Von Pfarrer Helmut Müller
Die Adventszeit, die heute beginnt, ist eine besondere Zeit und wird in der Kirche entsprechend begangen. Mit dem 1.Advent beginnt ein neues Kirchenjahr. Die mehr düsteren Gedenktage wie Volkstrauertag, der Buß- und Bettag und der Ewigkeitssonntag sind vorüber und es wird lichter. Das wird an den Liedern, die wir singen,deutlich und an den Adventskerzen, die auf Licht im Dunkel des Daseins hinweisen.
Von dieser Wende ist auch im heutigen Predigttext die Rede. Der Seher Johannes spricht davon in seiner Vision vom Buch mit den sieben Siegeln, das nicht verschlossen bleibt.
Wir hören aus Offenbarung 5,1-5
1) Und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln.
2) Und ich sah einen starken Engel, der rief mit großer Stimmen: Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen.
3) Und niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen.
4) Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel.
Liebe Gemeinde,
wichtige Botschaften werden in der Bibel – so auch im letzten Buch der Bibel – durch Visionen bezeugt. Visionen sind Erfahrungen, durch die Gott zu uns spricht in Bilder und in Worten. Von einer solchen Vision ist in unserem heutigen Predigttext die Rede.
Da sieht -wie wir gehört haben – der Seher Johannes den Thron Gottes und den himmlischen Hofstaat. Gott, der auf dem Thron sitzt, hält in seiner rechten Hand ein Buch mit sieben Siegeln. Was in dem Buch steht, wird uns im Predigttext nicht gesagt. Der Inhalt wird in den Kapiteln, die folgen, bezeugt. Es sind Geschehnisse, die die Zukunft betreffen, das, was uns erwartet und wohin alles hinausläuft im eigenen Leben und in der Weltgeschichte. Der Einblick in die Zukunft ist dem Seher im heutigen Predigttext zunächst verwehrt. Das Buch ist fest verschlossen – versiegelt mit sieben Siegeln.
Der Seher sieht als nächstes einen Engel, der mit lauter Stimme ruft: „Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen?“ Die Frage, die unüberhörbar im Raum steht, bleibt zunächst ohne Antwort. Im Text heißt es:“Und niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen.“ Was in diesen Worten anklingt, ist ein existentieller Grundschmerz, der mit unserer menschlichen Begrenztheit zusammenhängt und den der Prediger Salomo in die Worte fasste: Der Mensch kann doch nicht ergründen das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.“ Friedrich Hölderlin hat diesen Grundschmerz in einem seiner Gedichte so ausgedrückt.: „Ihr wandelt droben im Licht, auf heiligem Boden, selige Genien, doch uns ist`s gegeben auf keine Stätte zu ruh´n. Es schwinden, es fallen die leidenden Menschen, wie Wasser, von Klippe zu Klippe geworfen, jahrlang ins Ungewisse hinab.“ Es gibt Zeiten im Leben, in denen wir den Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf schmerzlich empfinden, wo wir keinen Einblick haben, worauf alles hinausläuft – Augenblicke, in denen uns alles wie ein Buch mit sieben Siegeln vorkommt. Diese Erfahrung, dass das Sinnganze uns Menschen verborgen ist, lässt den Seher Johannes nicht unberührt. Im Text heißt es: „Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen.“
Der Seher Johannes schrieb diese Worte auf der Insel Patmos, auf der im ersten Jahrhundert die vom römischen Reich Verbannten lebten. Er war aufgrund der Christenverfolgung durch die römische Kaiser besonderen Leiden ausgesetzt..
In dieser Situation, in der die Gegenwart schwer und die Zukunft ungewiss ist, können Anfechtungen aufkommen,die einen leicht resignieren lassen. Ich denke, solche Krisen bleiben im Leben nicht aus. Es kann Ereignisse, Widerfahrnisse in unserem Leben geben,in denen wir keinen Sinn sehen sehen und die uns wie ein Buch mit sieben Siegeln vorkommen. In solchen Zeiten ist es wichtig, dass wir auf den blicken und uns an dem ausrichten, auf den uns der Seher Johannes weist.
Am Ende der Vision bleibt das Weinen des Sehers nicht ohne Antwort. Er wird getröstet und auf Jesus Christus hingewiesen, der nicht aufgegeben, sondern überwunden hat. Im Predigttext wird uns gesagt: „Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel.“ Damit ist Jesus gemeint, dessen Herkunft nach dem Zeugnis der Bibel auf den Stammvater Jakob zurückgeht, von dem auch König David abstammt. Als Jakob seine Söhne segnete, nannte er auch ihre Eigenart – wie wir in 1.Mose 49 nachlesen können. Von daher kommt die Bezeichnung der Löwe aus dem Stamm Juda. Mit dem Bild vom Löwen werden wir an die Kraft und Stärke erinnert, die vom Glauben an Jesus Christus ausgeht und der uns hilft, den Herausforderungen des Lebens stand zu halten.
In der Adventszeit sind wir in besonderer Weise eingeladen, uns an Jesu Botschaft auszurichten und unser Leben davon bestimmen zu lassen. Davon ist auch in dem Trauspruch der beiden Eheleute Schächinger die Rede, die heute anlässlich ihrer
Goldenen Hochzeit im Gottesdienst noch einmal den Segen empfangen. Der Trauspruch steht in Kol.3,17 und heißt: „Alles, was ihr tut mit Worten und Werken, das tut alles in dem Namen des Herrn Jesus Christus, und dankt Ihm, dem Vater durch ihn.“ Im Ausgerichtetsein auf Jesus Christus lernen wir, auch Schweres anzunehmen, was nicht ausbleibt. Es ist ja nur eine Frage der Zeit, wenn im Alter Begrenzungen aus uns zukommen, die bewältigt sein wollen. Aber auch das, was wir nicht ändern können, weil es zu unserer Geschöpflichkeit gehört, können wir getrost in Gottes Hände legen, die uns auch dann noch tragen, wenn wir an unsere Grenzen kommen. Diese Zusage hat uns Jesus Christus am Anfang der Bergpredigt gegeben in den Worten: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“
Das meint: Alles im Leben, auch das Schwere, kann uns helfen, auf innerem Wege zu wachsen und zu reifen in der Gewissheit, dass uns nichts, weder der Tod noch das Schwere im Leben scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn. In diesem Vertrauen verliert Sterben und Tod seine nur bedrohliche Seite und kann für einen dahinsiechenden Menschen als Erlösung empfunden werden. Diese Hoffnung hat mir ein Patient so gesagt: „Dass das Sterben kein Verderben, sondern Heimgang sei. In der Mitten durchgeschritten, und der Weg wird frei.“ Im heutigen Predigttext wird Jesus bezeugt als einer, der überwunden hat. Wie die Evangelien berichten hat Jesus die Liebe Gottes nicht nur mit Worten gepredigt, sondern gelebt und bis zum Tod am Kreuz durchgehalten. An seinem Leben und Geschick können wir lernen, was ein Leben in Liebe beinhaltet. Vieles, was wir so im Leben zustande bringen – wie beruflicher Erfolg, Prestige und materieller Gewinn – mag uns am Ende relativ erscheinen. Was wir aber an Liebe und Zuwendung einander geben, das bleibt und hat über den Tod hinaus Bestand.
Und dabei ist Liebe nicht bloß eine Emotion, sondern eine Lebenshaltung, die sich im Umgang zeigt – in Achtsamkeit und Güte gegenüber jedermann.
Albert Camus, ein Schriftsteller, der durch einen Autounfall früh verstarb, hat einmal den Satz gesagt: „In der Welt herrscht das Absurde, das Sinnlose, aber die Liebe errettet davor.“ An Advent werden wir an diese Wahrheit erinnert und auf Jesus Christus hingewiesen, der uns Gott als Liebe bezeugt hat und der würdig empfunden wurde, das Buch mit sieben Siegeln zu öffnen.
Amen
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Erstellt am: 28.11.2011 11:03 Uhr
