Predigt am Palmsonntag 2014 in Puerto de la Cruz

Philipper 2, 5-11
5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:
6 Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
7 sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
8 Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
9 Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,
10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
11 und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Liebe Gemeinde,
Vielleicht geht das ja gar nicht anders. Vielleicht muss man, wenn es um Christus geht, ein Lied auf ihn singen, einen Hymnus. Und einen solchen habe ich eben vorgelesen. Die urchristliche Gemeinde hat ihn gesungen. Die Melodie kennen wir nicht. Und eine neue zu schreiben, dazu fühlte ich mich nicht in der Lage. Das ist auch nicht gerade meine Kompetenz, Lieder zu dichten. Aber ein solches auf den Christus Gottes, der doch so ganz und gar Mensch war, das würde mir schon gefallen.

Und so habe ich danach gesucht. Nicht unbedingt nach Melodien. Mir ist auch nicht bekannt, dass eine auf diesen Christushymnus geschrieben worden ist, etwa so wie auf das Magnifikat der Maria. Manchmal kommt man der Form des Lobpreises ja schon mit einem Gedicht nahe. Ein solches fand ich in der Tat. Eine kleine Kostprobe: Die Textzeile, die ihm zugrunde liegt lautet: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein.

Er war wie Gott,
sah aus wie Gott
und hielt sich doch
nicht fest an Gott,
so wie ein Dieb den Beutel Geld
ganz fest in seinen Händen hält.

Luther hat fast ein wenig vornehm übersetzt: Er hielt es nicht für einen Raub. Wenn man genau übersetzt, ist damit in der Tat die Verhaltensweise eines Diebes umschrieben, der mit Gewalt nach einem Beutel mit Wertsachen greift, ihn an sich reißt und ihn begierig festhält.
Das hätte er, Jesus, ja mit seiner göttlichen Würde tun können.

Da war doch die Stimme vom Himmel bei seiner Taufe gewesen, die da sagte: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Das hätte er doch machtbewusst ausnutzen können. Das taten zu seiner Zeit in der römisch – hellenistischen Welt ja viele so genannte Göttersöhne, die durch das Land zogen, sich selbst ihrer göttlichen Qualitäten priesen, daraus Einfluss und vor allem auch Geld machten.

Nein, Jesus Christus tut das nicht. Das unterscheidet ihn von all denen, die das religiöse Spektakel unter seinen Zeitgenossen treiben. Und wenn Menschen Zeichen und Wunder als Beweis seiner göttlichen Herkunft von ihm forderten, dann lehnte er oft ab, ging einfach seinen Weg, denn:

Er war wie Gott,
sah aus wie Gott
und hielt sich doch
nicht fest an Gott,
so wie ein Dieb den Beutel Geld
ganz fest in seinen Händen hält.

Und nun fährt Paulus, nachdem er dargestellt hat, was Jesus Christus nicht tat, fort mit dem, was er an dessen Stelle gesetzt hat:
Sondern er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Sich entäußern, das ist ein schwieriges Wort. Was meint es? Tritt da einer aus sich selbst heraus? Fährt er gar aus seiner Haut? Und wenn Ja, in welch eine andere fährt er hinein? Eugen Roth hat einen solchen Prozess einmal so beschrieben:
„Oft führ man gern aus seiner Haut./ Doch wie man forschend um sich schaut,/ erblickt man ringsum lauter Häute,/ in die zu fahren auch nicht freute.“

Ob es den Christus gefreut hat, aus seiner göttlichen Haut zu fahren, und dann, ja dann wohin?
Wieder lasse ich den zeitgenössischen Nachdichter dieses paulinischen Christushymnus zu Worte kommen. Er überträgt die lutherische Übersetzung dessen, was die Entäußerung des Christus meint, in folgende Zeilen:

Was an ihm Gott war,
ließ er von sich
und wurde Mensch
wie du und ich
mit Hunger, Durst und Traurigkeit
mit Schmerz und Tod, mit Angst und Leid.
„Ich will so sein“,
sagt er, „wie ihr.
Doch will ich das tun,
was Gott will.
Mein Leben soll sein Leben sein.
Will er den Tod, so sterbe ich.“
(Hier ruft Paulus dazwischen:)
Und Jesus ist ja wirklich am Kreuz gestorben.

Heute Vormittag waren meine Frau und ich in La Laguna, um die Palmsonntagsprozession von der großen renovierten Kathedrale aus mitzuerleben. Es ist schon faszinierend, wie tief Frömmigkeit in einem Volk verwurzelt sein kann. Und dann sahen wir den Prozessionszug. Zunächst einige würdige Damen und Herren. Danach die Blaskapelle. Und dann kam eine Gruppe von Kindern, wie die anderen auch mit Palmenzweigen in den Händen, wie wohl auch seinerzeit beim Einzug in Jerusalem. Dann aber folgte im Zug der auf einem festlichen Wagen angebrachte der Esel mit Jesus darauf. Als ich dies sah, kam Widerwillen in mir hoch, ja sogar ein Anflug von Übelkeit. Jesus gekleidet wie ein hochwürdiger Potentat mit Purpurmantel und Strahlenkrone. Nein, liebe Gemeinde, so ist er nicht in Jerusalem eingezogen! Er trug das Gewand des Wanderpredigers aus Nazareth mit dem Staub der Straße daran. Deshalb ritt er ja auch einem Esel und nicht auf einem prachtvollen Pferd.
Warum können wir Menschen es so schwer ertragen, dass Gott sich so erniedrigt? Wollen wir den Christus, so wie Paulus ihn in unserem Bibelwort beschreibt, nicht? Ist er uns unerträglich? Oder wollen wir ihn so erniedrigt nicht, weil uns selbst die Teilhabe an Macht und Hoheit im weltlichen wie kirchlichen Bereich gleichermaßen lieber ist, als der beschwerliche Gang auf unteren Wegen in den Fußspuren der Machtlosen und Geknechteten, der Schuldigen und von Leid und Not Geplagten? Jesus ist diesen Weg gegangen bis zum bitteren Tod am Kreuz zwischen zwei Verbrechern. Da erlebt er seine Erhöhung, so wie er es bei Johannes sagt: Wenn ich erhöht werde von der Erde….. Und damit meinte er, welchen Tod er sterben würde. Der am Kreuz hängende Christus ist der erhöhte. Und wenn er später als der neben Gott thronende Weltenrichter geschildert wird, dann trägt er stets die Spuren des Kreuzes an sich oder wird als Lamm, das für andere geopfert wird, geschildert. Das ist der biblische Befund, liebe Gemeinde. Und der darf um Gottes und der Menschen willen nicht verfälscht werden.

Allerdings, so erstrebenswert ist das wahrlich nicht gewesen, die göttliche Existenz zu verlassen und in die menschlich allzu menschliche Haut zu fahren. Und dies alles, liebe Gemeinde, ist bei Jesus Christus eben nicht nur graue Theorie, die er seinen Zeitgenossen in flammenden Reden in die Ohren bläst. Nein, er praktiziert das. Er propagiert nicht nur den Weg nach unten, er geht ihn. Wo finden wir ihn denn? Welche menschlichen Existenzen haben es ihm besonders angetan?

Ich sehe ihn bei den Aussätzigen. Jene Kranken, die von einer Seuche befallen sind, die bei anderen nur Ekel hervorruft und sie auf Distanz gehen lässt. Er scheut sich nicht in die Siedlungen der Aussätzigen zu gehen, nicht einmal Berührung vermeidet er, die doch Ansteckung hervorrufen kann. Ausgrenzung auch auf die Gefahr eigener Infektion – das mag man auch übertragen verstehen – das ist nicht seine Art.

Ich sehe ihn in zweifelhafter Gesellschaft. Er isst und trinkt mit Sündern und Huren – so wird ihm vorgeworfen. Der gute Ruf, das ist nicht sein erklärtes gesellschaftliches Ziel. Vielmehr, das Rufen und manchmal nur halblaute Bitten von Menschen wahrzunehmen, die in einer unheilvollen Verquickung von Schuld und Schicksal ins Abseits geraten sind, das ist seine Art und dem geht er nach. Und indem er deren Nähe nicht scheut, ermöglicht er Gemeinschaft. So bringt er verkorkste Biographien wieder auf die Reihe, es ereignet sich im wahrsten Sinn Schalom: Heil und Heilung des Leibes und der geschundenen Seele.

Ich sehe ihn bei den Leidenden und Traurigen, die über Verlust und Minderung der Lebensqualität zu klagen haben. Er begegnet dem Trauerzug des Todes mit dem Zug des Lebens und des Trostes. Und am Ende erscheint er als der Lebendige den in Verzweiflung und Resignation erstarrten Jüngern mit dem Gruß des Friedens.

Der am Kreuz erhöhte Jesus ist der Christus. Und auch dann noch, wenn die Bibel ihn als zur Rechten Gottes als Weltenrichter sitzend beschreibt, trägt er immer noch die Nägelmahle des Gekreuzigten an seinem Leib. Er wird beschrieben als das Lamm – ein Opfertier – dem alle Würde und Herrlichkeit gebührt. Gott, der Mensch wird ganz und gar, der und der allein sorgt dafür, dass wir als Menschen in der Nähe Gottes sein dürfen, eben, weil er uns so nahe gekommen ist.
Der gestern war, ist heute gegenwärtig und wir morgen und in Ewigkeit derselbe. Eigentlich kann man sein Lob nur singen. Tun wir es nach dem mit dem Lied:

1. Jesus Christus herrscht als König,
alles wird ihm untertänig,
alles legt ihm Gott zu Fuß.
Aller Zunge soll bekennen,
Jesus sei der Herr zu nennen,
dem man Ehre geben muß.

2. Fürstentümer und Gewalten,
Mächte, die die Thronwacht halten,
geben ihm die Herrlichkeit;
alle Herrschaft dort im Himmel,
hier im irdischen Getümmel
ist zu seinem Dienst bereit.

3. Gott ist Herr, der Herr ist Einer,
und demselben gleichet keiner,
nur der Sohn, der ist ihm gleich;
dessen Stuhl ist unumstößlich,
dessen Leben unauflöslich,
dessen Reich ein ewig Reich.

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Erstellt am: 14.04.2014 19:27 Uhr

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