L I: Jes 52, 13 – 53, 12 / Ev: Joh-Passion 18, 1 – 19, 42
Schwestern und Brüder!
Der Altar ist leer, abgedeckt, ohne Schmuck. Was am Karfreitag im Zentrum steht, das ist einzig und allein das Kreuz. Dabei zeigt uns ein Blick auf dieses Kreuz eine beängstigende Enthüllung: Denn wir schauen hier auf den gescheiterten Versuch Gottes, das Himmelreich auf Erden wahr zu machen. Was wir sehen, sogar sehr real sehen, das ist der Mensch, der die Liebe Gottes in dieser Welt sichtbar machen wollte und der am Ende seines Lebens doch mit ausgebreiteten Armen am Holz dieses Kreuz hängt. Das ist die Botschaft dieses Karfreitages – und es ist, so meine ich, eine höchst doppeldeutige. Denn vordergründig betrachtet müssen wir sagen: Es waren andere, die ihm gewaltsam die Arme ausgebreitet haben. Eine unfassbare Grausamkeit ist ihm widerfahren und man fragt sich: Was muss wohl in diesen Männern vorgegangen sein, als sie diesem wehrlosen Menschen die Nägel in seinen Körper getrieben haben? Dabei sollten wir aber bitte nicht so tun, als sei eine solche Brutalität nur damals üblich gewesen. Genauso können wir heute doch auch fragen: Was geht denn wohl in Menschen vor, die andere mit Elektroschocks so lange malträtieren bis sie vor Schmerzen ohnmächtig werden? Was geht in Menschen vor, die so lange auf andere einschlagen, bis diese sich nicht mehr rühren? Warum sind Menschen in der Lage andere – im wahrsten Sinne des Wortes – bis aufs Blut zu quälen? Was geht in Männern vor, die Frauen brutal vergewaltigen? Wenn ich solche Nachrichten höre, dann versagt da oft meine menschliche Vorstellungskraft. Aber vielleicht hat ja die Jüdin Hannah Arendt recht wenn sie schreibt, das alles sind oft ganz normale Menschen – Menschen wie Sie und ich.
Nun ist aber das Hintergründige an diesen ausgebreiteten Armen Jesu etwas ganz besonderes: Diese Arme wirken auf mich nämlich wie eine Dokumentation des Grundes, weshalb man diesen Menschen hingerichtet hat. Denn das Ganze geschah doch nur, weil dieser Jesus Zeit seines Lebens die Arme ausgebreitet hatte. Und zwar für all jene, die ansonsten von den anderen nur zum Teufel gejagt werden. Diese ausgetreckten Arme sind also typisch für Jesus und sie machen deutlich, wie er den Menschen seiner Zeit begegnet ist. Mit offenen Armen ist er Kindern und Kranken gegenüber getreten; mit offenen Armen ist er auf all diejenigen zugegangen, die als Abschaum der Menschheit galten – auf die Zöllner, die Dirnen, die Ausländer und was sonst noch so alles als Gesindel unter den ansonsten ach so ehrenwerten anderen Personen angesehen wurde. Das gab natürlich Ärger – ohne Frage. Immer wieder wurde Jesus deshalb aufgefordert, dieses Engagement für die Ärmsten der Armen bleiben zu lassen. Aber nein, er hörte mit dem Arme ausbreiten nicht auf, weil er schlicht und ergreifend gar nicht damit aufhören konnte. Es herrschte die tiefste innere Überzeugung in ihm, dass Gott genauso handeln würde wie er und deshalb konnte er gar nicht anders, als gerade diesen Menschen so zu begegnen, wie er es getan hat. In den Erzählungen Jesu über den Vater, da wird dieser Gott doch auch als einer geschildert, der dem Verlorenen nachgeht; der den heimkehrenden Sohn nicht zur Rede stellt und erst einmal auflaufen lässt, sondern ihn ohne große Worte umarmt, küsst und wieder in Amt und Würden einsetzt. Wer weiß, was Liebe ist und was sie bewirkt, der versteht eine solche Handlungsweise. Und wenn wir ehrlich sind, dann würden wir das ja auch gerne verstehen; aber gerade wir sind es ja, die sich diesbezüglich immer wieder selbst im Wege stehen, weil wir andere aussortieren: Liebe – ja freilich, gut und recht. Aber eben nicht für jede und jeden. Jesus ist da aber das krasse Gegenteil von uns. Er wollte nicht aussortieren, sondern ihn drängte es nach einer Nähe zu allen Menschen – und genau das brachte ihn ans Kreuz.
Wenn ich das alles so betrachte, dann meine ich schon, dass wir heute oft
Gefahr laufen, Jesus immer weniger zu verstehen, weil die Pflege menschlicher Nähe und Zuwendung in unserer Zeit stetig abnimmt. Von Kindesbeinen an wird uns doch eingetrichtert, dass wir so zu leben haben, damit wir uns ja in dieser Welt zurechtfinden. Und das heißt: Ellbogen benutzen, sich einen dicken Panzer zulegen, ein gewisses Maß an Skrupellosigkeit aneignen, um ja nicht auf andere angewiesen zu sein, sondern sich selbst zu recht zu finden und sich durchzuboxen. Gefühle, die darf man heutzutage nicht zeigen bzw. sich nicht leisten, denn sonst ist man verraten und verkauft – so wird’s uns zumindest nur allzu häufig suggeriert.
Wenn dann allerdings einer daherkommt und dergestalt aus der Reihe tanzt, dass ihm Menschen wichtiger sind als Besitz, als eine reibungslose Organisation oder Karriere, dann bringt das ganz gewaltig Sand ins Getriebe. So wie auch Papst Franziskus mit seiner Sichtweise der Armen ganz gewaltig Sand ins Getriebe des vatikanischen Apparates und so mancher Exzellenzen und Eminenzen bringt. Ich persönlich freue mich sehr über diesen Papst, der die Armen und die Armut, die Zuneigung und Barmherzigkeit diesen Menschen gegenüber in den Mittelpunkt stellt. Aber wenn ich so manche Aussagen von Kirchenfürsten derzeit höre, dass die Kirche sich geradezu nach den Idealen eines Papst Franziskus gesehnt hat, dann fraeg ich mich schon: Was sagt er denn wirklich so Neues, was wir nicht auch schon vorher gewusst – aber eben nicht beachtet haben? Nur: Papst Franziskus lebt, was er sagt. Und das stört auch viele; denn das bedeutet Verzicht, ein sich Zurücknehmen und Hinwenden zu anderen. Jesus hat das vorgelebt – und deswegen hat er die religiöse Obrigkeit gestört und wurde aus dem Weg geräumt.
Das Kreuz, welches wir am heutigen Tag betrachten, zeigt wohin es führen kann, wenn man einem Menschen die Armfreiheit nimmt. Er blutet aus und stirbt. Wer aber Menschen die Nähe zu anderen Menschen raubt, der betreibt das Geschäft des Todes. Was ich damit sagen will? Vielleicht kann ich es mit den Worten am ehesten zum Ausdruck bringen, die eine Frau in einem Gespräch hier in San Telmo mir gegenüber geäußert hat: „Wissen Sie, was das Schlimmste beim Sterben meines Mannes war? Dass ich das Gefühl hatte, wie wenn bei jedem Streicheln seiner Wangen, bei jedem Halten seiner Hände der Tod mir ständig seine Fratze zeigte als wollte er mir sagen: Du kannst hier noch so viel Nähe versuchen; dein Mann wird sich immer weiter und weiter von dir entfernen und es gibt nichts, was diese Trennung aufhalten kann. Ja, dieses Gefühl war das Schlimmste!“
Genau das aber durchlitt auch Maria, die Mutter Jesu. Obwohl sie nur wenige Meter von ihrem Sohn entfernt war, hat der Tod diese Distanz immer mehr vergrößert. Und auch der Sterbende hat diese Verlassenheit so empfunden. Er war drauf und dran, sich von Gott verlassen zu fühlen, obwohl er sich doch Zeit seines Lebens aufs Innigste mit ihm verbunden wusste. Aber – und das ist für mich schlussendlich das Erstaunlichste – trotz alledem hat Jesus nicht aufgehört, anderen Nähe zu schenken. Weil er selbst nicht mehr umarmen konnte, hat er anderen aufgetragen, dies für ihn oder in seinem Namen zu tun. Wie sagte er zu Johannes? „Siehe da, deine Mutter!“ Und zu ihr sagte er: „Siehe da, dein Sohn!“ Und dann ist er erst gestorben. Grausam für die, die ihn liebten, weil der Tod menschliche Nähe zerstört. Aber unfreiwillig haben all jene, die ihn kreuzigten dafür gesorgt, dass wir uns genau daran erinnern. Dass die Arme Jesu eben auch in seinem Tod ausgestreckt bleiben. So sahen es nicht nur die Menschen damals, nein, so sehen auch wir ihn heute. Und auch heute gilt: Niemand wird von ihm aussortiert. Wie zeigt das etwas ungewöhnliche Kruzifix hier in San Telmo: „Ich werde alle an mich ziehen!“ Genau diese Worte hätten aber überhaupt keinen Sinn, wenn Gott diesem am Kreuz hängenden Jesus nicht Recht gegeben hätte. Wenn mit seinem Sterben wirklich alle Nähe unwiderruflich zu Ende gewesen wäre und die Tränen der Menschen, die ihn kannten und liebten niemals richtig trocken geworden wären. Aber Gott-sei-Dank ist die Nähe Gottes stärker als der Tod; auch wenn wir dies im Sterben geliebter Menschen oft erst nach Wochen, Monaten oder vielleicht sogar Jahren begreifen.
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Erstellt am: 29.03.2013 19:48 Uhr
