PREDIGT AM 10.11.2013 DRITTLETZTER SONNTAG DES KIRCHENJAHRES

Von Pfarrer Johann Weingärtner
LUKAS 18, 1-8 
1 Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, daß sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten,
2 und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.
3 Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!
4 Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue,
5 will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.
6 Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen?
8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?

Liebe Gemeinde !
Darf man Gott belästigen; und sei es mit einem Gebet?
Kann man beten, gleichermaßen so, als wenn man geistlichen Leistungssport betriebe sogar noch mit einer gewissen Erfolgsgarantie?
Und lässt sich Gott auch noch mit einem mehr oder weniger korrupten Richter vergleichen?
Was für eine Geschichte erzählt Jesus da. Wie sollen wir das verstehen!
Wie sollen wir mit solchen Worten Trost und Ermutigung finden, selbst neu zum Beten zu finden?
Und – was müssen das für Leute sein, für die Lukas diese Geschichte aufgeschrieben hat.

I
Höchstwahrscheinlich waren die resigniert und relativ trostlos im Blick auf ihre gegenwärtige Situation und auch ihre Zukunft. Es ging ihnen wie anderen Leuten.
Sie klagen über die unbefriedigenden Zustände in Kirche und Gesellschaft.
Sie sind unzufrieden auch mit sich selbst.
Haben weder Steh – noch Durchhaltevermögen.
Kriegen die Hände nicht aus dem Schoß. Ja, nicht einmal mehr gefaltet
Ein müder und resignierter Christenhaufen – so können wir uns durchaus die Gemeinde vorstellen, für die Lukas seine Jesusparabel überliefert: „Er sagte Ihnen aber ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten.“
Stumm scheinen sie geworden zu sein, die Christen und Christinnen in der 2. und 3. Generation. Stumm angesichts leidvoller Entwicklungen in der Wirklichkeit, die sie umgab.
Kennen wir das: Stumm werden? Nur noch einen riesigen Berg vor uns sehen, als Kirche oder Gesellschaft oder Welt, oder ganz und gar persönlich, ganz individuell?
Es geht nicht darum, gleichgültig und träge geworden zu sein, sondern einfach nur müde. Die Erfahrung gekämpft zu haben, leidenschaftlich mit vollem Engagement im Rücken und vor allem im Herzen, und das Resultat? Es geht alles seinen alten und gewohnten Trott oder auch einen neuen, aber eben wieder nur einen Trott. Kein Durchbruch, kein zügiges Vorankommen, kein zielorientiertes Denken und Handeln, sondern wieder einmal nur das Wühlen in Problemen, die groß sind und schwer, so dass sie alles zu erschlagen drohen und keinen Durchbruch mehr zulassen.
Da schaut einer oder eine wie das berühmte Kaninchen auf die nicht weniger bekannte Schlange, oder wie die Witwe in unserer Parabel auf ihre Widersacher. Und wo bleibt das Recht? Das Recht, in Freiheit zu leben, in Kraft zu glauben, im Überschwang zu lieben ? Wo bleibt es? Wo bleibt Gott, der mir dazu verhelfen soll oder gar will nach seiner Verheißung, seiner unverbrüchlichen Zusage? Sollte Gott es so lange hinziehen? Mich in der Asche meiner verbrannten Hoffnungen sitzen lassen wie einst den Hiob im Alten Testament?
Am Ende des Kirchenjahres kommen diese Bilder in das Bewusstsein: Die Bilder von einer müden Christenheit und einem zögerlichen Gott. Die Worte vom Warten auf die Wende und dem Empfinden, dass es vergeblich sein könnte.
II
Und was nun ? Gott mit unaufhörlichen Bitten belästigen wie die Witwe, die dem ungerechten und harten Richter damit erhebliche Mühe macht? Wir haben in der Christenheit und ihrer Geschichte, angefangen im Neuen Testament und dann immer wieder dieses Motiv: Das Problem der Verzögerung.
Da hofft eine angefochtene frühe Christenheit auf die Wiederkunft des Herrn, und sie tut es in ihrer Geschichte stets neu, mal mehr und mal weniger. Mit seiner Wiederkunft soll ja der ganze Jammer dieser elenden Welt aufhören und das Reich Gottes, das Reich der Freiheit und der Gerechtigkeit anbrechen. Und was geschieht? Sie verzögert sich.
Da hört diese Christenheit Gleichnisse, dass er kommt. Einige warten und wachen, andere werden träge und schlafen ein, weil sich das Kommen des Herrn mal wieder verzögert. Ganze Bücher in der Theologie sind darüber geschrieben worden, mal mehr, mal weniger ergiebig. Und eben haben wir erneut – wie immer am Ende des Kirchenjahres – gesungen: Wir warten dein, o Gottessohn. Ja, mein Gott, wie lange denn noch? Auch dieses Warten wie die Weihnachtszeit alle Jahre wieder?
Wenn doch Gott oder der Weltenherrscher Christus so wären wie der ungerechte Richter. Der wollte eigentlich nicht zur Hilfe kommen. Am Ende lässt er sich doch, wenn auch nur von sauber rational kalkulierten Überlegungen geleitet – dazu hinreißen, der unter Unrecht leidenden Witwe Recht und Gerechtigkeit in ihr Gesicht zuzusagen, bevor sie ihm in das seine springt.
Wenn doch Gott so wäre! Oder müssen wir ihm doch mehr in den Ohren liegen? Müssen wir ihn mit unseren Bitten und Gebeten solange belästigen bis wir ihm auf den Geist gehen und er sich erweichen lässt? Es gibt ja durchaus, weniger bei uns im eher nüchternen lutherischen Protestantismus, solche Glaubensgemeinschaften, die meinen, man müsse, ja, man könne die ganze Not der Welt auf ständig betende Hände nehmen und so lange vor Gott tragen bis er die Wende einleitet. Und wenn er es dann nicht tut, dann sei das Gebet nicht richtig und unbrünstig genug gewesen. Und man müsse noch viel mehr solche, die Welt auf Händen tragende Beter, gewinnen, um Gott zu eingreifendem Kommen zu bewegen.
Ich halte es für geistlichen Hochmut, oder gar Gottesbelästigung, zu meinen, es stünde in unserer Macht – und sei es die eines besonders starken Glaubens – das Reich Gottes herbeizuführen. Nein, liebe Gemeinde, so geht es nicht. Denn nun sprengt das Reden von Gott selbst die Parabel vom ungerechten Richter, der sich am Ende erweichen lässt.
III
6 Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten?
8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.
Das unterscheidet nun Gott – so steht es in der Jesusparabel – erheblich vom ungerechten Richter:
Er schafft Recht ohne Kalkül. Und er wird Recht schaffen sogar in Kürze. Ob wir’s glauben können? Trotz aller Müdigkeit, trotz aller bisher leidvoll erlebten Verzögerung? Wird er bei uns Glauben finden? Jetzt und hier oder später oder am Ende der Tage ? Und welchen Glauben?
Unsere so sperrige Geschichte vom ungerechten Richter, der trotzdem zu Recht verhilft und Gott, der dann doch viel mehr ist als dieser, sagt mir zumindest eines:
Die Verantwortung für das Heil der Welt liegt nicht bei mir, auch nicht beim Beter. Sie liegt bei Gott. Ich bin entlastet. Brauche kein betender Herkules zu sein, der die ganze Welt auf seine Schultern nimmt um sie vor Gott zu tragen.
Diese Entlastung hat Luther in seiner Erklärung zur Vater – Unser – Bitte um das tägliche Brot beispielhaft so formuliert: Gott gibt täglich Brot auch wohl ohn’ unsere Bitte – aber wir bitten in diesem Gebet, dass er es uns erkennen lasse und wir mit Danksagung empfangen unser täglich Brot. Glaube ist also unbändiges Vertrauen, dass Gott es richten wird, trotz aller Verzögerung unter der ich leide wie viele andere auch.
Das gibt Gelassenheit. Vor allem die, unterscheiden zu können zwischen dem, was ich zur Lösung mancher Probleme beitragen kann und deshalb auch sollte und dem, was ich dazu nicht beitragen kann und deshalb auch nicht muss.
Vertrauen und Gelassenheit kennzeichnen einen Glauben, der viel ertragen und überstehen kann. Auch gelegentliche oder andauernde Verzögerung im Blick auf endgültige Erlösung von manchem oder gar allem Übel. Und dann bekommt das Gebet, das dauernd und inständig sein sollte, da gibt es keinen Zweifel, gelegentlich noch eine andere Qualität:
Es ist nicht nur das aneinander Reihen von Sätzen, die Gott bitten, dass er tun möge, was ich wünsche oder gar will. Es kann auch das Schweigen sein, das Hören. Vielleicht hat Gott ja Bitten an mich, in denen deutlich wird, was er möchte, das ich tun soll. Auch so kommt sein Reich zu uns, hier und jetzt, mitten am Tage, mitten unter uns und nicht nur am Ende der Tage. Aber dann auch und ganz gewiss.
Amen

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Erstellt am: 12.11.2013 12:14 Uhr

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