L I: Apg 2, 1 – 11 / Ev: Joh 20, 19 – 23
Schwestern und Brüder!
Wahrscheinlich begann damals dieser Tag in Jerusalem, der fünfzigste nach dem Paschafest, wie jeder andere auch. Juden aus aller Herren Länder waren in die Stadt gekommen, um hier das sogenannte „Schawuot-Fest“ mitzufeiern, wie sie es seit den Tagen des Mose kannten und wie es seitdem auch vorgeschrieben war. An diesem Fest erinnern sich die Juden einerseits an den Empfang der Zehn Gebote durch eben jenen Mose am Sinai, andererseits feiern sie es gleichzeitig als Erntedankfest. Zum Pfingstfest, wie wir es kennen, wurde es erst durch die Ereignisse an genau diesem Tag.
Unter den vielen Leuten die sich da in Jerusalem am Shawuotfest tummelten, fiel die kleine Schar verängstigter Menschen, die sich zu den Anhängern jenes Jesus von Nazareth zählten, gar nicht groß auf. Diesem Jesus hatte man vor ein paar Wochen den Prozess gemacht und ihn ans Kreuz geschlagen. Für die meisten Juden war er nur einer jener religiösen Eiferer, wie die Stadt sie schon oft erlebt hatte und deshalb konnte sein Schicksal sie – die Bewohner – kaum noch erschüttern. Ja, ich glaube man kann mit Fug und Recht sagen, dass Jerusalem zu der Zeit längst über die Vorkommnisse dieses Jesus und seiner Anhänger hinweg zur normalen Tagesordnung übergegangen war.
Doch auf einmal geschieht etwas, womit niemand gerechnet hatte: ein Sturm erfüllt das Haus, in dem sich die Jünger Jesu aufhalten. Plötzlich weht mitten in Jerusalem ein anderer Wind – oder wie die Bibel sagt: „Heiliger Geist, der Geist Gottes oder auch der Geist Jesu Christi!“ Zungen wie von Feuer verteilen sich, der Funke springt über und setzt die Frauen und Männer in Bewegung; begeistert sie, treibt sie an, zu ihrem Glauben zu stehen und davon zu erzählen und ihn zu leben. Aus Shawuot wird also für die gläubigen Christen Pfingsten und dieses Fest ist wie eine Art Brandstiftung! „Sie alle wurden erfüllt vom Heiligen Geist!“, so haben wir es in der Lesung gehört. Das ist Pfingsten – damals in Jerusalem; also doch kein Tag wie jeder andere.
Und wie sieht das nun bei uns aus, den Jüngerinnen und Jüngern Jesu von heute? Pfingsten, das ist für uns – wenn wir ehrlich sind – doch nicht mehr als ein Gedenktag; ein Fest, mit dem wir uns unsagbar schwer tun, weil es so wenig emotionale Inhalte und Zeichen liefert. Weihnachten ist da ganz anders und Ostern auch. Aber Pfingsten? Abgesehen davon, dass es eben ein Sonntag ist und noch dazu einen zweiten Feiertag mit sich bringt, ist Pfingsten doch nicht wirklich anders als jeder andere Tag auch – oder nicht?
Der dänische Religionsphilosoph, Sören Kierkegaard, hat seinen Zuhörerinnen und Zuhörern einmal folgende Geschichte erzählt: „Ein Haufen schnatternder Gänse wohnt auf einem wunderbaren Hof. Alle sieben Tage veranstalten sie eine herrliche Parade. Das stattliche Federvieh wandert im Gänsemarsch zum Zaun, wo der erfahrene und rhetorisch hervorragend geschulte Gänserich mit ergreifend-schnatternden Worten den Gänsen ihre Herrlichkeit kundtut. Immer wieder kommt er darauf zu schnattern, wie in alten Vorzeiten die Gänse mit ihrem mächtigen Gespann die Meere und Kontinente beflogen haben. Dabei vergaß er nicht, das Lob an Gottes Schöpfermacht zu betonen. Schließlich hat er den Gänsen ihre kräftigen Flügel und auch ihren unglaublichen Richtungssinn gegeben, dank deren die Gänse eben die Erdkugel überflogen haben.
Die Gänse sind immer wieder tief von den Worten des Gänserichs beeindruckt. Dann senken sie ganz andächtig ihre Köpfe und drücken die Flügel noch fester an den wohlgenährten Körper, der noch nie den Boden wirklich und für lange Zeit verlassen hat. Dann watscheln sie auseinander, voll des Lobes für die gute Predigt und den doch – ach so sprachlich schnatternd versierten Gänserich. Aber das ist auch alles. Fliegen tun sie nicht. Sie machen nicht einmal den Versuch, ja kommen gar nicht auf den Gedanken, dass das etwas mit ihnen zu tun haben könnte. Sie fliegen nicht, denn das Korn ist gut, der Hof ist sicher und das Leben hier doch so bequem. Auch für den beredten Gänserich….“
Sorry, liebe Schwestern und Brüder, wenn ich Sie so direkt frage: Erkennen Sie sich wieder? Ich für meinen Teil schon – und Sie?
Sören Kierkegaard hat also bereits schon im 19. Jahrhundert auf den Punkt gebracht, was der Geist Gottes bewirkt, wenn man ihn denn lässt bzw. was Glaube sein möchte und was eben nicht. In seinen Augen ist der Geist Gottes, der Heilige Geist, Feuer und das will sich in und durch uns ausbreiten! Wenn ich die Schriften Kierkegaards richtig verstehe und deute, dann würde er uns wahrscheinlich heute mit dieser Gänsegeschichte noch zusätzlich mit auf den Weg geben: „Normalerweise müsste den Menschen vor dieser Feuersbrunst des Christentums bange sein, mehr als vor allem anderen. Aber leider ist es so, dass ihr Christen da was Warmes, was Gemütliches draus gemacht habt. Ihr regelt das Feuer, das von Jesus ausgeht, auf eine angenehme Zimmertemperatur herunter; macht dann eure traditionellen Feste und Brauchtümer daraus – nur: aus all dem ergibt sich nichts, aber auch gar nichts Ansteckendes für die Menschen. Es gibt wohl keine Bewegung, keine Organisation, in der so folgenlos über Licht und Liebe geredet wird, als in den christlichen Kirchen.“
Eine ernüchternde Bilanz, die Kierkegaard da zieht. Ohne Zweifel. Aber trotzdem möchte ich gerne dagegen halten. Schließlich feiern wir Pfingsten und der Heilige Geist ist doch auch uns verheißen und geschenkt. Deshalb möchte ich Sie einladen, sich mal vorzustellen, wie das denn wäre, wenn wir alle von der Heiligen Schrift so ergriffen wären, dass wir endlich ernst machen würden mit dem Wort Gottes. Erinnern und vergewissern wir uns: Christus hat sich damals keine hervorragenden Dozenten erwählt, damit sie Lehren vermitteln, sondern er hat einfache Fischer berufen, damit sie Zeugnis geben; Zeugnis von seiner Frohen Botschaft – und zwar durch ihr Leben, durch ihr Tun. Wie hat damals der reiche Jüngling gefragt: „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?“. Und auch Petrus fragt: „Was sollen wir tun, Brüder?“ Und wenn wir wirklich ernst machen wollen, dann müssen wir uns wohl auf diese Frage genau die zwei einfachen Wörter zu Eigen machen, die Johannes den Täufer geprägt haben: „Kehrt um!“
Damit ist aber nicht ein Ortswechsel oder eine Richtungsänderung gemeint, sondern eine existentielle Kehrtwende. Wir dürfen das Wort der Heiligen Schrift nicht nur lesen, sondern wir sollen es leben. Dann wäre Feuer unterm Dach und dann würden wir wirklich zu „Brandstiftern“ im christlich-positiven Sinne werden. Dann würde nämlich Bewegung in unser Leben kommen und ein frischer Wind würde unser eigenes Lebensgebäude, wie auch das unserer Kirche, ganz gewaltig auffrischen und von Staub und alten Spinnweben befreien.
Sagen wir jetzt bitte nicht, dass so etwas nicht möglich wäre. Gerade an Pfingsten schaue ich persönlich ganz gerne zurück auf das II. Vatikanische Konzil. In einem seiner zentralen Texte über die Kirche in der Welt von heute heißt es: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst derer, die Christus nachfolgen.“ Aber eben nicht in dem Sinne, dass wir uns diesen Menschen besserwisserisch oder gar mit den Texten einer „reinen Lehre“ nähern, sondern in dem wir das, was sie bewegt, mit ihnen teilen. Wie dieses Teilen aussehen kann, das haben der frühere Aachener Bischof Klaus Hemmerle und auch der nicaraguanische Priester und Befreiungstheologe Ernesto Cardenal so formuliert: „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.“
Pfingsten ist die Geburtsstunde der Kirche, ist der Tag des Aufbruchs aus den alten Mauern der eigenen Tradition. Pfingsten lässt die Jüngerinnen und Jünger damals und sollte auch uns heute hinausgehen lassen zu den Menschen. Dabei geht es in unserem Tun nicht um einen bloßen Aktionismus, sondern um einen neuen Geist. Einen Geist, der auf die Regungen und Bewegungen der Herzen von Menschen hört und achtet. Einen Geist, der sich nicht in Grenzen festmachen und der sich auch nicht allzu schnell festlegen lässt.
Wenn wir alle so vom Geist Gottes ergriffen sind, dann laufen wir nicht mehr schnatternd über den Hof, sondern wir fangen an zu fliegen mit den Gaben und Fähigkeiten, die Gott uns – Ihnen und mir – gegeben hat. Dann richten wir uns nicht mehr nur bequem im Hof unseres Lebens ein, arrangieren uns mit allem und jedem, sondern wir fliegen und lassen uns vom Wind Gottes tragen. Gesetz den Fall – wir würden das tun, dann wäre wirklich Pfingsten und nicht nur ein Feiertag im Kalender. Amen.
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Erstellt am: 19.05.2013 08:15 Uhr