Prediger 3,1-14 – 6. So. nach Trinitatis
Wir wollen heute auf Bibelworte hören, die vor 33 Jahren bei meinem Abschied in Neidlingen
im Mittelpunkt der Predigt standen. Es sind Bibelworte, die angesichts der Vergänglichkeit nach dem Bleibenden fragen. Wir hören aus dem 3. Kapitel des Predigerbuchs die Verse 1-14:
Alles hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit.
Zerstören und heilen
abbrechen und bauen.
Weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit.
Klagen und tanzen;
wegwerfen und sammeln;
umarmen und getrennt sein;
suchen und verlieren;
behalten hat seine Zeit, loslassen hat seine Zeit.
Schweigen und reden;
Lieben und hassen;
Streit und Frieden.
Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.
Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen.
Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt;
nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.
Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und Gutes tun in seinem Leben.
Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.
Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig;
man kann nichts dazutun noch wegtun.
(Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg. Amen)
Liebe Gemeinde
Nach über 3 Jahrzehnten wieder hier auf der Kanzel zu stehen, da kommen mir vertraute Erinnerungen. Es wird mir da verstärkt bewusst,dass „alles seine Zeit hat“.
Auf vielfältige Weise weist der Prediger in den gehörten Bibelworten darauf hin.
Wir werden da eingeladen, uns mit der Vergänglichkeit auseinander zu setzen, sie wahrzunehmen, um daraus zu lernen.
Mit der Aussage, dass alles seine Zeit hat, beginnt der gehörte Bibelabschnitt:
Alles hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.
Das gilt von unseren Lebensabschitten ebenso wie vom Anfang und Ende unseres Lebens.
Im Predigerbuch heißt es:
Geboren werden hat seine Zeit; sterben hat seine Zeit.
Was von den Eckpunkten unseres Lebens gilt, das gilt innerhalb von Geburt und Tod auf vielfältige
Weise:
auf der biologischen Ebene: pflanzen und ernten
auf der psychischen Ebene: lachen und weinen; lieben und hassen
auf der sozialen Ebene: umarmen und sich trennen.
Zur Bewegung des Lebens gehört immer beides, das Werden und das Vergehen.
Wenn wir dieses Werden und Vergehen bewusst wahrnehmen und annehmen, bekommen wir eine neue Aufmerksamkeit für das jetzt.
Goethe hat dies so ausgedrückt.
„Und solang du dies noch nicht hast, dieses Stirb und Werde, bist du nur ein trüber Gast
auf der dunklen Erde“
Die Vergänglichkeit, die wir im November in besonderer Weise empfinden, wenn die Blätter von den Bäumen fallen, braucht uns nicht Angst machen, sondern kann uns helfen, die Kostbarkeit des Lebens im hier und jetzt wahrzunehmen.
Angesichts der Vergänglichkeit wird zwar vieles fraglich. Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon – so lesen wir im heutigen Text.
Manche Aussleger folgern daraus ,dass das Predigerbuch ein Buch für Skeptiker sei, das der Resignation und dem Nihilismaus das Wort rede. Wörtlich übersetzt handelt es sich bei der Aussage um eine Frage und zwar um die Frage: Welchen Gewinn hat man davon, dass man sich abmüht? Der Prediger stellt die Frage nach dem Sinn unseres Tuns.
Die Vergänglichkeit mag zwar vieles relativieren, was uns in den einzelnen Lebensphasen wichtig erscheint – wie Besitz, Macht und Ansehen.. Aber diese Relativierung muss nicht zur Resignation führen, sondern sie fordert uns auf, aufzuwachen und rechtzeitig nach dem Ausschau zu halten, was unserem Leben Sinn verleiht.
Nach dem Gemeindepfarramt (hier) in Neidlingen war ich 17 Jahre als Klinikpfarrer in Isny tätig.
In diesen Jahren der Begeitung von schwerkranken und behinderten Menschen stellte sich verstärkt die Frage, was dem Leben Sinn gibt. Von den Menschen selber, durch die Art, wie sie mit ihrer Behinderung umgegangen sind und ihr Sterben angenommen haben, habe ich viel gelernt.
Dass wir von anderen Menschen lernen können, hat Meister Eckhart, ein Mystiker aus dem 13 Jahrhundert, in den kurzen Satz gefasst:
„Jeder Mensch ist ein Buch und Gottes voll“.
Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen:
Ich begleitete im Pflegeheim einen spastisch gelähmten Mann. In seinen letzten Monaten konnte er sich nicht mehr bewegen und zuletzt auch kaum mehr sprechen. Und trotzdem ging von ihm viel Güte und Freude aus.
(Vor kurzem war ja Allerheiligen. Heilige sind nicht bloß Personen, die äußerlich Großes geleistet haben, sondern sie leben oft mitten uns uns und werden kaum wahrgenommen.)
Wir haben öfters – um auf den spastisch Gelähmten zurückzukommen -miteinander über einen Spruch gesprochen, der über seinem Nachttisch hing und in dem der christliche Glaube und seine heilende Wirkung in einfachen Worten zum Ausdruck kommen.:
„Wo Glaube, da Liebe. Wo Liebe, da Friede. Wo Friede, da Segen. Wo Segen, da Gott.
Wo Gott, keine Not.“
Der Glaube an Gott hilft uns, auch das Schwere im Leben anzunehmen, und trotzdem ja zum Leben zu sagen!
In der Mitte unseres Textes werden wir auf Gott verwiesen, der alles schön gemacht hat zu seiner Zeit und von dem der Prediger sagt, dass er inwendig erfahrbar ist, auch wenn wir seine Wege oft nicht verstehen:
Auch hat er die Ewigkeit in das Herz des Menschen gelegt, nur dass der Mensch nicht ergründen kann, das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.
Ja, wir wissen nicht, warum ein Leben so und nicht anders verläuft, warum manche Menschen viel, andere scheinbar weniger, zu tragen haben.
Aber wir können in allen Lebenslagen Gott vertrauen, der uns mit seiner Liebe hält und an die wir uns halten können. In der Liebe, die in Jesus Christus aufscheint, haben wir teil an Gottes Nähe, von der uns nichts zu trennen vermag weder das Schwere im Leben noch der Tod – wie Paulus in
Römer 8 schreibt.
In der Mystik, die mir im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden ist, wird unser Innerstes, unsere Seele, mit einem Brunnen verglichen, der vielfach verschüttet ist und den es freizulegen gilt, um das zu finden, was der Prediger mit Ewigkeit bezeichnet.
Es ist die Liebe, die Gott in uns gelegt hat und die es Laufe unseres Lebens zu entfalten gilt – in Güte und Achtsamkeit gegenüber jedermann.
Im Lichte dieser Liebe, die als Vergebung erfahren werden kann, lernen wir uns mit der Vergangenheit auszusöhnen, auch mit dem, was in früheneren Jahren unzulänglich und bruchstückhaft geblieben ist.
Wenn ich an meine Angangszeit als Gemeindepfarrer denke, dann werde mir meine Defizite und meine fehlende seelorgerliche Erfahrung bewusst.
Alles hat seine Zeit – auch was unser Reiferwerden betrifft.
Aber auch hier gilt: Wir können das Bruchstückhafte der Vergangenheit getrost in Gottes liebende Hände legen, der aus den Bruchstücken unseres Lebens dennoch etwas Ganzes zu machen vermag.
Wenn wir uns mit der Vergangenheit aussöhnen, dann wird unser Blickfeld weiter und wir werden gewahr, dass Gott alles schön gemacht hat zu seiner Zeit.
Der Blick auf Gott hilft uns, die Belastungen der Vergangenheit und die Sorgen um die Zukunft loszulassen. Auf diese Weise lernen wir ganz im hier und jetzt zu leben und dain Gott zu entdecken.
Der Barokdichter Andreas Gryphius hat dies so ausgedrückt.:
„Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen.
Mein sind die Jahre nicht, die etwa möchten kommen.
Der Augenblick ist mein, und nehm ich den in acht,
so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“
Ja, liebe Gemeinde,
Gott ist ein Gott der Gegenwart, der uns im hier und jetzt begegnet.
Nehm ich den „Augenblick in acht, so ist der mein, der Jahr und Ewigkeit gemacht.“
Mitten im Alltag kann Gott von uns erfahren werden, wenn wir uns frei machen von allem, was uns besetzt und angst macht, sei es im Blick auf die Vergangenheit, sei es im Blick auf die Zukunft.
Im Ja sagen zum Leben, wie es ist, findet der Prediger die Antwort, nach der er suchte:
Da merkte ich, da ging mir auf, dass es nichts Besseres gibt, als fröhlich sein und Gutes tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.
Sich freuen am Leben und Gutes tun – das ist die Antwort des Predigers auf die Herausforderung der Vergänglichkeit.
Und so ist es auch:
Liebe und menschliche Zuwendung erfüllen unser Leben mit Freude und Sinn.
Wo wir nicht nur an uns denken, sondern auch an das Wohl der anderen, da wird unser Leben reicher. Liebe,sei es ein freundliches Wort oder eine nette Geste kann mehr bewirken als wir oft meinen. Ich denke, es ist kein Zufall, dass der Kern des christlichen Glaubens Liebe ist.
Was bleibt, das stiften die Liebenden.
Ich habe am Schluss meiner Abschiedspredigt vom 3. August 1980 eine Gedichtstrophe eines Dekans zitiert, die auch heute nach 33 Jahren nichts von ihrer Gültigeit verloren hat.
„Es ist nötig, dass du etwas lernst:
Vor allem nimm dich nicht zu ernst.
Du bist auch gar nicht unersetzlich.
Bist du mal tot, so ist´s zwar schmerzlich,
die Weisheit stirbt darob nicht aus,
und andere bauen Gottes Haus.
Doch denk von dir auch nicht zu schlecht,
du bist des ewigen Herren Knecht.
Er hat dir anvertraut dein Pfund,
zur Freude hast du allen Grund.“
Gott selbst schenke uns in Jesus Christus, dass wir die Gaben, die Gott uns gegeben hat, wahrnehmen und einander weitergeben. Es ist Liebe, die unser Leben mit Freude erfüllt wie es im Predigerbuch heißt:
Da merkte ich, dass es nichts besseres dabei gibt, als sich zu freuen und Gutes tun in seinem leben. Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinen Mühen – das ist eine Gabe Gottes! Amen
Infos unter:
Erstellt am: 05.08.2014 20:13 Uhr