Von Pfarrer Johann Weingärtner
EVANGELIUM AUS MATTHÄUS 6, 25-34
25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?
27 Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
So möchte ich leben können, liebe Gemeinde,
keine Sorge um die tägliche Nahrung, Essen und Trinken kommen so wie ich es möchte oder brauche und die Möglichkeiten zum Einkauf, wo vieles verfügbar ist, möglichst zu jeder Zeit und nahe bei. Da muß sich auch niemand mehr auf seinem Feld plagen mit mühsamer Arbeit von Pflügen, Eggen, Säen, Unkraut bearbeiten, Ernten und das alles mit dem Risiko, dass durch ungünstige Witterung oder Unwetter alles zerstört werden kann.
Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden.
Ach Ja, wenn Jesus doch recht hätte – dann gäbe es wohl so etwas wie ein christliches Schlaraffenland. Und manche, die ihr früheres Urlaubsziel zu einem Residentensitz machen, haben ja vielleicht zumindest einen kleinen Anflug davon in Herz und Sinn. Leben wie die Vögel unter dem Himmel, der möglichst immer blau sein soll, leicht und bunt gekleidet wie die Blumen, das ist doch schon mal was. Die Sonne des Südens und gute Preise – nun denn auf mein Herz, ab ins das Land der Leichtigkeit des Seins.
War wohl nichts, sagt der kritische Zeitgenosse oder die eigene Erfahrung. Auch unter den sonnigen blauen Himmel ist manche Sorge mitgezogen und der eine oder andere Kummer auch. Man kann ja sehr vieles zurücklassen, wenn man sich auf den Weg macht, wohin auch immer. Stets aber nimmt man sich selber mit. Und dieser Tatbestand kann zum grössten Hindernis auf dem Weg zur Sorglosigkeit werden.
Das ist der eine Widerspruch: Wir wissen: Wer nicht vorsorgt in dem Sinne, dass die Sorge entsorgt wird, hat auch später wenig in seinem Leben und die gebratenen Hühnchen fliegen einem eh nirgendwo in den Mund.
Und der andere Widerspruch ist der: Macht es nicht auch Spaß, sich zu sorgen? Macht es nicht Freude über Märkte zu gehen mit der Frage: Was sollen wir essen. Was sollen wir trinken? Läuft uns nicht schon manchmal beim Aussortieren der Waren und Aussuchen nach Geschmack und Qualität das Wasser im Mund zusammen? Und macht es nicht einfach Spaß, der Frage nachzugehen: Womit werden wir uns kleiden? Ist Shopping nicht eine lustvolle Angelegenheit? In Stoffen und Kleidern zu wühlen, hier anzuziehen und dort auszuprobieren, Qualität und Preise zu vergleichen, wieder ein wenig zu handeln um nach vielen „Nein – lieber doch nicht“, endlich das zu finden, was passt und gut bezahlbar ist, wenn auch gelegentlich ein wenig über dem Budget ?
Noch einen weiteren Widerspruch zu erwähnen erscheint mir unvermeidbar zu sein. Sicher, Jesus hat nicht in einer globalisierten Welt gelebt, als er diese Worte von der Sorglosigkeit gesagt hat. Und er kannte auch nicht das kaum überbrückbare Gefälle zwischen Arm und Reich in einem Nord – Süd – Gegensatz auf unserer Erde und mittlerweile sogar in Europa. Da wird auf der einen Seite gleich nach der Ernte eine Unmenge von Nahrungsmitteln aussortiert und vernichtet, weil sie nicht der vorgegebenen EU-Norm entspricht. Und auf der entgegen gesetzten Seite der Erde verhungern und verdursten Menschen, vor allem Kinder und ältere zu Millionen. Die können gar nichts anderes mehr in Kopf und Herz haben als die Sorge um das nackte Überleben, um Essen und Trinken. Und die müssen mit den letzten Lumpen am Leibe herumlaufen, die in den Altkleidersammlungen der Reichen übrig geblieben sind. Und weil wir die dorthin schicken, wird auch noch die Existenz der kleinen Schneiderbetriebe und damit die Lebensgrundlage vieler Familien gefährdet.
Da ist nichts, aber auch gar nichts von Leichtigkeit des Seins zu sagen oder zu spüren. Da geht es um zu leichte Körper wegen ständiger Unterernährung und durch Sorge und Kummer verhärmte Gesichter von Müttern, die ihren Kindern nichts geben können. Und wer sorgt für Sie? Der Vater im Himmel, der doch weiß, was ein Mensch braucht? Oder sind dem das Gras und die Lilien auf Feld wichtiger als seine Menschenkinder?
Also dieser schöne, ja nahezu zauberhafte Text aus der Bergpredigt Jesu hat so seine Macken. Seine Ecken und Kanten und er ruft zum Widerspruch. Einerseits geht er an der Wirklichkeit vorbei und andererseits generiert er sich als Spaßverderber. Und was nun. Liebe Gemeinde?
Wie immer, wenn die Bibel sperrig wird: genau hinschauen, noch mal nachfragen, einen Spatenstich tiefer graben. Also ans Werk!!
Was sind das für Menschen, die Jesus mit seiner Predigt im Blick hat! Es sind Menschen wie Du und Ich. Reiche und weniger Vermögende. Religiös Gebildete und solche mit kindlichem Glauben. Kritische denkende Zweifler und grenzenlos Überzeugte. Allerdings wohl keine, die sich um ihre Grundbedürfnisse große Sorgen machen müssten.
Und in seiner Predigt geht es dem Rabbi Jesus darum, was wesentlich ist, wenn das Leben gelingen soll. Worauf es ankommt! Was die Grundlagen sind, wenn Leben sinnvoll sein und weder vehement in die Irre gehen oder gleichgültig an der Oberfläche dahinplätschern soll. Jesu Wort ist eine Predigt gegen rein materielle Gesinnung. Essen und Trinken und Kleidung stehen wohl einerseits für Grundbedürfnisse, die keinem Menschen streitig gemacht werden sollten. Sie können andererseits aber in besonderer Weise für soziales Prestige stehen. Und so ist es gemeint in der Bergpredigt.
Wenn Essen und Trinken durch stetiges Goutieren der neuesten Trends, präsentiert durch mit Sternen geschmückte Leitfiguren zum Erreichen sozialen Statusdenkens wird und die Handtasche eine bestimmte Marke tragen muss, um überhaupt noch anerkannt zu werden, dann stimmen die Prioritäten nicht mehr. Auf diesem Hintergrund haben die Markentäuscher und – trixer ihr leichtes
Spiel – wir hatten das in der Türkei täglich vor Augen.
Und es soll ja tatsächlich Leute geben, die die preiswerteste Jagd nach solchen Artikeln zum wesentlich Bestanteil ihres Urlaubs machen. Da stimmt dann doch wohl etwas nicht mehr. Oder? Jesus nennt dieses Gebaren heidnisch und der Schreiber des Matthäusevangeliums hat dabei sicherlich die zur Degeneration neigende römische Oberschicht und die mit ihr kooperierende jüdische Elite vor Augen, und dann eben auch alle, die aus Neidgefühlen auf ähnliche Werte setzen. Nun denn, es mag genügen. Wir wissen oder ahnen, worum es Jesus geht.
Das Wesentliche, so sagt er, ist das Trachten nach dem Reich Gottes. Das besteht nach den Aussagen des Paulus – und er beruft sich dabei auf Jesus – aus Frieden und Freiheit, Gerechtigkeit und Freude im Herrn. Das sind starke Begriffe und doch unerlässlich für das Leben des Menschen als einzelnem und das Zusammenleben von Sozialgemeinschaften und Völkern.
Frieden, der nicht durch Macht und Gewalt herbeigeführt wird, sondern durch Ausgleich der unterschiedlichen Interessen.
Freiheit, die jedem einzelnen und jedem Volk das Recht auf eigene Entfaltung zubilligt.
Gerechtigkeit, die keinem das Recht auf Leben und Wohlergehen vorenthält.
Freude als eine Grundstimmung des Lebens, die jedem einzelnen und jeder Gemeinschaft das Existenzrecht als Freigelassene der Schöpfung Gottes zu leben ermöglicht
Ohne diese Grundsätze kann letztendlich kein gedeihliches Leben für alle Mensche erreicht werden. Trachtet danach – sagt Jesus und zwar als erstes, dann wird euch alles andere zufallen.
Wie kann das passieren? Lassen Sie mich ein wenig träumen, liebe Gemeinde.
Ich stelle mir vor, dass die reichen Länder der Nordhalbkugel alle Handelshindernisse abbauen und den Produzierenden der armen Länder gerechte Preise zahlen.
Ich stelle mir vor, dass der Unsinn aufhört, dass in der EU Stilllegungsprämien für gutes Ackerland gezahlt werden und gleichzeitig Anbauflächen für Lebensmittel und tropischer Regenwald genutzt oder abgeholzt werden um Schweinefutter für Europa zu produzieren. Es muss ein Ende haben, dass preiswertes Fleisch von Turboschweinen von enteigneten Kleinbauern Lateinamerikas bezahlt wird.
Ich stelle mir vor, dass Palästinenser und Israelis sich endlich zusammensetzen, ihre gemeinsame Geschichte von Abraham bis heute bedenken und das Land so unter sich aufteilen, dass beide in Frieden leben können und keiner von beiden dem andern sein Existenzrecht abspricht.
Ich stelle mir vor, dass die starken Länder es sich verbieten, Waffen zu produzieren, um sie aus rein wirtschaftlichen oder kosmopolitischen Interessen an Diktatoren verkaufen, die damit ihr eigenes Volk nahezu ausrotten und um die nötigsten Lebensmittel bringen. Wie scheinheilig klingen da die Syrienbeschlüsse vom G20 – Gipfel der letzten Tage, wenn jene, die sich ein Recht auf militärisches Eingreifen nehmen, eben gerade die sind, die reichlich Waffen an die Golfstaaten geliefert haben, die nun die militanten und fundamentalistischen Terrorgruppen in Syrien unterstützen.
Ich stelle mir vor, dass die Menschen, die unter gewaltsamer Unterdrückung leiden, den Mut zu gewaltlosem Widerstand, wie ihn Mahatma Gandhi und Martin Luther King praktiziert haben, gewinnen und dabei von den Demokratien ideell und materiell massiv unterstützt werden. Brot für die Welt und die Waffen zur Hölle.
Das alles und noch viel mehr stelle ich mir vor und träume vielleicht davon und wache auf und weiß, dass die Wirklichkeit so ganz anders aussieht. Und die Menschen, die an den Hebeln sitzen, gleich welcher Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung, die müssten dies wollen und nichts anderes. Ob sie es lernen? Ich habe da meine Zweifel.
Zwei Konsequenzen allerdings will ich daraus ziehen:
Ich will nicht mehr Gott dafür die Schuld in die Schuhe schieben, dass viele seiner Menschenkinder unversorgt sind mit dem Nötigsten zum Leben. Die Erde hat genug für alle. Solange aber so vielen Menschen das Essen und Trinken und die Kleidung oder Wirtschaftsmacht und Raketen und all das, was zum Vorzeigen sich eignet, wichtiger ist als Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit und Freude für alle – versündigen sie sich gegen den Gott, der sie als Geschöpfe, die in Freiheit und Verantwortung ihre Würde haben, geschaffen und gewollt hat. Und natürlich auch gegen all die, denen der Kummer und das Leid die Grundmelodie des Lebens geworden ist..
Und ich will nicht aufhören, meinen Mund aufzutun, Unrecht zu benennen auch wenn das manchmal politisch nicht korrekt zu sein scheint. Und ich will an mir selbst arbeiten, dass die Wertmaßstäbe für mein Leben in die richtige Reihenfolge kommen.
Dann, liebe Gemeinde, ist das Reich Gottes nicht nur eine Utopie für die Zukunft, das ist es auch, sondern es ereignet wenigstens im Ansatz hier und jetzt, und dann ist es mitten unter uns, so wie Jesus es verheißen hat.
Amen
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Erstellt am: 09.09.2013 13:44 Uhr