Lesung: 1 Joh 3, 1-3 / Evangelium: Mt 5, 1-12a
Schwestern und Brüder!
Kennen Sie den Anfang der Vita des heiligen Nikolaus? Nicht? Dann möchte ich Ihnen die ersten Sätze aus der bekannten Legenda Aurea zitieren. Da heißt u.a.: „Nicolaus ist in der Stadt Patera geboren; er hatte reiche und heiligmäßige Eltern. Sein Vater hieß Epiphanes, seine Mutter Johanna. In der ersten Blüte ihrer jungen Ehe wurde ihnen Nicolaus geboren; anschließend lebten sie enthaltsam. Als ihr Sohn am ersten Tag gebadet werden sollte, stand er schon aufrecht in der Wanne. Darüber hinaus nahm er am Mittwoch und Freitag, weil das ja Fasttage sind, die Mutterbrust nur einmal.“
Sie schmunzeln? Das musste ich auch. Und doch fand ich gleichzeitig darin auch die Antwort, warum wohl niemand auf die Frage: „Wollen Sie heilig werden?“ unmittelbar und eindeutig mit JA antworten möchte. Denn von den Heiligen – und das gilt nicht nur für den heiligen Nikolaus – wird eben immer nur voll Ehrfurcht berichtet; so als wären sie wirklich Ausnahmegestalten, die bereits von Anfang an oder ab dem Moment ihrer Bekehrung nur so von Heiligkeit gestrotzt haben müssen. Klar doch, dass so ein Heiliger nur von heiligmäßigen Eltern abstammen kann und klar doch, dass diese nach der Geburt des Heiligen nur noch enthaltsam miteinander leben. Heiligkeit, so wie sie im Mittelalter definiert wurde, meint: Die Person ist immer weit mehr als der Durchschnitt; er oder sie ist außergewöhnlich, überdurchschnittlich – oder anders gesagt: nicht von dieser Welt. Nicht umsonst hält sich bis heute in vielen Köpfen von Christen die Gleichung: „heilig sein“ = „weltfremd sein“.
Menschen, die Heiligkeit so verstehen und Heilige auch so sehen, haben zunächst einmal viele Argumente auf ihrer Seite. Da brauche ich nur die Bibel aufzuschlagen und es werden mir unzählige Gründe für eine solche Sichtweise in die Hände gespielt. Das fängt bereits mit der Grundaussage im Alten Testament an, auf welche schon die Propheten immensen Wert gelegt haben. Heilig ist demnach in dieser Welt einzig und allein Gott. Nach ihrer Fasson ist Heiligkeit in dieser Welt nicht zu finden, da Gott nicht von dieser Welt ist. Allerdings haben die Menschen des ersten Bundes auch immer wieder für sich anerkennen müssen, dass ihnen Gott in dieser Welt begegnet. Wir kennen ja alle die Berichte über Erscheinungen und Orte, an denen der Heilige erfahrbar und gegenwärtig war. Orte, die dementsprechend so zu sehen waren, dass sie gar nicht mehr zur Welt gehören. Wie zum Beispiel der Ort, an dem dann der Tempel gebaut wurde. Das ist „heiliger Boden“, also nicht mehr zur Welt gehörend. Und deshalb waren natürlich auch die etwas Besonderes, etwas heiliges, die dort ihren Dienst leisteten.
Nur dumm, dass dieser eine Gott die Definition von uns Menschen bezüglich der Heiligkeit korrigiert hat. Was nämlich nach der Definition der Menschen schlichtweg unmöglich war, das genau hat Gott getan. Er kam in diese Welt – der Heilige wurde Mensch. Dadurch hat er uns aber mehr als deutlich gemacht, dass diese Welt, in der wir leben, keinen Gegensatz zu seiner Welt darstellt. Sie gehört so, wie sie ist, zu ihm; hier ist er zu finden und hier ist er als der Heilige anwesend. Also ist die Welt nicht länger Ort des Unheils, sondern des Heils. Und was noch viel spannender ist: Die Menschen in dieser Welt sind auch heil, geheiligt durch den Anteil, den sie als Kinder Gottes haben. Jesus Christus hat das mit seiner Frohen Botschaft versucht deutlich zu machen, aber nur wenige haben es wirklich gemerkt. Menschen wie zum Beispiel Paulus.
Er war einer der wirklich begriffen hat, was es heißt, wenn Jesus sagt, dass er uns im anderen begegnet. Dann begegnet uns im Mitmensch eben ER – Gott selbst. Wenn mir aber in den Mitmenschen Christus bzw. Gott selbst begegnet, dann sind Sie und ich aber auch so etwas wie Heilige, weil ER in uns ist. Diesen Gedanken hat Paulus konsequent umgesetzt und deshalb zum Beispiel seine Gemeinde in Korinth mit den Worten angeschrieben: An die Heiligen bzw. die Geheiligten in Korinth. Und er hat das geschrieben, obwohl ihm sehr wohl bewusst war, dass die Menschen in Korinth alles andere als vorbildlich waren, alles andere als Heiligenfiguren, wie man sie bis dato wohl sah. Wir kennen ja all die Berichte von Fress- und Saufgelagen, die er in seinen Briefen erwähnt hat. So manch einer war da sturzbesoffen, bevor der Gottesdienst überhaupt richtig angefangen hatte. Aber er nannte sie trotzdem Heilige, weil Heiligkeit eben kein Dienstgrad ist, den ich mir irgendwie erarbeiten könnte und weil Heiligkeit nicht bedeutet, aus der Welt auszuwandern oder sich ihrer zu enthalten. Nein, heilig ist bei Paulus konsequent, wer oder was zur Welt Gottes gehört. Genau deshalb würde er aber, ich habe das schon einmal an anderer Stelle gesagt, heute an uns schreiben: An die Heiligen von San Telmo. Dass wir das auch heute noch komisch empfinden zeigt doch nur, dass wir uns mit einer solchen Definition, wie Jesus sie von der Heiligkeit gegeben hat, immer noch schwer tun oder sie noch nicht recht begriffen haben. Für viele gilt auch heute noch die Vorstellung: heilig = weltfremd. Aber Heiligkeit ist keine Absonderlichkeit, sondern der Normalfall. Normalfall, weil es nach Gottes Willen schlicht und ergreifend normal ist, dass wir zu ihm gehören.
Wenn wir also heute Allerheiligen feiern, dann feiern wir nichts anderes als die zum Normalfall gewordene Heiligkeit, die Zusage Gottes in Jesus Christus, die an alle Menschen ergeht. Die, die besonders bekannt sind, aber auch wir. Wir sind heilig, weil wir zu ihm gehören. Wenn wir also vorhin auch an der Frage erschrocken sind, ob wir heilig werden möchten, so will ich Ihnen sagen – diesen Gedanken dürfen wir nicht nur haben, sondern den müssen wir sogar haben. Denn schließlich hat ein solcher Gedanke nichts mit Überheblichkeit oder gar Selbstüberschätzung zu tun; nein – „Heiligkeit“ ist nicht etwas für Extremchristen, sondern vielmehr ein Projekt für Sie und für mich. Es führt mich nämlich nicht aus dem Alltag unseres Mensch- und Christseins heraus, sondern vielmehr mitten hinein. Eine kleine Geschichte kann uns das verdeutlichen:
„Es war einmal ein kleiner Junge, der so gerne Gott treffen wollte. Er war sich bewusst darüber, dass der Weg zu dem Ort, an dem Gott lebte, sehr lang war. Also packte er seinen Rucksack voll mit Coladosen und einigen Schokoriegeln und machte sich auf den Weg.
Er lief eine ganze Weile, bis er in den Park kam. Dort sah er eine alte Frau auf einer Parkbank sitzen, die den Vögeln beim Fressen zusah. Der kleine Junge setzte sich zu ihr und öffnete seinen Rucksack. Er wollte sich gerade eine Cola aus der Tasche holen, als er den hungrigen Blick der alten Frau sah. Also griff er zu einem Schokoriegel und reichte ihn ihr. Dankbar nahm sie die Süßigkeit an und lächelte. Es war ein von Herzen kommendes Lächeln. Der Junge wollte es noch einmal sehen und bot ihr auch eine Cola an. Sie nahm die Büchse, lächelte wieder – sogar noch strahlender als zu-vor. Der kleine Junge war selig. So saßen die beiden den ganzen Nachmittag auf der Parkbank, aßen Schokoriegel und tranken Cola – aber sie sprachen kein Wort.
Als es dunkel wurde, spürte der Junge, dass er müde wurde und er beschloss, nach Hause zurück zu gehen. Nach ein paar Schritten hielt er inne und drehte sich um. Er ging zurück zu der alten Frau und umarmte sie. Da-für schenkte ihm die alte Frau ihr allerschönstes Lächeln. Zu Hause sah seine Mutter die Freude auf seinem Gesicht und fragte ihn: „Was hast du denn heute Schönes gemacht, dass du gar so fröhlich aussiehst?“ Und der kleine Junge antwortete: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – und sie hat ein wundervolles Lächeln!“ Auch die alte Frau war nach Hause gegangen, wo ihr Sohn sie schon erwartete. Auch er fragte sie, warum sie denn gar so fröhlich aussah. Und sie antwortete: „Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen – und er ist viel jünger als ich gedacht habe!“
Eine mehr als nachdenkliche Geschichte – finden Sie nicht auch? Sie erzählt ganz normale und alltägliche Dinge: wie zwei Menschen sich treffen; nichts Besonderes tun, sich aber gegenseitig beschenken. Für beide aber ist es so, als wären sie Gott selbst begegnet. Ja sie spüren etwas davon, was es heißt, dass Gott für uns in der Gestalt von Menschen erfahrbar ist und wir deshalb heilig sind.
Heilig zu sein oder heilig zu werden ist also nicht das Ergebnis besonderer Verdienste. Nein, es geht um so einfache Dinge wie den Schokoriegel und die Cola zu teilen, ein Lächeln zu schenken. Das ist nichts Besonderes und doch ist es so unsagbar viel. So sollten wir als Heilige den Seligpreisungen Folge leisten und zupacken und helfen, wo es nötig ist; sollten wir mit einem Lächeln unsere Umgebung verändern. Einfach Menschen sein, die durch ein menschliches Leben von Gott erzählen – ohne dabei große Worte zu machen. Spüren Sie, wie leicht Heiligkeit geht?
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Erstellt am: 03.11.2014 19:08 Uhr