Predigt am Ostersonntag 2014 (24.04.)

L I: Apg 10, 34a.37-43 / Ev.: Joh 20, 11-18
In Osterfreude versammelte Schwestern und Brüder!
Wir feiern Ostersonntag und Sie fragen sich vielleicht: War das sonst nicht ein anderes Evangelium? Eines, welches davon erzählt, wie zwei Jünger zum Grab laufen? Richtig, das ist der erste Teil der Osterbotschaft. Das, was wir heute gehört haben, ist der zweite Teil und der wird leider Gottes häufig genug weggelassen. Aber das, was Maria von Magdala hier erlebt, das – so meine ich – kann uns die Botschaft von Ostern noch einmal ganz anders und vor allem viel eindrücklicher deutlich machen. Denn mit dem heutigen Fest ist ja auch für uns eine Frage verbunden, die jeden Christen zutiefst existenziell betrifft: Wie macht sich Auferstehung in meinem Leben bemerkbar? Tut sie das nämlich nicht, dann hinterlässt sie auch keine Spuren und wir müssten und sollten uns dann tatsächlich fragen, wozu wir heute hier überhaupt versammelt sind.
Schauen wir also auf Maria Magdalena, die mit Salböl und Tüchern zum Grab Jesu gekommen ist und die von diesem Grab weggeht, mit einem eindeutigen Auftrag im Kopf und in ihrem Herzen. Sie wollte den toten Körper von Jesus berühren, ihn salben und sich dabei ein wenig zurückträumen in die alten Zeiten. Aber sie darf ihn nicht berühren. Den toten Körper nicht und auch nicht den auferstandenen Leib. Und doch ist sie zutiefst berührt: „Ich habe den Herrn gesehen!“, sagt sie. Ja, Liebe hört am Grab nicht auf. Sie geht durch den Tod hindurch und verwandelt sich und verwandelt uns. Wenn wir das denn wollen.
Die Dichterin Hilde Domin, die ja selbst keine gläubige Christin war, hat so etwas nach dem Tod ihrer Mutter erlebt. Damals während der Nazidiktatur lebte sie im Exil in der Karibik. Weit weg von ihrer Heimat, der Muttersprache und den Traditionen, hat sie mit dem Tod ihrer Mutter die letzte Verbindung zu diesem alten Leben verloren. Sie las also den Brief mit der Todesnachricht, legte sich ins Gras und wünschte sich sehnlichst, dass das Leben einfach aus ihr herauslaufen würde. Dann stand sie auf und schrieb ihr erstes Gedicht. Damals war sie 42 Jahre alt. „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise, wie einem Vogel die Hand hinhalten.“ Solche Sätze sind ihrer damaligen Lebensmüdigkeit entsprungen. Wie das möglich war?
Nun die Geschichte von Maria Magdalena am Grab Jesu erzählt uns in symbolischer Sprache und gleichnishaft genau diesen Umschwung. Jesus war die große Liebe ihres Lebens. Ob sie es nun war, die er von 7 bösen Geistern geheilt hat oder ob sie nicht doch diese namenlose Prostituierte war, die Jesus die Füße gesalbt hat, darin ist sich die Bibelforschung uneins. Einigkeit herrscht aber zwischenzeitlich darüber, dass Maria Magdalena die erste Auferstehungszeugin war, und als solche ist sie eine Botschafterin unseres Glaubens bis heute. Nicht umsonst hat ihr der Kirchenvater Hippolyt von Rom bereits im 4. Jahrhundert den Titel: „Apostelin aller Apostel“ verliehen. Wäre die Welt damals also nicht patriarchalisch sortiert gewesen, sie hätte eine ganz andere Sukzession in Gang bringen können. Dann gäbe es seit 2000 Jahren keine Päpste, sondern lauter Päpstinnen! Mit Ausnahme der Protestanten. Aber die hätten dann seit 50 Jahren auch die Männer ins Priesteramt zugelassen.
Aber bleiben wir ernst: Wenn unsere Kirche meint, auf Priesterinnen nicht angewiesen zu sein, so war Jesus doch auf Maria angewiesen. Und den Verlust, den sie beim Tod Jesu verspürt hat, den kann man sich gar nicht groß genug vorstellen. Mit Jesus war ihr neues Leben zu Ende, ihre Liebe, einfach alles. Ganz anders dagegen die Jünger am Ostermorgen: Die hatten nicht nur mit Trauer, sondern vor allem mit Scham und Zweifel zu kämpfen. Was hatten sie nicht alles für ihn aufgegeben und jetzt ist er hingerichtet worden wie ein gemeiner Verbrecher. Wenn die Mehrheit überzeugt ist, dass die Hinrichtung in Ordnung ist, muss da dann nicht etwas dran gewesen sein? War er vielleicht doch nur einer von den vielen Heilern und Gurus, die sich für Gott gehalten haben? So zu denken ist nicht abwegig, wenn man es vernünftig betrachtet. Maria hat es da einfacher. Die Tradition gebietet ihr als Frau, jetzt nicht zu grübeln, sondern den toten Körper zu salben. Manchmal gebieten Traditionen etwas Heilsames. Nicht grübeln, sondern etwas tun. Sich dem Tod stellen und der Trauer Raum geben.
So kommt sie also mit Tüchern, Salben und Kräutern bepackt zum Grab und sieht, dass es leer ist. „Nicht einmal das ist mir vergönnt“, denkt sie und lässt ihrem Schmerz freien Lauf. Was dann die beiden Engel im Grab auf den Plan ruft. Sie fragen nach, locken den Schmerz noch mehr heraus und hören aufmerksam zu. Das ist alles, was Engel in so einem Moment tun. Mehr Trost geht auch nicht. Maria hat sich ja bereits in ihr Schicksal ergeben. Sie klagt nicht darüber, dass er tot ist. Sie klagt, dass man ihr nicht mal ihre Trauer lässt. „Sie haben meinen Herrn weggenommen“, sagt sie. „Wenigstens noch einmal berühren, ist das denn zu viel verlangt“? Die Engel haben ihre Lebensgeister geweckt. Sie ist jetzt nicht nur traurig, sondern auch wütend. Und auf einmal spürt sie, dass da einer hinter ihr steht. Der muss es sein, denkt sie sich. Der hat mir meinen Jesus weggenommen!
Wahrscheinlich kann sie die Gestalt nicht recht sehen. Es ist ja früher Morgen und die Sonne geht auf – hinter dieser Gestalt, im Osten. Sie knallt ihm also ihre ganze Trauer und Wut hin: „Wenn du es bist, der seinen Körper weggetragen hast, dann sag mir wenigstens, wohin. Holen kann ich ihn selber“! Und dann passiert er, dieser eine Moment. Der Moment, in dem die Sprengkraft der Auferstehung steckt, wunderbar gleichnishaft erzählt: Maria voller Trauer und Wut – hadernd mit Gott und der schlechten Welt – sie bekommt eine Antwort. Zwar keine Antwort auf ihre Frage, aber sie setzt Maria auf eine völlig andere Schiene. Die Antwort auf ihre Frage nach dem toten Leichnam lautet nämlich: „Maria“. Da hört sie es. Im Klang dieser Stimme ist alles wieder da. Ihr früheres Leben, ihre Geschichte mit ihm, wie er sie geheilt hat, wie sie ihm Essen gekocht hat, wie er ihr die Schrift erklärt hat. Alles ist wieder da mit diesem einen Wort: „Maria“.
Sie kann den Mann, den sie für den Gärtner gehalten hat, zwar nicht sehen, sie kann ihn nur hören. Aber das reicht ihr. Sie dreht sich um und antwortet: „Rabbuni! Mein Lehrer“! Sie greift nach ihm, so wie früher; sie will diesen Moment festhalten, IHN festhalten. Aber Jesus weicht zurück. „Fass mich nicht an! Halt mich nicht fest“! Weiß Jesus, was er da verlangt? 
Maria verbieten, ihn anzufassen!?! Anfassen, ist das nicht das Wichtigste im Leben? Anfassen muss ich als Mutter oder Vater das Kind, was mein eigen Fleisch und Blut ist. Anfassen will man den Menschen, den man liebt. Es heißt doch nicht umsonst, wenn man jemanden liebt: „Kannst Du gar nicht die Finger von ihr oder ihm lassen“. Und warum? Weil man sich fühlend vergewissern will, ja sogar muss, dass es wahr ist, dieses Wunder der Liebe. Das Anfassen erdet das Wunder, lässt es in der Welt sein. Vielleicht gibt es deshalb heute auch so viele Geräte zum Anfassen, Displays mit Touch-screen. I-Phone, I-Pad touch! Wenn schon digitale Technik, dann aber bitteschön wenigstens zum Anfassen.
Denken wir an Thomas, den Zweifler, der will Jesus auch anfassen. Und Maria will ihn anfassen, weil das zur Liebe dazugehört. Aber Jesus weicht zurück. „Berühre mich nicht, halte mich nicht fest“! Sagt er zu Maria Magdalena. „Denn ich bin der Auferstandene. Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater“. Ja, es gibt kein Zurück ins alte Leben, liebe Maria. Aber dieses alte Leben wird aufgenommen in ein Neues. Jesus verschwindet nicht in der Erde, nicht in der Bedeutungslosigkeit, sondern er geht hinauf zum Vater. Doch damit er das kann, muss er selbst loslassen und: er muss losgelassen werden. Ergo gilt: Erst wenn Maria loslässt, kann Jesus
den Weg zum Vater im Himmel gehen.
Auferstehung beginnt also für uns damit, dass wir Loslassen. Loslassen, was wir lieben. Die eigenen Kinder – loslassen. Die Liebe des Lebens, mit der einen so viel verbindet – loslassen. Das Projekt, für das ich so viel Herzblut investiert habe – loslassen. Das ist der Anfang der Auferstehung. Loslassen tut weh, aber es ist ja nicht alles. Alles Loslassen wird gehalten durch Gott selbst. Wer loslässt ist „von wunderbaren Mächten geborgen“.
Es ist am Grab, dass Maria ein neues Leben bekommt und einen neuen Auftrag: Hinausgehen in die Welt und erzählen, was Jesus ihr gesagt hat. Aber was hat Maria zu erzählen? Sie hat nichts gesehen, nur einen Gärtner. Und auch den nur in Schattenumrissen. Maria hat nichts gesehen. Sie hat nur gehört. Glaube kommt vom Hören, schreibt Paulus. Es ist nicht meine Vorstellung, die das Wesentliche des Glaubens ausmacht, also das, was ich sehen und benennen kann. Das Wesentliche ist die innere Verbundenheit. Dass ich höre, wie mich einer beim Namen ruft. Diese innere Gewissheit, die Verbundenheit. Die ist es.
Und was ist nun mit der Auferstehung? Objektive Beweise gibt es nicht. Es gibt nur den Moment, der mich berührt und mich dann auch bewegt. Es gibt nur das authentische Zeugnis. Es gibt uns hier in dieser Kapelle, die wir dem Geheimnis der Auferstehung auf der Spur sind. Jeder und jede von uns – unterwegs zwischen Wut und Trauer, Erstaunen und Bewegtheit.
Durch die Begegnung mit dem Auferstandenen bekommt Maria ihren aufrechten Gang zurück. Trotz ihres Verlustes kann sie sich am Grab aufrichten und aufrecht stehen. Sie kann den Tod Jesu in ihr Leben hineinnehmen, weil sie gewiss ist, dass es eine Zukunft gibt für sie. Nicht als Apostelin aller Apostel, sondern schlicht als erste unter denen, die Jesus nachfolgen und das Abenteuer wagen, mit dem Tod zu leben und auf Verwandlung zu hoffen. Jesus lebt und er braucht sie. Und uns braucht er auch. Amen.

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Erstellt am: 28.04.2014 19:13 Uhr

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