Von Pfarrer Johann Weingärtner
LUKAS 17, 11-19
1 Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa hin zog.
12 Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne
13 und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!
14 Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.
15 Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme
16 und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.
17 Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun?
18 Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?
19 Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.
Liebe Gemeinde,
da steht er vor uns, dieser Mister 10 Prozent, liebe Gemeinde. 10 wurden geheilt, einer ist dankbar. 10 Prozent Erfolgsquote. Nicht so großartig in einer Gesellschaft, wo Qualitätssicherung, Erfolgs- und Effektivitätsdenken eine so große Rolle spielen. Auch in der Kirche – das habe ich in den Sommerwochen, in denen ich in meiner Nordelbischen Heimatkirche den einen oder anderen Dienst als Urlaubsvertretung getan habe, wieder deutlich gespürt.
Da ist mancher Druck vorhanden:
Lohnt sich das noch?
Bringt das genug ein?
Rechnet sich das?
Nur 10 Prozent – ist das genug? Keine große Erfolgsbilanz, die selbst Jesus da vorweisen kann. Und er selbst klagt ja auch darüber:
Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun?
Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?
Aber geht das überhaupt, liebe Gemeinde – dass wir hin und her rechnen in der Kirche? Können wir da wirtschaftliche Maßstäbe anlegen, wenn es um den dankbaren Glauben – und der ist ja das Thema dieser Geschichte aus dem Evangelium – geht?
Jesus selbst stellt sich in der Tat die Frage: Wo sind die anderen neun abgeblieben? Hat sich nur einer gefunden, der was begriffen hat? Und die andern haben eingeheimst und sich mit dem Gewinn davongemacht, einfach so!
Das kann einen ja umtreiben, wenn man als haupt – oder ehrenamtlicher Mitarbeiter oder Mitarbeiterin in der Kirche tätig ist. Da mühen sich manche ab – und was ist der Lohn? Da investieren manche Zeit und Kraft – oft genug zum tarif – und was ist der Dank?
Undank ist der Welt Lohn – sagt das Sprichwort. Auch der Lohn in der Kirche? Auch im Reich Gottes? Es scheint so zu sein. 10 Prozent – keine hohe Quote, wahrlich nicht.
Mein Vorschlag: Lassen wir dieses Denken und diese durchaus gelegentlich leidvollen Erfahrungen zunächst einfach so stehen. Fangen wir mit der Geschichte von den 10 Aussätzigen aus dem Lukasevangelium mal ganz von vorne an.
Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa hin zog.
Dieser so harmlos wie eine Ortsbestimmung klingender Satz ist eigentlich eine Ungeheuerlichkeit. Ein frommer Jude geht nicht durch Samarien, wenn er nach Jerusalem will. Er nimmt lieber einen Umweg in Kauf, als durch dieses Gebiet zu wandern. Da wohnen die nicht ganz Rechtgläubigen. Da betet man nicht im Jahwetempel in Jerusalem an, sondern huldigt Gott auf dem Berg Garizim. Der hat zwar auch in der Geschichte Gottes mit seinem Volk seine große Bedeutung, aber gegen Jerusalem ist der nichts. So ist das in den religiösen Traditionen.
– Da gibt es einige, die haben die Wahrheit in ihrer Fülle ganz und gar gepachtet – und andere nur einen kleinen Teil.
– Da gibt es die richtige allein selig machende Kirche und dann auch noch ein paar kirchenähnliche Gebilde, so hat das der Vorgängerpapst Benedikt einmal etwas herablassend auf die nicht – römischen Kirchen gesagt.
– Da gibt es mehrere Religionen, die haben nur den einen allmächtigen Gott, aber es gibt eben doch große Unterschiede in ihrem Wert – je nach dem, zu der die, welche die Meßlatte anlegen, gerade gehören.
Nun denn – wenn Jesus ein frommer Rabbi sein will, dann geht man jedenfalls um Samarien herum, wenn man nach Jerusalem will. Er tut es nicht, er geht mitten hindurch, so als wollte er damit sagen: Der Weg Gottes durch diese Welt kennt keine Grenzen, und alle, die solche ziehen, kennen Gott nicht. Er will mit seinem Wort und seinem heilenden Handeln zu allen, egal aus welcher Tradition sie kommen. Er lässt sich in kein religiöses oder geistliches oder spirituelles Getto einsperren. Weder in Rom noch in Wittenberg, weder Volks – noch freikirchlich.
Und dann kommen dem grenzüberschreitenden Jesus durch die Leprakrankheit befallene Menschen entgegen. Wenn es um das Abschieben solcher Krankheiten geht, dann werden auch gerne die Juden nach Samaria gebracht. Die Entfernungen sind ja eh nur sehr gering.
Und nun passiert die zweite Ungeheuerlichkeit.
Jesus lässt sich anreden. Eigentlich müssen die Aussätzigen mit dem lauten Schrei „unrein“ schon von weitem auf sich aufmerksam machen, damit man auf möglichst großen Abstand gehen kann. Leprakranke sind nicht nur körperlich unrein, sie sind ganz und gar verseuchte Gestalten, die Gottes Strafe erdulden müssen und zwar dafür, dass sie selbst oder ihre Vorfahren große Verfehlungen begangen haben – so die fromme Vorstellung. Aussätzige sind auch kultisch unrein, also vom Kultus, vom Gottesdienst ausgeschlossen.
Und Jesus redet mit ihnen – einfach ungeheuerlich. Das tut man doch nicht. Igitt!
Von der Unterredung wird nur das Wesentliche berichtet. Von einer Wunderbehandlung – kein Wort. Von spektakulärer Spontanheilung – auch kein Wort. Jesus sagt den 10 Leprakranken nur das, was nach einer für die damalige Zeit äußerst seltenen Genesung zu geschehen hat:
Man muß sich einem Priester vorstellen, der den Körper nach wunden Stellen absucht. Meist ist ein zweites Gutachten erforderlich. Zeigt euch den Priestern!
Und wenn die dann sagen: Rein – dann ist alles wieder gut.
Alle zehn sind rein – so wird uns berichtet. Also geheilt. Was lernen wir? Wenn es darum geht, dass Mensch heil werden,
-dann muss man Grenzen überschreiten,
-dann muß man den Ekel überwinden vor allem angesichts derer, denen es am dreckigsten geht – die regelrecht in der Gosse oder in den Gettos der Unberührbaren gelandet sind.
– Und deren gibt es viele, nicht in den Slums der ärmsten Länder dieser Erde, sondern auch und vor allem im übertragenen Sinn, unter uns.
Das Heil muss dahin – wo die Welt und die Menschen am meisten kaputt sind. Die Gesunden brauchen keinen Arzt – obwohl die gelegentlich auch gerne mal krank sind, sondern die Kranken – so oder ähnlich hat es Jesus an anderer Stelle einmal gesagt.
Und nun wird das Ergebnis der ganzen ungeheuerlichen Aktion präsentiert.
Neun von denen, die gesund wurden,
– haben sich einfach aus dem Staub gemacht,
– sind nach Hause gegangen,
– haben das priesterliche Reinheitszertifikat ihren Angehörigen gezeigt
– sie wurden wieder gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft.
– sind vielleicht später sogar in den Tempel oder eine Synagoge gegangen, um sich zu zeigen
Aber umkehren, an den Ort der Hilfe und Dank sagen? Das hat nur einer geschafft.
– Dem war es ein Herzensanliegen,
– der konnte nach großartiger Erfahrung neu geschenkten Lebens nicht einfach so weitermachen wie bisher.
– Für den war das alles nicht selbstverständlich.
– Der hatte in dem heilenden Gegenüber den Gesandten Gottes erkannt.
Und das war ein Samariter. Die anderen müssen dann wohl Angehörige der richtigen Religion gewesen. Ausgerechnet ein Samariter, ein Angehöriger der zweifelhaften Religion. Einer, der im Verdacht stand und steht, den richtigen Glauben nicht zu kennen und zu praktizieren? Wirklich nicht?
– Ist denn das kein richtiger Glaube, wenn ein Mensch Gott die Ehre gibt?
– Ist denn das kein richtiger Glaube, wenn ein Mensch Dank für empfangenes Leben sagt?
– Ist denn das kein richtiger Glaube, wenn ein Mensch auch die Grenze überschreitet und hingeht zu dem, der geholfen hat, obwohl er aus einer ganz anderen Tradition stammt?
Das, liebe Gemeinde, ist nun das ganz und gar typische Denken des Lukas. Matthäus, Markus und Johannes mit ihren Evangelien entstammen dem jüdisch – christlichen Kreis. Lukas ist Grieche – kommt aus dem Heidentum. Deshalb können wir bei ihm ganz besonders das Ungeheuerliche des christlichen Glaubens lernen:
– Dieser Glaube kennt keine Grenzen, keine konfessionellen,manchmal nicht einmal religiöse.
– Dieser Glaube sucht den direkten Weg zu denen, die Hilfe brauchen.
– Dieser Glaube kennt keinen Ekel, auch nicht in den Slums und der Gosse.
– Dieser Glaube zeigt sich im Dank gegen den Geber aller guten Gaben.
Von diesem Glauben sagt Jesus: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.
Amen
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Erstellt am: 02.09.2013 19:20 Uhr