Lesung: 2 Sam 5, 1-3 / Evangelium: Lk 23, 35-43
Schwestern und Brüder!
Denken auch Sie mitunter gerne an die Tage Ihrer Kindheit zurück? Manches, was man da so allein oder auch mit anderen erlebt hat, ist einem oft nachhaltig in Erinnerung. Bei uns war es so, dass wir – bevor so die Zeit des Winnetou und Old-Shatterhand-Spielens begann – dass wir da meistens Märchen nachgespielt haben. Ein toller Zeitvertreib, der im Kindergarten häufig seinen Anfang nahm und dann mit den Nachbarskindern zu Hause fortgesetzt wurde. Da reichte oft schon eine Wolldecke als königlicher Mantel, ein alter Hut meines Vaters als Krone und ein ausrangierter Kochlöffel als sogenanntes königliches Zepter. Ja und so waren wir Kinder dann ganz ernst und feierlich bei der Sache, während die Omas und Opas aus der Nachbarschaft, die uns oft zusahen oder vielleicht auch belauschten, sicherlich insgeheim über unsere Aktivität oder auch Naivität gelächelt haben.
Was solche Gedanken mit dem heutigen Fest zu tun haben? Mir wurden sie wieder bewusst, weil ich mir dachte: So wie wir damals wohl häufig genug lächerlich gewirkt haben, so hat wohl auch Jesus auf viele mehr als lächerlich gewirkt, wie er da so in Jerusalem eingezogen ist. Er, der für sich den Anspruch hatte ein König zu sein, kam nicht auf einem glänzenden Wagen und zu einem schmucken Pferd hat es auch nicht gereicht. Ein Esel war sein Fortbewegungsmittel und anstelle von Fahnen und Standarten wurden Palmzweige geschwenkt; der rote Teppich wurde durch die Lumpen der Bettler ersetzt und die obligatorische Musikkapelle durch das Geschrei der Kinder. Dass Jesus dann vor dem römischen Statthalter noch einmal dezidiert bekräftigt hat: „Ja, ich bin ein König!“, das muss den Führern des jüdischen Volkes mehr als peinlich gewesen sein. Sicherlich: den Römern war dies letztlich gleichgültig. Sie haben Jesus als König verhöhnt und sein Kreuz mit einem entsprechenden Schild versehen. Aller Protest der jüdischen Autoritäten war umsonst, denn Pilatus ließ sich diesbezüglich nicht mehr umstimmen: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.“ Damit wollte er die ganze Nation verspotten und zeigen, welch jämmerlicher Kerl ihr König, ihr Messias doch ist. Das aber hatte Wirkung – damals genauso wie heute. Viele, die am Kreuz vorbeikamen, ließen ihrem Spott freien Lauf – und wenn wir ehrlich sind, dann ist es bei manchen so geblieben bis auf den heutigen Tag.
Genau das ist aber auch der Grund, weshalb sich der Gekreuzigte von Anfang an als ein riesiges Problem bei der Verkündigung der christlichen Botschaft erwiesen hat. Die Kunde von der Auferstehung – welche uns heutzutage oft vor ein Problem stellt und ja auch durchaus Christen oft zweifeln lässt, wenn man den Umfragen dazu Glauben schenken mag – diese Kunde war für die Menschen damals lange nicht so anstößig wie sein Sterben am Kreuz. Zwar gab es einen solchen Glauben an die Auferstehung auch nicht alle Tage, aber wenn schon einer der Sohn Gottes ist, dann ist das doch durchaus im Bereich des Möglichen, dass er wieder aufersteht. Unvorstellbar dagegen war, dass ein Sohn Gottes am Schandpfahl eines Kreuzes ohnmächtig verblutet. Nein – ein Sohn Gottes, der muss die Macht haben, vom Kreuz herunter zu steigen, seine Macht zu zeigen und sich nicht einfach in sein Schicksal zu ergeben. Doch genau das ist eben nicht passiert.
Lukas schildert uns in seinen Zeilen überaus anschaulich, wie sehr sich die Geister am Gekreuzigten scheiden. Dabei bedient er sich der beiden Verbrecher, die links und rechts von Jesus aufgehängt wurden. Diese beiden zeigen mehr als deutlich: Ablehnung auf der einen und Zustimmung auf der anderen Seite. Ja, ich möchte behaupten, diese beiden stehen stellvertretend für alle Menschen, die dem Gekreuzigten bislang begegneten und noch begegnen werden. Für die einen wird er immer Anlass zu bitterem Spott, für andere Motivation zum mutigen Bekenntnis sein.
Dabei laufen wir, die wir uns auf der Seite der Bekennenden wähnen, immer auch Gefahr, die Spötter schnell und voreilig zu verurteilen. Aber ich muss ihnen sagen, ich kann durchaus verstehen, wenn ein schwerkranker oder gequälter Mensch zu Jesus sagt: „Wenn du der Messias bist, dann hilf doch dir und hilf auch mir. Was bitte schön hilft mir denn ein Gottessohn, der ohnmächtig ist, der mich zugrunde gehen lässt?“ Und ich spüre aus einer solchen Aussage nicht nur Spott, sondern tiefe Verzweiflung. Ja, an diesem ohnmächtigen Christus, da ärgern sich Menschen bis auf den heutigen Tag. Ein Jugendlicher hat es mal drastisch mit folgenden Worten formuliert: „Der tut doch nichts. Ich aber brauch einen, der mir aus meinem Schlamassel heraushilft.“ Nicht jeder würde es vielleicht so in Worte fassen. Aber ich denke, dass vielen Menschen solche Gedanken nicht fremd sind, und das sind häufig genug nicht nur die sogenannten „Kirchenfernstehenden“. Auch Menschen, die sehr viel beten, sich mit ihrem Glauben auseinandersetzen und sich für andere einsetzen fragen natürlich mitunter: „Was soll das alles, wenn sich doch nichts ändert? Von diesem Gott der Liebe, den Jesus gepredigt hat, ist nicht viel zu spüren und schon gar nichts zu sehen. Er lässt allem seinen Lauf und bleibt stumm und verborgen.“
Verstehen kann ich solche Gedanken mehr als gut. Aber als befreiend empfinde ich, wie der andere Mitgekreuzigte sich verhält. Er tritt nicht mit Forderungen an Jesus heran, sondern geht in sich. Er stellt für sich fest: „Ich habe mir das Kreuz aufgrund meiner Verbrechen selbst zuzuschreiben. Aber bei diesem hier, da wird die Liebe gekreuzigt.“ Dieser Mann sieht sich, wie er ist – und er fängt an, die Stärke, die Belastbarkeit und das Durchhaltevermögen der Liebe Jesu zu begreifen. Er spürt diese andere Macht und bittet: „Denk an mich, wenn du mit deiner Königsmacht kommst!“ Sicherlich: Dieser Mann stirbt auch. Es gibt für ihn keine Befreiung vom Kreuz, kein wunderbares Eingreifen des Himmels. Er stirbt nicht mit weniger Schmerzen als sein Komplize – und dennoch sind die beiden in diesem Moment so weit voneinander entfernt, wie Nord- und Südpol oder auch wie Ablehnung, Hass und Bitterkeit vom Frieden nur getrennt sein können.
Jesus sagt: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“ Heute noch meint: In dieser Stunde, mit deinem Tod, da beginnt das Paradies. Da bist du bei mir und du wirst erkennen, dass dein Leben nicht umsonst war. Auch wenn deine letzten Jahre einem Scherbenhaufen geglichen haben und obwohl du jetzt nur noch wenige Minuten zu leben hast. Nicht die Verzweiflung hat für dich das letzte Wort, sondern der Friede. Und genau diesen Frieden hat er in dem neben sich gekreuzigten Jesus gefunden. Er spürt bei ihm deutlich, wie sehr seine Botschaft und sein Leben identisch sind und dass er selbst im Angesicht des Todes noch ein gutes Wort für andere hat.
Für mich sind die beiden Verbrecher, die mit Jesus gekreuzigt wurden, unsere Brüder. Und zwar so gesehen, dass niemand von uns ohne Schuld ist und niemandem das Kreuz in irgendeiner Form erspart bleibt. Aber die Macht des Christkönigs Jesus erweist sich nicht daran, dass er von diesem Kreuz befreit, sondern dass er sich solidarisch helfend und zärtlich liebend den Menschen zuwendet, Schuld vergibt und so in einem kurzen Augenblick das ganze lange und oft leidvolle Leben sinnvoll machen kann. Durch diesen Christus König wird mir bewusst: Nur eine auch in Demütigung und Spott durchgehaltene Liebe, kann diese Welt tatsächlich verändern. Nur eine Hoffnung, die auch in aussichtslosen Situationen auf Gott setzt, hilft schlussendlich weiter. Nur einer, der sich schwach zeigen und Schwächen zugeben kann, ist wirklich stark und nur die Liebe, die in der Ohnmacht Liebe bleibt und eben nicht in Hass umschlägt, ist wirklich mächtig.
So ist diese Königsherrschaft Jesu immer auch eine immense Herausforderung an uns – seine Kirche. Unsere Kirche – wir – besitzen viele Gesichter: traurige, lachende, verstaubte, mächtige und liebevolle. Mit der mächtigen, der triumphierenden Kirche tue ich mir schwer, wenn ich an Christus, den König denke. Wenn ich auf ihn schaue, dann ist mir die Kirche sympathischer, die von unten kommt; die sich oft schwer tut und nur mühsam Antworten findet auf die drängenden Fragen der Zeit; eine Kirche, die den Menschen nachgeht und ihnen entgegenkommt; eine Kirche, die versucht für die Menschen da zu sein, die niemanden abschiebt oder ausschließt; eine Kirche, die auch um ihre Begrenztheit und um ihre Schwachheit weiß.
Aber zu einer solchen Kirche werden – genau so wie zu dem Gekreuzigten – wohl manche sagen: „Darauf kann ich verzichten! Das ist nicht mein Ding!“ Nur: Ich denke, dass all jene das wahre Leben finden, die auf jegliche Macht verzichten und dem Königtum der Liebe tatsächlich eine Chance geben. Denn Macht ist vergänglich – aber die Liebe bleibt – für immer. Amen.
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Erstellt am: 25.11.2013 15:06 Uhr