PREDIGT AM VORLETZTEN SONNTAG DES KIRCHENJAHRES 16.11.2013

VON PFARRER JOHANN WEINGÄRTNER
MATTHÄUS 25, 31 – 46
31 Wenn Aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit,
32 und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet,
33 und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.
34 Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!
35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.
36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.
37 Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben?
38 Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet?
39 Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?
40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!
42 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben.
43 Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.
44 Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?
45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.
46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Liebe Gemeinde, das sind drastische, scharfe Konturen und deutliche Kontraste in diesem Gleichnis vom großen Weltgericht, das Jesus erzählt:
dunkel und hell,
schwarz und weiß,
gut und böse,
Rettung und Untergang.
Keine Grauzonen, kein wabernder Nebel. An Deutlichkeit kaum zu überbieten.
Das macht den einen Freude: Endlich mal kein sowohl als auch, sondern ein klares entweder oder.
Das macht den anderen eher Angst oder ruft Befürchtungen hervor: So eindeutig sind die Dinge nicht, auch die Menschen nicht. So klare und scharfe Unterscheidung hat manches Unheil angerichtet.
Wer entscheidet denn nun über gut und böse, hell und dunkel, schwarz und weiß?
Das in der Tat ist die Frage.
Künstler haben diesen Text als Vorlage genutzt. Unübertroffen das große Gemälde von Hieronymus Bosch. Der eine oder die andere von Ihnen hat das sicherlich vor Augen.
Ich werde an eine Wandmalerei aus der größten dänischen Dorfkirche in Dänemark, in Bröns an der Westküste, erinnert. Da gab es gleich zwei Bilder direkt neben einander. Das eine kurz vor der Einführung der Reformation und eines kurz danach gemalt. Gut, dass die Gemeinde den Mut hatte, beide Bilder in den 80er Jahren sorgfältig zu restaurieren.
Das Bild kurz vor der Reformation: Kirchenleute, angeführt vom Papst und der Kurie auf der einen Seite und die Reformatoren Luther und Calvin mit Gefolge auf der anderen, schreiten zum Weltgericht. Der Papst mit seinen Kardinälen marschiert geradewegs in den Himmel. Luther, Calvin und natürlich der Reformator des Nordens Johannes Bugenhagen und Konsorten stürzen einen Abhang hinunter in die Hölle.
Das Bild kurz nach Einführung der Reformation geht natürlich in die entgegen gesetzte Richtung. Zwar stürzt der Papst mit seinen Leuten nicht unmittelbar in die Hölle, aber ihm wird der Eintritt in den Himmel verweigert. Ein Wächter hält der Kurie ein Schild vor die Augen, auf dem zu lesen ist: Christus spricht: Ich bin die Tür. Den Reformatoren, die sich ja auf das berühmte „Christus allein“ berufen, bekommen mit ihrem Anhang unmittelbaren Einlass gewährt.
Und mit diesen beiden Bildern, liebe Gemeinde, wird nun ein entsetzliches Mitverständnis deutlich. Wenn sich Menschen dieses Gleichnisses Jesu vom großen Weltgericht bemächtigen, gleichermaßen göttliche Macht ergreifen, dann wird es grausam. Dies ist leider in der Kirchengeschichte und der Geschichte der Religionen immer wieder passiert. Es hat zu Ketzerverfolgung und Ketzerverbrennung geführt. Es hat zu Hexenverfolgung und – verbrennung geführt. Es hat zu Religionskriegen geführt.
Und ganz grausam wurde die Situation, wenn sich weltliche Mächte anmaßten, über gut und böse. lebenswert und lebensunwert zu entscheiden. Oder wenn sie meinten, das Urteil über Gut und Böse fällen zu dürfen oder eine Achse des Bösen meinten identifizieren und benennen zu können, wie es ein Präsident der westlichen Welt ja getan hat mit schrecklichen Folgen:
Krieg und Vernichtung
Menschverachtung und Völkermord
Unheil und millionenfacher Tod.
Der heutige Sonntag trägt auch den Namen Volkstrauertag. Wir haben insbesondere als Deutsche in unserer Geschichte mehr als Grund genug, nachzudenken und auch umzukehren.
Den 6 Millionen umgekommener Deutscher in Krieg, Flucht und Vertreibung und Bombennächten stehen 6 Millionen getöteter Juden gegenüber.
Gerade bei den letztgenannten Daten und Fakten hat man oft genug das Gefühl, dass das Weltgericht gelegentlich als Folge der Anmaßung göttlicher Heils – und Unheilskompetenz schon hier und jetzt geschehen ist und anderen Orts vielleicht geschieht. Und für die, die ernsthaft nachdenken, gibt es nicht einmal einen Grund, sich darüber zu beklagen.
Wenn Menschen den Richterstuhl besteigen, der Gott alleine gebührt, dann geschieht manchmal Weltgericht. Zumindest teilweise oder gelegentlich Recht hat Schiller, wenn er sagt: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Dies ist wohl das große Missverständnis, das von diesem Gleichnis Jesu ausgegangen ist und immer noch ausgeht.
Und es ist ein Gottesbild, ein Christusbild, dieses Bild vom Weltenrichter, das vielen gegen den Strich geht und das so gar nicht in das Bild vom gnädigen Gott, der doch vergibt und grenzenlos liebt, zu passen scheint.
Da ist uns das andere Christusbild, das uns im Gleichnis auch begegnet, schon näher oder gar sympathischer, ja, vielleicht sogar das einzig mögliche. Dem kann Glauben geschenkt werden.
Unser Gleichnis gibt uns ja Antwort auf die Frage, wie und wo uns Christus begegnet, vor allem heute, in dieser Zeit und unseren Glaubensvorstellungen entsprechend.
Christus trägt das Antlitz des hungernden Menschen, der um Essen und Trinken bittet. Beides wird ihm vielfach versagt, auch und gerade von denen, die die Ressourcen dieser Welt für Waffen und Vernichtungs-potentiale vergeuden.
Christus trägt das Antlitz derer, die in Lumpen herumlaufen müssen oder nackt und bloß sind, weil sie nicht das Nötigste zum Anziehen haben, während andere sich die Schränke voll stopfen und schon gar nicht mehr wissen, wessen Mode sie denn nun folgen sollen.
Christus trägt das Antlitz der Gefangenen, die weggesperrt werden, weil sie unbequem geworden sind, oder weil man Geständnisse von ihnen erpressen will, um die eigene Macht zu festigen oder erst einmal zu manifestieren.
Ich bin hungrig gewesen, ich bin durstig gewesen und nackt und im Gefängnis – so sagt Jesus. Da war ich zu finden, da hättet ihr mich suchen können oder da habt ihr mich aufgesucht. Denn bei den Geringsten, da war ich und da bin ich.
Eine ganze christliche Generation hat dieses Christusbild geprägt von den späten 60 er Jahren an, besonders auf den Kirchen – und Katholikentagen mit ihren lateinamerikanischen Messen und Aktionen gegen Krieg und ungerechte Weltwirtschaft.
Da stand weniger der Weltenrichter im Vordergrund. Da ging es auch weniger um das Ringen um einen gnädigen Gott, wie in den Zeiten der Reformation. Auf beiden konfessionellen Seiten übrigens, wenn auch mit je anderem Ausgang. Da ging es um den gnädigen Nächsten, der im Angesicht der Geschundenen das Ebenbild des Gekreuzigten zu sehen bereit ist.
Beide Christusbilder tauchen nun aber im in unserem Gleichnis auf. Der Weltenrichter und der in jedwedem Leiden solidarische bis in die letzten Tiefen Mensch gewordene Gottessohn.
Und sie gehören beide zusammen, liebe Gemeinde. Das eine Bild kann ohne das andere nicht sein.
Wer nur den Weltenrichter sieht und glaubt, läuft in die Gefahr, einen strafenden oder alternativ belohnenden Gott, der schwarz weiß malt, zu propagieren. So gerät er in die große Versuchung, selbst zu einem richtenden Menschen zu werden. Und der reklamiert ja in der Regel das Gute für sich und weist das Böse den anderen zu. So kann man die dann, wenn möglich und die Gelegenheit gut ist, auch noch eigenmächtig bekämpfen und sei es mit Gott für Volk und Vaterland auf dem Koppelschloss der Uniform. Eine der größten Gotteslästerungen des 20. Jahrhunderts.
Wer den Christus nur in den Leidenden sieht und nicht mehr als die letzte Instanz, vor der das Leben zu verantworten ist, der ist ebenfalls in Gefahr. Auch er teilt schnell in Gut und Böse ein und sieht sich gerne auf der Seite der Guten, manchmal auch Gutmenschen genannt, auch wenn er auf Gewalt verzichtet. Seine Waffe ist die Moral, die durchaus auch die Keule schwingen kann. Es gibt auch Gewalt ohne Waffen.
Nein, liebe Gemeinde – wir brauchen beide Bilder vom Christus.
Der Weltenrichter sagt mir, dass ich Verantwortung trage für mein Leben. Manchen Herren der Welt – den großen wie den kleinen, und Frauen sind auch darunter – könnte es ja so passen, wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme und sie bei Lebzeiten nach eigenem Gutdünken handeln könnten. So sagt es ein neueres Kirchenlied des katholischen Liedermachers Peter Janssens. So nicht – sagt Jesus in seinem Gleichnis. Christ – Sein ohne endgültige Verantwortung gibt es nicht. Gerade wer auf den gnädigen Gott hofft, weiß darum. So wird seine Gnade davor bewahrt, dass sie zur billigen Schleuderware verkommt.
Weil diese Gnade Gottes dem Christus das Leben gekostet hat, ist sie teuer und kann nur in seinem Namen und in seiner Nachfolge weitergegeben werden. Und sie muß besonders an die weitergegeben werden, die unter gnadenlosen Verhältnissen leiden im Hier und Jetzt, auf dieser Erde.
Wer den gnädigen Gott glaubt, wird zum gnädigen Nächsten – das ist die Botschaft des Gleichnisses vom Weltgericht. Es geht entweder nahezu automatisch, oder es fehlt die eine Seite des Christusbildes. Die Gerechten pochen ja nicht auf ihre guten Taten. Nein, sie wissen nicht einmal, dass sie sie getan haben. So eng ist beides mit einander verknüpft.
Und weil das nicht immer gelingt, weil dieser Automatismus gelegentlich gestört oder außer Kraft ist, darum, liebe Gemeinde, hat Matthäus dieses Gleichnis aufgeschrieben und überliefert. Er hat es für seine Zeitgenossen getan und auch für uns. Damals hat es in der frühen Christenheit Früchte getragen. In der Kirchen – und Weltgeschichte ist es oft einseitig gedeutet worden mit mehr oder weniger großem Unheil als Folge.
Möge es bei uns guten Boden finden.
Amen

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Erstellt am: 19.11.2013 13:23 Uhr

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