Predigt am Gründonnerstag 2014

L II: 1 Kor 11, 23-26 / Ev.: Joh 13, 1-15
Schwestern und Brüder!
Erinnern Sie sich? Letztes Jahr Gründonnerstag stand im Terminkalender von Papst Franziskus: 17.30 Uhr Jugendstrafanstalt „Casal del Marmo“ Abendmahlsmesse mit Fußwaschung. Die Kommentare in der christlichen Medienlandschaft fielen recht unterschiedlich aus; je nachdem, welchem Lager man den entsprechenden Journalisten zurechnen musste. Aber darum geht es gar nicht. Es geht vielmehr darum, dass der Papst hier ein Zeichen aufgreift, welches Jesus selbst gesetzt hat. Und – er führte es nicht im hohen Petersdom aus, sondern in einer Strafanstalt.
Schauen wir einfach mal genauer auf dieses Zeichen, welches auch wir heute hier nachher praktizieren wollen. Jesus hat es – seltsamerweise – nicht vor dem Mahl gesetzt, sondern während des Essens. Er ahnt dabei wohl, dass er mit den Seinen nie mehr so zusammenkommen wird, wie eben genau an diesem Abend. Für viele wäre das nun ein Grund, ein schriftliches Testament zu verfassen und es beim Notar zu hinterlegen. Oder, was durchaus auch noch in unsere Vorstellungswelt passen würde, den Seinen ein paar Verhaltensregeln oder Strategien zu hinterlassen frei nach dem Motto: „Wenn ich nicht mehr da bin, dann…“ Aber nein, ihm fällt dazu im kleinen Kreis vielmehr nur eine rätselhafte, ja fragwürdige und zugleich durchaus verstörende Geste ein; eine nicht vorauszusehende Herabbewe-gung, die seine Freundinnen und Freunde noch viele Jahre, ja Jahrhunderte und Jahrtausende beschäftigen wird.
Die Jünger liegen also – wie es in der damaligen Zeit üblich war – beim Essen zu Tisch. Durchaus verständlich, dass es da naheliegt, die staubigen Füße zu waschen oder sie zumindest mit Wasser abzuspülen. Bevor Jesus also in sein Leiden geht und sein Blut vergießt, fließt zuerst einmal Wasser über staubig daherkommende apostolische Füße. Es sind Füße, die hier erquickt werden und nicht nur durstige Seelen. Und interessant ist dabei, dass Jesus niemanden ausnimmt: Die Füße des Verräters Judas werden genauso gewaschen, wie die des Verleugners Petrus. Beiden erweist er diesen niedrigen Sklavendienst; mit beiden teilt er später auch das Brot des Lebens und den Kelch des Heiles. Allerdings wird Judas mit seinen frisch gewaschenen Füßen in die Nacht hinausgehen, um ihn zu verraten – und der andere, Petrus, der wird in dieser Nacht einen geistlichen Schwächeanfall erleiden und den Herrn und Meister verleugnen. Nur – Petrus kommt bei der ganzen Geschichte etwas besser weg; denn er hat später das Glück der Gnade, dem auferstandenen Jesus beim „heiligen Frühstück“ am Ufer des Sees zu begegnen. Ob da nicht doch eine Rolle spielt, dass er in der Jüngergemeinde eine besondere Rolle einnimmt? Aber soweit sind wir heute Abend noch nicht und deshalb lassen wir diese Frage einfach mal so stehen.
Ich möchte Ihnen lieber vermitteln, dass wir an diesem besonderen Abend gewissermaßen live in die Runde Jesu mit seinen Freunden zugeschaltet sind. Er schenkt uns – Ihnen und mir – denselben Gottesdienst wie den Zwölfen. Dabei bewegt mich die Frage: Was hat er unter uns zu suchen? Auch in der Eucharistie nimmt er ja keinen thronenden „Hochsitz“ ein, sondern bleibt zerbrechliches Brot „unter uns“. Er arbeitet quasi „unter Niveau“ und keiner von uns wird sich vordrängeln und ihn dort ablösen wollen. Der „Reine“ feiert „Gottes Reinigungs-Dienst“ an jeder und jedem von uns. Unser aller Leben ist ja mehr oder weniger „durchwachsen“. Aber heute ist die Stunde, in der er genau diesem – unserem durchwachsenen – Leben etwas Gutes tut. Er zeigt uns, wie sympathisch wir ihm alle sind, trotz oder auch gerade wegen der Dinge, die wir uns manches Mal so leisten. Der menschgewordene Sohn Gottes bringt seine überwältigende Menschlichkeit gewissermaßen auf den Punkt und überrascht selbst die, die meinen, ihn inzwischen wirklich zu kennen. Er überrascht sie mit zwei charakteristischen Handbewegungen: im Brotbrechen und in der Fußwaschung.
Die Fußpflege Gottes oder auch diese Wellness-Kur Jesu an uns will zeigen: Gott geht uns an die Haut unserer viel strapazierten Beine und Füße; der Körperteile, die uns mit dem Boden der Tatsachen, den staubigen Alltagswegen und den Sackgassen des Lebens in Berührung bringen. Sie zeigen einerseits die Spuren der Arbeit und andererseits die Narben des Alters. Denn wer unsere Füße sieht, der sieht durchaus auch etwas von uns. Dieser Anblick ist nichts für jeden; für manche oder manchen sogar eine echte Zumutung. Aber Jesus hält das aus. Immer mehr geht mir auf: Diesen Jesus kann in seiner Liebe zu uns Menschen nichts erschüttern. Vielmehr erschüttert er in seinem Tun den Felsenmann Petrus, den anscheinend so Unerschütterlichen. Dabei erinnere ich mich an ein Zeitungsfoto: Es zeigt auch eine Form der Selbstdemütigung, die kaum mit anzusehen war: Kastenlose in indischen Hindutempeln, die sich in den Bananenschalen und Essensresten der Reichen auf dem Boden wälzen. Selbsterniedrigung als Versuch der Selbsterlösung. Doch die Fußwaschung Jesu ist kein frommes Theater, sondern vielmehr ein Zeichen der Hochachtung und der physischen Zuwendung.
Ist das vielleicht der Grund, weshalb sich Petrus zuerst verweigert? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das bei ihm falsche Bescheidenheit wäre, dazu ist er lange genug in die Schule Jesu gegangen. Aber bei all dem ist er geistlich doch sehr auf sich selbst fixiert geblieben. Und so wie ich mich frage: Ob ich je diesem sich kleinmachenden Jesus zu meinen Füßen gewachsen bin, so wird sich das auch Petrus gefragt haben. Vielleicht hat er auch gespürt, dass er in diese Art von Sklavendienst mit hineingezogen werden könnte und will deshalb Jesus nicht zu sehr an sich heranlassen. Eine zu große Nähe kann nämlich auch Angst machen. Gott zu unseren Füßen – wo kommen wir denn dahin, wenn das Schule macht? Petrus ahnt, dass der Rollentausch Jesu kein Passionsspiel ist. Nein, Jesus geht mit gutem Beispiel voran. In dieser Abschiedsstunde darf Petrus sitzen bleiben; da muss er nicht der starke Fels sein. Hier und heute darf er die göttliche Fußpflege annehmen. Er wird dann zum Gebenden werden, wenn die Zeit gekommen ist. Dabei ist auch klar: es ist schwer – für einen Menschen wie uns wahrscheinlich sogar unmöglich – so lieben zu können wie Jesus; aber glauben Sie bitte nicht, dass es leichter ist, einen solchen Dienst anzunehmen, ihn an sich zuzulassen, sich Liebe und Reinigung gefallen zu lassen. Gründonnerstag ist der Tag der Einübung ins Christentum. Deshalb muss die Kirche immer wieder den Abendmahlsaal in Erinnerung rufen und selber zu einem solchen Saal werden. Lassen wir diesen unwiederholbaren Gottesdienst Jesu an uns heran. Er wird für uns heute spürbar in Brot und Wein, aber auch in der Fußwaschung. Er wäscht uns nicht den Kopf, sondern aus und in Liebe die Füße – und das will abfärben – auf Sie und mich.
Deshalb sollten wir ernst nehmen, was ein unbekannter Christ mal so formuliert hat: Die Stunde der Fußwaschung geht für uns Christen nie zu Ende. Vielmehr fragt Jesus mich mein Leben lang: Was habe ich für andere übrig? Wo muss ich über meinen Schatten springen? Welche schmutzigen oder vergifteten Verhältnisse muss ich ins Reine bringen? Wo ziehe ich jemandem anderen den Boden unter den Füßen weg?
Dieser Christ hat recht; diese Fragen stellen sich für uns alle. Aber zunächst dürfen wir einfach erfahren, wie gut es Gott mit uns meint. Das ist auch ein beschämender Augenblick. Aber diese göttliche Wellness-Kur tut gut. Gott weicht nämlich nicht nur die Hornhaut unserer Fußsohlen auf; nein, er, der über allem ist, ist uns zu Füßen; er steigt mit und für uns hinab in all die Untiefen, in denen wir uns manchmal selbst fremd oder gar unheimlich sind.

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Erstellt am: 28.04.2014 19:10 Uhr

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