Puerto de la Cruz, Pfr. i.R. Johann Weingärtner
JOHANNES 11
Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta.
3 Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank.
17 Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen.
18 Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt.
19 Und viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders.
20 Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen.
21 Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.
22 Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.
23 Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.
24 Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.
25 Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt;
26 und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?
27 Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
Liebe Gemeinde,
worum soll es gehen bei uns hier in der Gemeinde? Was soll das Thema sein, die Grundmelodie, der cantus firmus? Das Evangelium des heutigen Sonntags enthält die Botschaft vom Leben, einem Leben trotz aller lebensfeindlichen Mächte, ja sogar des Todes. Für welche Botschaft entscheiden wir uns?
An diesem Sonntag in Bayern und in Gesamtdeutschland in einer Woche geht es um die Entscheidung, wer in der nächsten Zeit das Land mit welchen Botschaften regieren wird. Heute Abend wissen wir in einem Teil schon mehr.
Viele haben ihre Befürchtungen, was in Zukunft geschehen wird und was die tun wollen, die in wenigen Stunden oder einer Woche erfahren, dass sie wohl an den Entscheidungen beteiligt sein werden.
Werden es die richtigen Entscheidungen sein? Es geht um viel. Um die Zukunft nicht nur unseres Landes, sondern um Verantwortung für europäische, ja weltweite Missstände. Werden die bereinigt werden können? So fragen heute viele, die sich Sorgen machen um sich selbst, ihre Kinder und Enkel.
Es geht um Transparenz für undurchsichtig gewordenes Finanzgebaren, um Arbeitsplätze und gesicherte Altersversorgung, um Bildungschancen für möglichst alle und um Klimarettung oder – katastrophe.
Und es geht auch um Frieden im Nahen Osten, der sich mehr und mehr zu einem Pulverfass entwickelt hat, das schon oft genug explodiert ist, es weiter tut und seine Menschenopfer gefordert hat und fordert. Ein 1. kleiner Schritt ist seit vorgestern in Genf getan. Hoffen und beten wir, dass weitere folgen und das Töten ein Ende nimmt.
Also um recht viel, um fast alles, was das Leben ausmacht und gute Bedingungen für seine Gestaltung ermöglicht. In der Tat, es geht um viel.
In der gehörten Lesung aus dem Evangelium aber geht es um das Entscheidende. Da geht es eben um Leben und Tod und um die Rolle Jesu in diesem so ernsten Spiel. Viele von uns kennen die Sorgen, wenn ein nahe stehender Mensch schwer erkrankt ist. Wer kann helfen? Gibt es Hoffnung? Sind noch andere Heilmethoden, die eventuell anschlagen könnten, wenn die Schulmedizin versagt? Solche oder ähnliche Gedanken mögen die beiden Schwestern Martha und Maria umgetrieben haben, als ihr Bruder Lazarus schwer daniederlag.
Ich werde an zwei Schwestern und einen Bruder aus dem Umfeld meiner Gemeinde in Neumünster erinnert. Die waren eng bei einander, hatten jede und jeder ihren eigenen Lebensbereich an ganz unterschiedlichen Orten aber an den Wochenenden waren sie bei einander im gemeinsamen Elternhaus. Die beiden Schwestern – ob gemeinsam oder allein – sprachen stets von unserem Bruder, und man spürte: da war etwas ganz besonderes in dieser Gemeinschaft, die sicherlich nie ganz ohne Konflikte war. Wie das eben so unter Menschen ist. Übrigens auch bei Maria und Martha und Lazarus. Wir erinnern uns, dass sich Martha als die rührige einmal über Maria als die eher kontemplativ veranlagte einmal bei Jesus beklagte, dass sie sich nicht oder kaum an der Hausarbeit beteilige. Aber noch einmal zurück zu den Dreien aus der Umgebung Neumünster/Kiel in Schleswig – Holstein. Als dann „unser Bruder“ krank wurde und das Krankenlager zum Sterbelager wurde, da standen die beiden Schwestern in vorbildlicher Weise für ihn ein – so wie auch bereits beim Ehemann der einen Schwester. Jede und jeder konnte sich auf die anderen beiden verlassen bis hin zum Tod.
Gut, wenn solches Verhalten noch gelebt wird und nicht eine Situation wie bei anderen Todesfällen, die ich in der Türkei an der Südküste erlebt habe und ich die Bestattungen unter Umständen gestalten musste, an denen deutlich wurde, wie zutiefst egal sogar Geschwistern der Tod einer Schwester oder eines Bruders, der plötzlich oder im Urlaub stirbt, sein kann.
Das war nun bei den Dreien da in Betanien – Gott sei Dank – ganz anders, nahezu vorbildlich. Wir wissen nicht, was bereits alles an Heilungsversuchen für Lazarus in Angriff genommen worden war. Jedenfalls erinnern sich Martha und Maria an die Begegnungen, die sie in ihrem Hause mit Jesus gehabt hatten. Da war Vertrauen gewachsen. Und so schicken sie eine Botschaft zu ihm mit der Bitte um Hilfe. Gut, wenn Menschen Vertrauen haben. Eben auch in Jesus, den wir ja den Heiland nennen also einen, der heilen kann. Da ist viel Glaube und Vertrauen. Sicherlich nicht nur bei Martha und Maria, sondern bei vielen anderen in der langen Glaubensgeschichte, auch bei uns? Hoffentlich. Vertrauen ermöglicht gute Erfahrungen. Aber es kann auch enttäuscht werden.
Und das geschieht nun. Ausgerechnet das Vertrauen auf Jesus wird enttäuscht. Denn der lässt sich Zeit. Obwohl der Weg so weit nicht sein kann. Lazarus ist gestorben und liegt bereits vier Tage im Grab, als Jesus endlich eintrifft. Schmerzhafte Erfahrungen: Gebeten und gebettelt, und dann kam alle Hilfe zu spät.
Das erfahren Menschen, die auf eine Organspende warten. Aber es gibt viel zu wenig Spender, Und das ist für viele so etwas wie ein Todesurteil. Zu spät!
Das erleben Menschen, deren Angehörige oder Angehöriger zu spät aufgefunden wurde, nach einem Infarkt oder einem Schlaganfall. Die Reanimation war erfolglos oder die wichtige, die Verstopfung im Blutgefäß lösende Spritze wurde nicht rechtzeitig gesetzt. Zu spät!
Das geschieht in entfernten Gegenden, die vom Notarztwagen oder dem Rettungshubschrauber nicht so schnell zu erreichen sind. Wenn wir in einer Großstadt gewohnt hätten, wenn der Unfall auf der Autobahn passiert wäre – wenn, ja wenn, nun aber zu spät.
Und das geschieht, wenn die Bomben und Raketen mal wieder einschlagen und keine Medikamente und funktionierende Kliniken erreichbar, in Damaskus, Homs und Aleppo und anderswo.
Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben!
Nun sind wir am Ort der Enttäuschung angekommen. Es hätte noch gut werden können, wenn – aber es hat wohl nicht sollen sein. Was geschieht am Ort der Enttäuschung?
Viele werfen ihr Vertrauen weg. Das Vertrauen in die Struktur des Gesundheitswesens, das die einen bevorzugt und die anderen benachteiligt. Zwei – Klassenmedizin heißt eines der Reizworte unserer Zeit;
die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten rechtzeitig zu diagnostizieren oder beizeiten an einen Facharzt zu überweisen oder in eine Klinik zu schicken. Wie viele solcher Klagen habe ich in meiner langen Dienstzeit als Pastor bei Todesfällen mit anhören müssen; die Fähigkeit der Politiker und verfeindeter Bevölkerungs – oder Religionsgruppen Worte zu finden und Kompromissbereitschaft zu entwickeln, als nur die Sprache der Gewalt zu beherrschen. Aber eben auch immer wieder ins das Vertrauen auf Gott. Wie konnte er das zulassen. Warum musste es viele oder gar mich so hart treffen. Ich habe doch so fest geglaubt und gebetet, habe keinem Menschen etwas Böses getan. Womit habe ich das verdient? Und dann geht der Glaube – oder das was der eine oder die andere dafür gehalten haben – über Bord.
Ganz anders nun allerdings bei Marta: Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben. – so sagt sie. Was für ein Vertrauen.
Es endet nicht bei schwer belastender Todeserfahrung.
Es endet nicht, wenn die erfahrene Wirklichkeit der erhofften und erbetenen ganz und gar entgegengesetzt zu sein erscheint. Es endet nicht einmal an der Grenze des Lebens.
Man könnte meinen, dass Jesus schon gekreuzigt worden und wieder auferstanden wäre und Martha das alles als Augenzeugin miterlebt hätte. Wie kann ein Mensch bloß einen solchen Glauben aufbringen!
Ach, liebe Gemeinde, auch das habe ich oft genug erlebt. Und oft waren es einfache und schlichte Menschen, die sagen konnten: Als ich nicht mehr weiter wusste und nur noch Dunkelheit und Tod um mich waren, da, gerade da habe ich gespürt, dass Gott mir ganz nahe war. Da habe ich Kraft und Trost erfahren und manchmal wusste ich nicht einmal woher. Kleine Zeichen der Nähe, Worte, die meine Situation trafen und ich mich verstanden fühlte – das hat mir Halt gegeben und ich wusste und spürte: Gott hat mich trotz allem nicht verlassen.
Es hat Zeiten gegeben, da konnten Menschen das in besonderer Weise zum Ausdruck bringen. 10 Jahre lang bin ich Pfarrer in einer Landschaft gewesen, in der es auf engstem Raum 15 Kirchen romanischen und gotischen Ursprungs gibt – die Halbinsel Eiderstedt in Schleswig – Holstein. In fast jeder Kirche hängt ein so genanntes Triumphkreuz. Es zeigt den Gekreuzigten Christus mit geneigtem und mit Dornen gekröntem Haupt. Und aus den Längs – und Querhölzern des Kreuzes wachsen grüne Arkantusblätter. Der Arkantus ist das Zeichen des Lebens. Das 15. Jahrhundert, in dem diese Kunstwerke entstanden, war eine Zeit
voller Krankheit und Krieg. An den mitleidenden Christus haben sich die Menschen in ihrer Not gehalten mit ihm konnten sie sich identifizieren. Eine Haltung, die in einer Zeit, wo das Leid ausgeklammert wird, die Vorbilder für das Leben die kraftstrotzenden Männer und wohlgeformten Damen sind, ist diese Fähigkeit weithin verloren gegangen. Und wenn dann Leid erfahren wird, brechen Welt und Glaube zusammen wie ein Kartenhaus.
Aber zurück zur Geschichte der beiden Schwestern und dem toten Bruder. Auf die Äußerung des tiefen Vertrauens, das Martha Jesus gegenüber an den Tag legt, antwortet Jesus: Dein Bruder wird auferstehen.
Das ist nun eine gewaltige Aussage. Jesus zeigt den tiefen Sinn seiner Sendung: Die Überwindung des Todes. Seit Jesus Christus auf dieser Erde gestorben ist und das Grab sprengte, gilt dies: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Und dann füge ich gerne einen Satz an, den mein Kollege an der Nordsee immer wieder bei jeder Beerdigung gesagt hat: „Seit Christus für uns starb und auferstand, ist der Tod besiegt und wenn er uns ereilt, dann muss er uns, ob er will oder nicht, nirgendwo anders hinbringen als zu unserem Gott.“ Gut formuliert und richtig getroffen. Eigentlich ist nun schon alles gesagt. Mehr braucht der Glaube doch auch nicht, oder?
Die Geschichte geht noch ein wenig weiter:
Martha spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. Daran glaubt ja auch jeder ernst zu nehmende Christ und so bekennen wir es an jedem Sonntag. Das musste Martha noch einmal gesagt haben, nicht wahr? Sie weiß ja, woran sie glaubt. Und in dem Gespräch mit Jesus, das mit einem Vorwurf begann, steht am Ende nun ihr Bekenntnis, Martha hat ja gern das letzte Wort und wenn es ein dogmatisch richtiger Satz ist, dann darf es auch so sein.
Jesus setzt noch einmal nach. Dogmatisch richtige Sätze sind noch kein tiefer Glaube. Uns so sagt er die bekannten Worte, die ich an jedem offenen Grabe spreche:
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?
Glaube an die Auferstehung der Toten ist Glaube an den lebendigen Christus – das will Johannes uns sagen.
Rechnet nicht erst am Ende der Tage mit ihm und hofft nicht nur darauf, dass er euch dann gnädig sein wird.
Rechnet hier und jetzt mit ihm. Folgt ihm in dieser Welt, die Tod und Leid einerseits verdrängt, und obwohl sie beides gleichzeitig leichtfertig oder bösartig millionenfach produziert, nach. Steht auf gegen die Mächte des Todes, nennt Krieg und Hunger Unrecht, prangert Ungerechtigkeit an, die Menschenleben abschnürt.
Wagt die Auferstehung und den Aufstand der Liebe gegen den Hass hier und jetzt und heute und morgen.
Zu diesem Christus bekennt sich nun Martha, wenn sie sagt:
Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
Hier ist unser Predigttext zu Ende. Die Geschichte geht – wie Eingeweihte wissen – noch weiter. Jesus ruft Lazarus aus dem Grab und erweckt ihn zu neuem Leben. Ganz zur Verwunderung all der Mittrauernden, die ja immer dabei sind, mal mehr, mal weniger hilfreich.
Die Kommission der Theologen und Theologinnen, die die Texte für Sonn – und Feiertage festlegt, hat hier einen Schnitt gemacht. Ich finde das ganz sympathisch. Nicht, weil ich mich um die Auslegung des Wunders von der Auferweckung gerne drücke. Das traue ich Jesus allemal zu.
Der Lazarus ist im Übrigen ja auch wieder gestorben und zu Grabe getragen worden. Aber der Glaube an den lebendigen Christus, der mir hier und jetzt in dieser Welt und Zeit Kraft und Mut zum Leben und zum Eintreten dafür gibt, der reicht aus. Und auch der schöne Hinweis, dass – weil Jesus der Christus ist – der Tod mich zu meinem Gott bringen muss, ob er will oder nicht – das, liebe Gemeinde, ist mehr als genug. Wie sagt Jesus an anderer Stelle bei Johannes: Ich bin gekommen, dass sie das Leben und volle Genüge haben. Das gilt hier und jetzt und in Ewigkeit auch noch.
Diesen Glauben und dieses Vertrauen, ganz auf die himmlische Ewigkeit gerichtet und gleichzeitig ganz und gar an das irdische Leben gewiesen und gebunden – das möchten ich und auch meine Frau mit Ihnen teilen in den 10 Monaten, die vor uns liegen. Und dass diese Botschaft eine der Welt und den Menschen zugewandte ist, also die politische Dimension des Evangeliums, das wird bei mir wohl auch immer wieder durchscheinen. Auf jeden Fall aber gebe es der lebendige Gott, dass wir eine gute und gesegnete gemeinsame Zeit miteinander haben.
Amen
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Erstellt am: 16.09.2013 13:40 Uhr