Predigt zum 27. Sonntag im Jahreskreis (02.10.2011)
– Erntedank –
Lesung: Gen 8, 1.4.13. 20-22 / Evangelium: Lk 17, 11-19
Schwestern und Brüder! 
Haben Sie die Sätze aus der Lesung noch im Ohr? „Solange die Erde besteht“, heißt es da, „sollen nicht mehr aufhören Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Saat und Ernte, Sommer und Winter, das sind für uns eigentlich Selbstverständlichkeiten. Allerdings, so sagt man derzeit im deutschsprachigen Raum, sei der Sommer hier dieses Jahr bereits im April über die Bühne gegangen; Überschwemmungen gab es häufig da, wo sonst wenig Regen fällt und in den Regenwäldern waren dieses Jahr ganze Dürreperioden zu vermelden. Zeigt das aber nicht deutlich, dass die Rhythmen der Natur eben nicht mehr selbstverständlich sind? Wir rütteln doch mit unserer komfortablen Lebensweise ganz gewaltig an genau diesen Selbstverständlichkeiten, ja an den Grundfesten unserer Erde.
Zunehmende Wetterkapriolen, Wirbelstürme, abschmelzende Polkappen, aufgeheizte Meere, Haie im Mittelmeer, Malariamücken im Rheintal, die Zeitungen und Internetseiten sind tagtäglich voll von solchen Hiobsbotschaften und von Mutmaßungen darüber, was uns wohl in der Zukunft noch alles droht. Die Zeichen der Zeit, so sagen manche Wissenschaftler und Meteorologen, würden darauf hinweisen, dass der Traum vom zivilisierten Leben ins Gegenteil umschlagen kann. Der Traum vom guten Leben droht zum Albtraum zu werden. Wenn nicht für unsere Generation, so doch für die unserer Kinder oder Enkel. Wollen wir, ja dürfen wir aber ein solches Erbe hinterlassen?
Nun gibt es aber auch Menschen aus demselben Metier, die noch immer behaupten, dass dies alles halb so schlimm sei. Klimaschwankungen habe es schon immer gegeben und was soll denn groß passieren, wenn sich die Erde um ein paar Grad erwärmt? Ehrlich gesagt: ich hab mir das bis vor kurzem auch immer eingeredet. Die 2, 4 oder auch 5 Grad Celsius mehr werden schon nicht so schlimm sein, hab ich mir gesagt, dann gibt’s halt ein paar Sommertage mehr und im Winter muss man weniger heizen. Ist doch gar nicht so schlecht. Und was sind schon 2 oder 4 Grad in der Skala von 0 bis hundert? Aber genau das ist der große Denkfehler. Und ich will es Ihnen an einem Beispiel deutlich machen.
Die Durchschnittstemperatur von uns Menschen beträgt 36 Grad. Wenn wir nun 2 oder 4 Grad mehr aufweisen, dann haben wir Fieber und bei 5 Grad mehr ist der Mensch bereits akut gefährdet, wird es lebensbedrohlich für ihn. Die Durchschnittstemperatur unserer Erde beträgt aber nur 15 Grad. Eine Erwärmung um 2 Grad bedeutet also einen Temperaturanstieg von über 13%, bei 4 Grad wären es dementsprechend mehr. Würde dies bei einem Menschen geschehen, würden wir wohl den Notarzt rufen, aber bei der Erde? Die hat schon heute eine deutlich überhöhte Temperatur und es muss uns klar sein, dass wenn diese Fieberkurve weiter ansteigt, wir mit ganz drastischen Folgen rechnen müssen.
Wissen Sie, wer da zwischenzeitlich ganz gewaltig umdenkt? Es ist eine wirtschaftliche Branche, von der es die allermeisten wahrscheinlich nicht annehmen, weil dort immer nur ganz kühle Rechenköpfe sitzen. Es ist die Finanz- und Versicherungsbranche. Sie haben richtig gehört. Diese Branche denkt um, denn die mögliche Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen hat unbezahlbare Dimensionen, auch finanziell unbezahlbare. Auch hier ein kleines Beispiel zur Veranschaulichung. Vor einigen Monaten hat in der Londoner City eine Anleihe für Aufsehen gesorgt. Herausgegeben wurde sie vom Allianzkonzern und die Käufer der Anleihe erwartet eine gute, ja sogar überdurchschnittliche Rendite – unter einer Bedingung: die Londoner City, wo ja all die Banken- und Finanzinstitute sitzen, wird in nächster Zeit nicht durch eine Flutkatastrophe überschwemmt. Denn die wäre selbst für einen Konzern wie Allianz unbezahlbar.
Nun mag man darüber staunen, dass für so einen hypothetischen Fall eine
überdurchschnittliche Rendite gezahlt wird. Aber es zeigt doch deutlich: Bei denen, die rechnen können, ist die Gefährdung durch die Klimaveränderung längst angekommen. Deshalb ist es an der Zeit, dass immer mehr Menschen begreifen: Wenn wir nichts unternehmen und weiterleben wie bisher, dann steuern wir einem globalen Klimakollaps entgegen. Das Klima, so habe ich es neulich in einer Karikatur gesehen, ist eine wütende Bestie, die wir derzeit mit dem Stock ganz gewaltig reizen. Deshalb müssen wir umsteuern, um auf dieser Welt als Gattung Mensch auf Dauer existieren zu können. Wir müssen umsteuern im Großen, in der Politik, aber auch jede und jeder Einzelne von uns ist dabei gefragt. Das beginnt mit der Tatsache, ob das Auto nicht ab und an stehen gelassen werden kann; das setzt sich fort mit der Frage nach dem Strom- und Wasserverbrauch; der Vermeidung von Müllbergen und führt uns hin zur Frage, wo wir nicht selbst auch alternative Energien nutzen können, z.B. mit Solar- oder Windkraftanlagen. Vielleicht lächeln Sie jetzt über meine diesbezügliche Laienhaftigkeit. Aber es ist doch enorm, dass wenn man alle in Betracht kommenden Dachflächen in Deutschland mit Solaranlagen versehen würde, man damit bereits mehr als 25% des gesamten Strombedarfes in Deutschland decken könnte. In anderen Ländern ist dies sicherlich ähnlich und in den südlichen Ländern wie hier in Spanien, da ist das Deckungspotential von Haus aus noch weitaus höher.
Jetzt mag zu recht der ein oder die andere von Ihnen fragen: Was hat denn das alles mit Erntedank zu tun? Denn traditionell richtet sich da doch unser Blick auf das, was auf den Feldern und in unseren Gärten gewachsen ist. Aber ist es – und das nicht erst seit Fukushima – höchste Zeit, den Blick auch auf das zu lenken, was wir von Wasser, Wind und Sonne als Energieträger ernten können und auch das als Segen zu begreifen? Wir dürfen und wir sollten nicht länger blind daran vorübergehen. Die Finanzprofis von den großen Versicherungskonzernen haben – wie gesagt – bereits umgedacht und sich für eine langfristige Perspektive entschieden. Alles andere lohnt sich nämlich auf Dauer nicht. Denn wenn die großen Nationen wie China und Indien auch nur annähernd einen solchen Lebensstandard erreichen und praktizieren wie wir ihn haben – und wer wollte es ihnen verwehren und nicht gönnen – dann müssen wir Vorreiter in anderen Energieträgern sein, um die Welt vor dem Kollaps zu bewahren. Auf jeden Fall dürfen wir aus rein kurzfristigen oder profitgierigen Erwägungen heraus die Fieberkurve der Erde nicht weiter ansteigen lassen. Dem müssen wir wehren und dazu ist jeder noch so kleine Schritt einfach nur gut und wichtig. Schließlich ist uns Menschen ein einzigartiger Planet anvertraut; ein Planet, angefüllt mit allem, was es so zum Leben braucht.
Seit 400 Generationen, so sagen die Klimaforscher, leben wir in einem Klima des ewigen Frühlings – nicht nur hier auf Teneriffa. Uns umgeben Witterungsbedingungen, die menschliches Leben in der uns vertrauten Form erst möglich machen. Mit Sommer und Winter, mit Saat und Ernte. Wenn wir aber nun die natürlichen Rhythmen der Erde durcheinander bringen, dann werden wir nicht mehr wie bisher säen und ernten können.
Wussten Sie z.B. wie viel Grad es zur letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren kälter war als heute? Ganze 4 Grad! Und doch reichten die Gletscher aus Skandinavien bis nach Hamburg! Mir zeigt das: Das Klima ist eine ganz sensible Angelegenheit. 4 Grad weniger bedeutet Eiszeit, 4 Grad mehr bedeutet Überhitzung. Wenn die Erde wirklich Fieber bekommt, werden wir Erntedank nicht mehr in der gewohnten Form feiern können. Wir werden stattdessen ernten, was wir in unserer Unvernunft gesät haben: Missernten und Unwetter, Dürre und Überflutung.
Soweit darf es aber einfach nicht kommen. Deshalb haben wir uns dieses Jahr gedacht, darf es auch einmal eine andere Form der Predigt und eine etwas andere Form des Erntedankaltares sein. Inspiriert wurden wir dazu von dem Weisheitsspruch der Cree-Indianer: Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann. Ja, die Erde zu bewahren, das lohnt sich allemal – für uns selbst, aber auch und gerade für die nach uns kommenden Generationen. Das Klima darf nicht aus den Fugen geraten, damit auch in Zukunft die Zusage Gottes gilt: „Solange die Erde besteht, sollen nicht mehr aufhören Sommer und Winter, Saat und Ernte.“
Infos unter:
Erstellt am: 02.10.2011 15:57 Uhr