Lesung: Offb 11, 19a; 12,1-6a; 10 ab / Evangelium: Lk 1, 39-56
Schwestern und Brüder!
Es ist nicht gerade einfach, das Fest, welches wir am Freitag allüberall in der katholischen Welt gefeiert haben und welches wir heute hier nachholen, wirklich kurz und bündig zu erklären. Schon allein die Bezeichnung: „Hochfest der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel“ irritiert so manchen Zeitgenossen. Woher wollt Ihr das denn so genau wissen? fragte mich mal ein kritischer Zeitgeist und es war wahrlich nicht leicht, ihm diese Frage schlüssig und zufriedenstellend zu beantworten. Hilfreicher als so manche römisch-katholische Verlautbarung war für mich da, was die orthodoxe Kirche zu diesem Festtag sagt:
„Die Quelle des Lebens wird in die Gruft gelegt, und eine Leiter zum Himmel wird das Grab.“ Mit diesen Worten beschreibt die Kirche des Ostens diesen 15. August, der dort seit eh und je als Fest „Mariä Entschlafung“ begangen wird. Ein Fest übrigens, das die Kirchen der Reformation so nie mitfeiern konnten. Das wurde noch einmal ganz offensichtlich, als nämlich Pius XII 1950 diese „Aufnahme Mariens mit Leib und Seele in den Himmel“ zum Dogma erklärte – das erste und einzige übrigens seit dem I. Vatikanischen Konzil. Der Papst hatte vorher alle röm.-kath. Bischöfe der Weltkirche befragen lassen, wie tief denn der Glaube an diese „Himmelfahrt Mariens“ im gläubigen Volk verankert sei. Knapp 1200 Bischöfe sprachen sich für, nur 22 gegen dieses Dogma aus. Die alte Streitfrage also, ob eine über eineinhalb Jahrtausende gewachsene Glaubenstradition für einen verbindlichen Glaubensinhalt – sprich ein kirchliches Dogma – ausreichend sei oder ob nicht andererseits einzig und allein das biblische Zeugnis zählen sollte – was ja nun in diesem Falle schlicht und ergreifend fehlt – diese Streitfrage
blieb damit offen und wird wohl auch nie geklärt werden.
Doch bei allen Vorbehalten, die man nun vom reinen Menschenverstand her gegen dieses Dogma vorbringen kann: Im Kern dieses Festes selbst, da steckt eine atemberaubende Botschaft – wider alle vermeintliche und leider Gottes auch lange genug verbreitete christliche Leibfeindlichkeit. Dieses Fest sagt nämlich nichts anderes als: Was Gott an der Mutter Jesu gewirkt hat, das gilt auch uns allen – Ihnen und mir. Unser Leib ist eben nicht nur unsere „sterbliche Hülle“, wie es in frommen Traktaten oder auch Trauerpredigten immer wieder heißt. Nein, wirklich ganz und gar Mensch sind wir nur in der Einheit von Leib, Seele und Geist. Und da wir eben glauben, als ganze Menschen zu Gott zu gelangen, kann dies dann auch nur in dieser von Gott – wie auch immer – wiederhergestellten Einheit von Leib, Seele und Geist geschehen. Unser Lebensraum ist nicht nur die Materie, die dem Geist auf Zeit als Herberge dient. Nein, auch unser Leib darf auf Verwandlung hoffen. Wie das am Ende dann funktionieren kann, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber es ist für mich ein überaus liebenswerter Gedanke, dass nicht nur meine Seele, sondern auch dieser mein Leib, also der Körper, der mich als Bertram Bolz ausmacht und darstellt, mich charakterisiert und auch so etwas wie ein Aushängeschild ist, dass dieser Leib eine so große Würde hat, dass er in Gottes guter Obhut ist. Warum singen wir denn in den alten Marienliedern so Texte wie: „Wunderschön prächtige“ oder auch „Die Schönste von allen“? Weil wir damit genau das zum Ausdruck bringen möchten, welch einmalige Würde eben auch unser Körper hat.
Nun gibt es ja aber auch in der sogenannten ästhetischen Medizin diese Begrifflichkeit „Schönheit“ bzw. den Slogan „Schönheit entfalten“. Nur, da geht es um etwas ganz anderes, als in unserer christlichen Sichtweise. Bei der ästhetischen Medizin geht es um Falten entfernen – also darum, Schönheit im wahrsten Sinne des Wortes zu „ent-falten“. Oder anders gesagt: Falten wegspritzen mit dem Nervengift Botox, mit dem ganz gezielt Gesichtsmuskeln gelähmt werden, um die Haut zu straffen und die Spuren des Alters zu beseitigen. Was darüber hinaus in der sogenannten Schönheitsmedizin oder auch plastischen Chirurgie sonst noch alles möglich ist, das wissen wir heutzutage vielfach aus den Medien oder auch dem eigenen Bekanntenkreis: Bauchfett wegsaugen, Brüste vergrößern oder verkleinern und noch ganz andere peinliche Manipulationen an den intimsten Körperstellen. Bei manchen Bildern bleibt einem da schlicht und ergreifend die Spucke weg! Doch es ist, was es ist: Ein absurdes und gigantisches Geschäft mit unserer immensen Angst vor dem Altwerden. Unter dem Motto „Anti aging“ wird der Körper auf nahezu allen Etagen und an nahezu allen Ecken und Enden traktiert, um oft in geradezu grotesker Weise die Spuren der Vergänglichkeit zu verwischen.
An Maria und ihrem speziellen Festtag aber konkretisiert sich für uns der Glaube, dass Gott uns mit unserem Leib und unserer Seele liebt. Auch wenn dieser Körper alt wird oder gar behindert ist, so ist er doch in den Augen Gottes unendlich kostbar. Auch wenn der Körper im Tod verfällt, so wird der Mensch – Ihre und meine Seele – auferweckt in einem neuen Leib. Wie schon gesagt, wie das vor sich geht, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber genau diese unerhörte Botschaft hat sich doch seit dem ersten Osterfest unter uns Christen gehalten. Oder man könnte auch sagen: Mariä Himmelfahrt hat das Osterfest nicht nur verlängert, sondern verjüngt. Wenn wir älter werden, können wir Jünger bleiben: Wohlgemerkt wird hier Jünger großgeschrieben – Jünger als Frauen und Männer. Jüngerinnen und Jünger Jesu haben es nicht nötig, ewig jung zu bleiben oder so erscheinen zu wollen. Und warum? Weil vor Gott unsere Schönheit nicht von unserem Aussehen, sondern von unserer inneren Einstellung abhängt. Wie hat Albert Schweitzer gesagt: „Mit 20 hat jeder das Gesicht, das Gott ihm gegeben hat; mit 40 jenes, das ihm das Leben zugedacht hat und mit 60 hat jeder Mensch das Gesicht, das er verdient.“ Gemeint ist damit ganz offensichtlich, dass sich in unseren Gesichtszügen eines Tages unser Lebenswandel, unsere Lebenseinstellung, unsere Lebensfreude, aber auch unsere Lebensnot abbildet. All das hinterlässt Spuren, prägt unser Gesicht je älter wir werden und lässt sich nicht so leicht überschminken. Es ist die Schönheit, die von innen kommt, welche uns das heutige Fest lehrt und in Maria vor Augen stellt.
Und noch einen Gedanken möchte ich hier an diesem Fest einbringen: Unabhängig von der kritisch zu beurteilenden Dogmenentwicklung in unserer Kirche und dem, was Pius XII. letztlich bewogen haben mag, als er 1950 diesen Glaubenssatz von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel verkündet hat, halte ich mir noch etwas ganz Ungeheures vor Augen. Und zwar das Ungeheure, was mit menschlichen Körpern zwischen 1933 und 1945 geschehen ist. Ob es diesem Papst, dem man bis heute – vielleicht zu recht – vorhält, nicht laut und deutlich und vor allem nicht früh genug seine Stimme gegen die Verfolgung und Vernichtung der Juden erhoben zu haben; ob es Pius XII. wirklich bewusst war, was er hier fünf Jahre nach Kriegsende und all diesen schrecklichen Ereignissen feierlich erklärt hat? Dass nämlich die Jüdin Maria „mit Leib und Seele“ von Gott in den Himmel aufgenommen worden ist? Nur wenige Jahre zuvor zählte doch dieser Leib, dieser Körper einer Jüdin und eines Juden, von sogenannten (Unter)-Menschen nichts, aber auch gar nichts. Die Körper dieser Menschen wurden geschändet, gequält, zusammengepfercht in den KZ’s und als Arbeitsmaterial so lange verzweckt, bis sie – nein nicht gestorben, sondern krepiert waren – wenn sie nicht schon vorher aussortiert und in die Gaskammern getrieben wurden. Die Nazi-Schergen verbrannten die Körper nicht, um ihnen ein ehrenvolles Urnenbegräbnis zu gewähren, sondern um sie – gemäß ihrem Rassenwahn – total auszulöschen. Nichts sollte von ihnen übrigbleiben; nichts von ihrem Leben und nichts von ihren Körpern. Dieser gottlosen Ideologie, deren Anhänger und Mitläufer samt und sonders getaufte Christen waren, hat die Kirche mit diesem Marien-Dogma spät genug und vielleicht ohne es wirklich zu ahnen, ganz vehement widersprochen. Dabei wäre es noch ein schönes zusätzliches Zeichen gewesen, wenn der Papst ganz bewusst von der Jüdin Maria gesprochen hätte, die als Mensch mit Leib und Seele dorthin gelangt ist, wo der biblische Gott sein Reich der Liebe lebt – mit allen Menschen, die sich seiner Liebe anvertrauen und sie mit ihm leben.
Soweit mein Erklärungsversuch zu diesem – wahrlich nicht einfachen – Hochfest unserer Kirche. Wenn wir daraus für uns heute ableiten können, dass auch uns bevorsteht, was Maria schon erfahren hat, dann müssen wir unserem Körper keine Gewalt antun, um ihn so hinzubekommen, dass er anscheinend unvergänglich wirkt. Denn unvergänglich sind einzig und allein Gott und seine Liebe. In diesem Sinne: Lassen wir die Finger weg von einem übertriebenen Körper-, aber auch von einem übertriebenen Marienkult. Geben wir Gott die Ehre, der Großes an ihr getan hat und auch an uns tun will. Deshalb kann unsere Devise nur heißen: Nicht den Leib sollen wir vergötzen, sondern „Gott in unserem Leib verherrlichen“. Amen.
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Erstellt am: 18.08.2014 11:40 Uhr