Predigt am 6. Sonntag der Osterzeit 2013 (05.05.)

Lesung I: Apg 15, 1f.22-29 / Evangelium: Joh 14, 23-29
Schwestern und Brüder!

Wo Menschen zusammen leben oder zusammen arbeiten, da gibt es immer auch Meinungsverschiedenheiten. Das kennen wir aus eigener Erfahrung und damit sag‘ ich Ihnen auch überhaupt nichts Neues. Weitaus spannender ist doch vielmehr die Frage: Wie werden solche Meinungsverschiedenheiten ausgetragen?
Und da gibt es nun wirklich unterschiedliche Vorgehensweisen. Wenn wir derzeit zum Beispiel auf den „Krisenherd“ Europa schauen, dann erleben wir, wie mit Macht und Drohung der jeweils andere unter Druck gesetzt wird. Als Sieger kann sich feiern lassen, wer sich am Ende durchgesetzt hat. Doch die Folge einer solchen Vorgehensweise bedeutet oft nur: der Unterlegene fängt im Stillen sofort an darüber nachzudenken, wie er sich bei der nächsten Auseinandersetzung revanchieren kann. Was so für die große Politik gilt, gilt in ähnlicher Weise auch für die Streitfragen innerhalb unserer Familien oder Partnerschaften. Wo Lösungen von Problemen und Meinungsverschiedenheiten nur als Machtfragen gesehen werden, da sind die nächsten Konflikte bereits vorprogrammiert. Gemeinsam gefundene Lösungen, die von allen aus Überzeugung mitgetragen werden, sind also allemal besser und von größerer Dauer.
Was so für uns Menschen oder gesellschaftliche Gruppen gilt, das gilt in derselben Weise auch für unsere Kirche. Auch da gibt es Meinungsverschiedenheiten, Auseinandersetzungen und Streitigkeiten. Nicht wenige sehnen sich deshalb nach der guten alten Zeit zurück, wo man noch wusste, woran man mit der Kirche war. Die kirchliche Autorität – also in den meisten Fällen Rom – entschied Streitpunkte im Alleingang und wer sich nicht beugen wollte, wurde eben kurzer Hand aus der Kirche verbannt. Aber genau dieser Sichtweise widerspricht Jesus im heutigen Evangelium ganz entschieden. “Bei euch”, so sagt er, “soll es nicht so sein, wie ihr es sonst überall erfahrt und mitbekommt. Und bei euch braucht es auch nicht so zu sein. Denn ein Meinungsstreit muss bei euch nicht durch Machtworte entschieden werden, sondern der Heilige Geist wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.”
Zu einer solchen Vorgehens- und Sichtweise gehört natürlich ein starker Glaube, und den vermisse ich dort, wo nach Art dieser Welt in unserer Kirche autoritär Entscheidungen getroffen werden. Denn da fehlt meiner Ansicht nach genau dieses Vertrauen in das Wirken des Heiligen Geistes, welches die Urkirche ausgezeichnet hat. Wer nämlich darauf vertraut, dass der Geist Gottes in der Kirche anwesend ist und ihr hilft, die Wahrheit zu entdecken, der wird wegen allzu progressiver Strömungen genauso wenig kopflos und unbeherrscht wie angesichts von Traditionalisten. Ja, derjenige kann sich sogar recht zuversichtlich am Streit um den richtigen Weg der Kirche beteiligen und wird dabei nie auf die Idee kommen, seine Gedanken oder Meinungen für die allein selig machenden zu halten, sondern darauf zu vertrauen, dass der Geist Gottes alle im Streit Betroffenen auf die richtige Fährte führen wird.
Vielleicht halten Sie mich und eine solche Sichtweise von Kirche für viel zu naiv. Aber ich möchte Sie einladen einfach mal genau hinzuschauen, wie die frühe Kirche in Streitsituationen gehandelt hat. Der heutige Lesungstext aus der Apostelgeschichte ist dafür geradezu ein Paradebeispiel. Um was ging es? Die Urkirche stand vor einer so gewaltigen Problematik, einer solchen  inneren Zerreißprobe, wie man sie später wohl nur mit den Jahren der beiden großen Kirchenspaltungen – sprich Ost- und Westkirche und dann die Reformation – vergleichen kann. Es ging um die grundlegende Frage, ob die noch junge und kleine Gemeinschaft der Christen eine Sekte des Judentums bleiben sollte oder ob sie sich den nichtjüdischen Heiden öffnen und damit zu einer neuen und weltoffenen Gemeinschaft werden solle. Diese grundlegende Frage wurde durch die nicht geregelte Praxis aufgeworfen: Können Heiden Christen werden, ohne sich zuvor beschneiden zu lassen und sich dem Gesetz des Mose zu unterwerfen? Es ging also nicht um die Taufe an sich – was man ja noch verstehen könnte – sondern um die Beschneidung und das Gesetz des Mose als Voraussetzung für die Taufe. Für diese alte, die jüdische Richtung, standen Männer wie Jakobus, die Apostel und Petrus, sowie die Mehrzahl der jüdischen Christen und ehemalige Pharisäer; für die neue Richtung waren vor allem Paulus und viele Jüngere, die von ihm und seiner Sichtweise der Botschaft Jesu geprägt waren. Hintergrund dieser massiven Auseinandersetzungen war letztlich ein doppeltes Problem, das die Kirche durch ihre ganze zweitausendjährige Geschichte begleitet hat:
Zunächst einmal scheint es die Eigenart von Menschen generell und im Besonderen von uns Christen zu sein, am Althergebrachten und Gewohnten festzuhalten, und zwar so, dass darüber oft jegliches Gespür für zukunftsweisende Entwicklungen verloren geht und damit manchmal auch das Gespür für die Führung des Heiligen Geistes. Es liegt auf der Hand, wie sehr eine solche Tendenz die Kirche in ihrer Substanz gefährdet. Hinzu kam eine zweite Versuchung, die ebenfalls sehr menschlich und der Kirche bis auf den heutigen Tag nicht fremd ist: Wenn Menschen Angst haben, z.B. um Vertrautes, um bewährte Ordnungen – oder wenn sie Angst haben, dass das, was ihnen bislang wichtig war, ins Schwimmen geraten könnte, dann reagieren sie mit Gesetzen, Paragrafen und Vorschriften. Dann legen sie nach Möglichkeit all denjenigen, die sie für die eigene Unsicherheit verantwortlich machen, „Lasten“ auf – obwohl sie selbst an diesen Lasten immer wieder gescheitert sind.
Interessant ist auf diesem Hintergrund, dass nun ausgerechnet Jakobus, den wir als „Bischof“ der judenchristlichen Gemeinde von Jerusalem sehen können, den zum „Konzil“ Versammelten die Frage stellt: „Warum legt ihr den Jüngern aus dem Heidentum ein Joch auf den Nacken, das weder unsere Väter noch wir tragen konnten? Im Gegenteil: Wir glauben doch, dass wir alle  durch die Gnade Jesu gerettet werden.“ Mit diesen Worten bringt Jakobus die Versammlung zu einem nachdenklich Schweigen. Und das „Konzil“ nimmt eine Wende. Paulus und Barnabas finden ein größeres Gehör mit ihren Berichten über das Wirken des Heiligen Geistes unter den Heiden. Jakobus selbst erinnert an ähnliche Erfahrungen des Petrus im Hause des Heiden Kornelius und er hält auch einen kleinen Vortrag über die Botschaft der Propheten, die bezeugt: Gottes Wille sei es doch, dass alle Menschen ihn suchen und finden.
Auf einmal wird das „Konzil“ also konstruktiv. Dabei macht Jakobus einen Kompromissvorschlag, der folgendes beinhaltet: Von der Beschneidung ist nicht mehr die Rede und von den unzähligen Vorschriften des mosaischen Gesetzes wird nur noch festgehalten: Die Heidenchristen sollten sich nicht durch das Essen von Götzenopferfleisch verunreinigen, sie sollten Unzucht meiden und weder Ersticktes noch Blut zu sich nehmen. Diese sogenannten „Jakobsklauseln“ sollten ein ungestörtes Zusammenleben von Juden- und Heidenchristen in gemischten Gemeinden ermöglichen. Und genau dieser Kompromiss wurde dann nicht als Dogma oder Enzyklika verfasst, sondern in einem Brief, den wir in der Lesung gehört haben, den jungen Gemeinden mitgeteilt.
Wenn wir nun diesen Entscheidungsfindungsprozess der Urkirche mit dem vergleichen, wie heute Entscheidungen in unserer Kirche getroffen werden, dann wünsche ich mir, dass unsere Kirche sich wieder mehr an dieser früheren Praxis orientiert. Sicherlich: Streit wird es immer geben – unter den Menschen überhaupt und auch in der Kirche selbst. Das war damals in Jerusalem ja kein Haar anders. Da flogen durchaus auch die sprichwörtlichen „Fetzen“. Aber entscheidend ist doch, dass wir von der Streitkultur jenes Apostelkonzils lernen können. Vielleicht würde es uns ja dann auch gelingen, die festgefahrenen Traditionen kirchlicher Sexualmoral aufzubrechen und endlich zu aktualisieren. Vielleicht würde es uns dann gelingen, eine neue Sichtweise wiederverheirateter Geschiedener nicht nur zu diskutieren, sondern sie endlich auch in die Tat umzusetzen. Hilfreich wäre eine solche Streitkultur sicherlich auch, um gemeinsam mit den evangelischen Kirchen konstruktiv nach Möglichkeiten eines gemeinsamen Abendmahles zu suchen oder wenigstens die „eucharistische Gastfreundschaft“ als etwas Normales zu betrachten und zu praktizieren. Eine solche Streitkultur wäre sicherlich auch hilfreich, um nach neuen Wegen der Priesterberufungen zu suchen und die bislang gültigen Zulassungsvoraussetzungen – sprich den Zölibat – zu überprüfen, damit nicht nur Großpfarreien die Zukunft der Kirche bilden werden. Und eine Streitkultur im Sinne dieses Apostelkonzils würde vielleicht auch endlich dazu führen, ein „ökumenisches Konzil“ aller christlichen Kirchen einzuberufen, bei dem die strittigen Fragen nach dem Amtsverständnis – sprich dem Lehramt und der Rolle des Papstes, sowie der Frauenordination – in großzügigen Kompromissformeln enden könnten.
Die heutige Lesung ist ein Musterbeispiel dafür, wie hochaktuell viele Aussagen der Heiligen Schrift für die Menschen und auch für die Kirche von heute sein können. Wichtig ist dabei nur, dass wir die Schrift nicht nur lesen, sondern auch die entsprechenden praktischen Konsequenzen daraus ziehen. Dann könnte es auch für die Menschen von heute wieder heißen: „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen, euch keine weiteren Lasten aufzuerlegen.“ Amen.

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Erstellt am: 06.05.2013 10:20 Uhr

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