
Olympische Spiele -Olympia ist der Zirkus Maximus. Für 2 Milliarden Dollar wird in Peking die grösste Show der Welt inszeniert. Getreu dem olympischen Motto gilt bei allem nur der Superlativ: noch höher, noch weiter, noch stärker. Und am Ende noch rentabler. Das Internationale Olympische Komitee rechnet mit 4,2 Milliarden Gewinn. Auch der TV-Sender NBC, der sich die Übertragungsrechte 893 Millionen Dollar kosten liess, reibt sich die Hände, denn die Einschaltquoten sind so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Und die Stadien sind stets voll jubelnder Menschen.
Aber was wird den Leuten in diesem Zirkus eigentlich gezeigt? Eine Freak-Show, wie man sie früher auf Jahrmärkten vorführte. Der unermüdliche Fischmann Michael Phelps, der mehr Gold holt als je ein Schwimmer zuvor. Der menschliche Blitz Usain Bolt, der völlig entfesselt durch das Leichtathletikstadion rast.
Bei Olympia zählt nur der Sieg, das ist schon lange so. In Peking aber ist nur der Super-Superlativ gut genug. Erst achtmal Gold machen Phelps zum Helden, nur die Weltrekorde machen Bolt zum Phänomen. Man stellt sich unwillkürlich die Frage, wie lange man an dieser Schraube noch drehen kann. Wird irgendwann in ferner Zukunft ein Schwimmer alle Rennen gewinnen? Laufen die Sprinter so lange immer schneller, bis die Uhr am Ende bei steht? Holt einmal ein Land sämtliche 302 Goldmedaillen? Und was dann?
Manchmal, wenn der erste Jubel über eine weitere übermenschliche Leistung verhallt war, wurde es merkwürdig still in den Stadien von Peking. Selbst den Menschen, die in den Zirkus gekommen waren, um Sensationen zu erleben, war das alles nicht ganz geheuer. Waren da Übermenschen am Werk? Was ist ein Phelps mit seinem Fischkörper und den überlangen Armen? Was ist Bolt mit den Sieben-Meilen-Beinen? Die Selektion der Besten über Jahrzehnte hat Freaks der Evolution an die Spitze geführt. Schwimmer mit Füssen wie Flossen, Basketballer, so hoch wie Wolkenkratzer, pygmäenhafte Turnerinnen. Das sind nur die sichtbaren Aberrationen. Wissenschafter messen bei Spitzensportlern Organfunktionen, die weit jenseits dessen sind, was man bei normalen Menschen findet. Und es gibt Frauen, deren Hormonhaushalt stark männlich ausgeprägt ist.
All diese Dinge sind Aspekte von Talent, sie verschaffen den Athleten den oft entscheidenden Vorteil. Dass der eine oder andere Sportler unter normalen Menschen etwas komisch wirkt oder die eine oder andere Sportlerin sich vor dem Wettkampf rasieren muss, ist nebensächlich. Das Bild, das die Medien von ihnen zeigen, wird subtil geschönt.
Was aber, wenn das Sportsystem nicht mehr nur selektiert, sondern aktiv in die Evolution eingreift? Dass in Peking bereits mit Doping aus den Labors der Gentechniker experimentiert wurde, ist nicht unwahrscheinlich. Irgendwann könnte es sogar möglich sein, den perfekten Läufer, Schwimmer, Pingpong-Spieler oder Gewichtheber zu designen. Dann ist das, was wir in Peking gesehen haben, bloss ein lustiges Vorprogramm zur ganz grossen Show. Doch bleiben wir im Heute. Vieles spricht dafür, dass die schier unerklärlichen Leistungen mit Mitteln aus dem Giftschrank erzielt wurden. Vor den Spielen wurde systematisches Doping in Russland und Griechenland offensichtlich. In beiden Fällen halfen kriminalpolizeiliche Methoden dabei, Athleten reihenweise zu überführen. Aber das war nur die Spitze des Eisbergs. Die grosse Masse schwamm wohl unter der glänzenden Oberfläche Olympias. Wer ist angeklagt? Die Sportler, die sich schamlos auch der unappetitlichsten Methoden bedienen, um zu Gold und Geld zu kommen? Die Männer im Hintergrund, die mit illegalem Handel von Medikamenten den grossen Reibach machen? Oder die Milliarden-Maschine Olympia, die nicht mehr funktionierte, würde die Jugend der Welt nicht ständig an der Schraube der Leistungen drehen?
Manchmal geben sich die Herren der Ringe allzu proper. So schluckte der IOK-Präsident Jacques Rogge im Interesse des Geschäfts allerhand chinesische Kröten und warf im Gegenzug Usain Bolt mangelnden olympischen Geist vor, weil dieser nach seinen Siegen jeweils fröhlich das Tanzbein schwang.
Die Spiele von Peking sind in wenigen Stunden zu Ende, und man fragt sich, was in vier Jahren in London sein wird. Noch mehr Superlative? Wenn irgendwann alle Möglichkeiten ausgereizt sind und an der Startlinie zum Beispiel des 100-m-Laufes nur noch perfekte Homunculi stehen, wird es ein totes Rennen geben. Vielleicht in Sekunden. (Gelesen in NZZ)
Infos unter:
Erstellt am: 23.08.2008 22:35 Uhr