es seine Wirkung: Wer ahnt denn, dass der Löwenzahn den Asphalt auf sprengen kann? Wer würde einem kleinen Kind zutrauen, das Herz eines unbelehrbaren Griesgrams zum Lachen zu bringen? Wer glaubt denn, dass ein leises Lied einem abgebrühten Menschen Tränen in die Augen treiben kann? Das Kleine bleibt nicht ohne Wirkung. So wie Jesus und seine Botschaft nicht ohne Wirkung geblieben ist. Und er hat es abgelehnt, groß herauszukommen und die Welt mit Macht zu verändern. Gerade damit hat er sie verändert.
Amen.
Infos unter:
Erstellt am: 17.02.2013 19:20 Uhr
