L I: Ex 20, 1-17 (Kf) / Ev.: Joh 2, 13-25
Schwestern und Brüder!
Der emeritierte österreichische Dogmatiker Gottfried Bachl, ein kreativer Sprachkünstler und Querdenker nicht nur zu der Zeit, als er Professor in Salzburg war, dieser Gottfried Bachl hat in seinem Buch „Der schwierige Jesus“ versucht, das allzu oft so blasse und auch mitunter lieblich-harmlose Bild, das Jesus häufig in unserer Vorstellungswelt abgibt, zu durchbrechen. In seinen Augen ist Jesus alles andere als der, der keiner Fliege was zu leide tun kann, sondern vielmehr ist er ein Mensch, der immer wieder „erfrischende Unruhe“ verbreitet. Ganz so, wie wir es eben im heutigen Evangelium wahrgenommen und gehört haben. Da ist ja Jesus nun auch nicht das „lieblich-heimatliche Gesicht“, in dem das Allerlei der Welt sanft zusammengefasst ist, sondern da gehen Radikalität, Heftigkeit, Widerstand und sogar Gewalt von ihm aus.
Sosehr Jesus uns auch immer wieder Einfühlungsvermögen, Zärtlichkeit, ungeahnte Großzügigkeit oder Gelassenheit vorlebt, so gibt es doch auch bei ihm immer wieder Momente, in denen er den Konflikt nicht scheut und zum Stein des Anstoßes wird. Und das ist immer dann der Fall, wenn es um den Menschen geht; wo Menschen z.B. unnütze Bürden auferlegt oder wo sie unnötig belastet werden, wo Menschen klein gemacht werden und daran zu zerbrechen drohen – allüberall da stellt sich Jesus quer. Und er tut dies, weil für ihn einzig und allein das Heil des Menschen, sein Leben-Können mit der Sache Gottes vereinbar ist. Gott, der Freund des Lebens, der Überwinder von Grenzen, der Ermutiger zum Aufbruch einerseits – und andererseits das Heil des Menschen, das gehört für Jesus untrennbar zusammen. Und ganz besonders sensibel wird der Nazarener immer dann, wenn im Namen der Religion Männer, Frauen oder auch Kinder an den Rand gedrängt, eingeengt oder bevormundet werden bzw. wenn allzu Weltliches wie Geld, Einfluss, Kontrolle oder auch Macht sich mehr und mehr in den Vordergrund rücken. Hier sucht Jesus den Konflikt, das klare Wort, die Auseinandersetzung – und genau davon handelt ja auch das heutige Evangelium.
Jesus wählt nun als Zentrum seines Protestes den Tempel, denn der Tempel repräsentiert ja die Mitte der Religion. Diese Mitte verdichtet all das, was wichtig ist, worum sich das Leben zu drehen hat, was Menschen heilig und maßgeblich ist. In dieser Mitte soll einzig und allein Gott stehen, jener Gott, der das Volk aus den Arbeitslagern Ägyptens befreit hat. Nun haben aber die Menschen im Laufe der Zeit erlebt, dass dieser Platz in der Mitte oft heftig umkämpft war, und dass sie immer wieder Gefahr liefen, andere Götter oder auch Götzen selbst an diesen Platz zu setzen oder dorthin vorgesetzt zu bekommen. In der Kritik am Tempel und der unmissverständlichen Reinigungsaktion macht Jesus daher nochmals ganz eindringlich deutlich: Dort, wo die Mitte der Religion falsch besetzt wird, da gehört diese Mitte entrümpelt und sie gehört frei gemacht für Gott selbst und seine Option für die Menschen. Denn wo Gott in der Mitte steht, da wird eben auch der Mensch niemals an den Rand gedrängt.
Jetzt frage ich mich allerdings: Diese mutige, offene und deutliche Auseinandersetzung Jesu mit dem religiösen Establishment seiner Zeit, könnte das nicht auch uns heute ermutigen zu fragen: Was wäre, wenn er – Jesus – heute in seiner Kirche unterwegs wäre? Welche Ordnungen oder welche „heiligen Kühe“ würde er denn heute finden? Und vor allem: Wie würde er darauf reagieren? Versuchen wir doch einfach mal, uns dies im Hier und Heute auszumalen. Vielleicht würde ja dann das heutige Evangelium sich so anhören:
Das Osterfest der Christen im Jahr 2012 war nahe und Jesus zog durch
seine Kirche. Er fand Tempel verschiedenster Art, in denen sich manche Gläubigen häuslich eingerichtet hatten. Er sah die mächtige Organisation, die sie aufgebaut hatten, die Hierarchie und auch die ausgeklügelten Strukturen, um ja alles effektiv und gut zu verwalten – angefangen von den Sakramenten über das Geld bis hin zur Büroarbeit selbst in der kleinsten Dorfgemeinde. Er sah das ehrwürdige Gebäude der Glaubenslehre, das aus Bausteinen seiner frohen Botschaft entstanden war und er sah auch, wie der große Schatz seines Evangeliums in viele Formeln und kleine Katechis-mussätze eingetauscht und gewechselt wurde. Was er auch sah und wahrnahm, das war der prachtvolle Bau der Gottesdienste, der mit vielen Vorschriften abgestützt wurde, vielleicht auch aus Angst davor, dass beim Herausbrechen des einen oder anderen Steinchens das ganze Bauwerk in sich zusammenstürzen könnte.
Jesus nahm dies alles wahr und mit freundlichen, aber doch auch sehr deutlichen Worten ermahnte er die Gläubigen, mal aus dem Tempel hinauszugehen und sich aus der Distanz all das zu betrachten. Er gab ihnen mit auf den Weg, bei diesem distanzierten Blick mal genau zu prüfen, ob denn die Strukturen ihrer Kirche, das Lehrgebäude und auch die Gottesdienste, ob das alles für die Menschen noch die Mitte darstellte oder ob sich da nicht durchaus etwas verändert habe. Dann sagte er zu ihnen: „Macht doch das Haus meines Vaters nicht zu einem Ort, an dem Bestehendes nur noch verwaltet, anstatt Zukunft gestaltet wird; ein Ort, an dem Geschäftsordnungen und Strukturen oft wichtiger sind als die Sorgen der Menschen; an dem Macht und Hierarchie mehr zählen, als der Dienst an den Menschen.“ Und seine Jüngerinnen und Jünger erinnerten sich auf einmal an das Wort, das er ihnen schon einmal gesagt hatte: Wer bei euch wahrhaft groß sein will, der soll euer Diener sein.
Desweiteren sagte Jesus ihnen auch: „Macht meine lebendigen Erzählun-
gen und Gleichnisse nicht zu abstrakten Sätzen, die die Menschen nicht mehr verstehen und die dann wie Gefängnisse wirken, in denen ihr meine befreiende Botschaft einsperrt.“ Und dabei erinnerten sich die Gläubigen auf einmal an ein Wort des Apostels Paulus, der sagte: Der Buchstabe tötet, der Geist Gottes aber macht lebendig. Und dann sagte ihnen Jesus noch: „Macht dieses Haus und die Feier der Gottesdienste nicht zu einem Museum, in dem überall die Warnung steht: „Bitte nicht berühren!“ Und auf einmal schoss es den Gemeindemitgliedern durch den Kopf: Ja, Jesus hat doch auch gesagt: Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat.
Einige aus der Gemeinde fühlten sich nun aber angesichts dieser Aussagen doch sehr provoziert und sie sagten deshalb zu Jesus: „Wie kannst du deine Kirche so kritisieren? Wir tun doch alles dafür, dass sie Bestand hat; dass deine Lehre unverfälscht weitergegeben wird und dass in den Gottesdiensten für alle eine einheitliche Ordnung und so auch eine spürbare Gemeinschaft weltweit erreicht wird.“ Doch Jesus antwortete ihnen: „Reißt den Tempel eurer starren Strukturen nieder. Ich möchte mit euch eine lebendige Kirche aufbauen; eine Kirche, die nicht um sich selbst kreist, sondern ihre Aufgabe darin sieht, die Menschen meine Gegenwart und Nähe erleben zu lassen. Eine Kirche, die die Menschen aufweckt und ihnen dabei hilft, nach dem Willen Gottes in ihrem Leben zu fragen. Eine Kirche, die ihre eigenen Ordnungen und Gesetze immer wieder an meinem Evangelium misst und eine Kirche, deren Verantwortliche nicht Herren über den Glauben, sondern Helfer zur Freude sind. Lasst uns miteinander eine Verkündigung aufbauen, die begeistert und mitreißt, die Menschen aufhorchen lässt und sie neugierig macht auf meine Botschaft. Eine Verkündigung, die Zaghafte ermutigt, Niedergeschlagene tröstet und schuldig Gewordene befreit. Lasst die Gottesdienste nicht Pflichtversammlungen sein, sondern frohe und bewegende Feste. Gottesdienste, in denen Menschen sich zuhause fühlen, weil sie die Sprache verstehen und sie mit ihren Anliegen darin vorkommen. Lasst es Gottesdienste sein, aus denen Menschen gestärkt herausgehen und im Bewusstsein, dass Gott mit ihnen ist, ihren Alltag angehen.“
Da sagten all jene, die durch die Kritik Jesu verunsichert waren: „Aber Meister, jahrhundertelang haben Menschen an den Strukturen der Kirche gebaut, den Glauben nach bestem Wissen und Gewissen in Dogmen und Lehrsätzen formuliert und durch klare Vorschriften den Gottesdienst vor Missbrauch geschützt. Und das alles willst du wieder verändern und umgestalten; das alles willst du erneuern?“
Er aber wollte doch nichts anderes, als mit seinen Worten der Kirche und ihrer Verkündigung genau die Frische und Freude zurückzugeben, die so viele in ihr und ihren Gottesdiensten vermissten. Er wollte nichts anderes, als jede und jeden einzuladen, nicht fernzubleiben, sondern lebendige Bausteine seiner Kirche zu werden. Er wollte nichts anderes, als dass seine Güte und Menschenfreundlichkeit, seine Weite und Offenheit auch heute für die Menschen zu spüren sind.
Und siehe da: Es kamen tatsächlich wieder viele zum Glauben an ihn, als sie ihn so reden hörten und sie bei sich selbst plötzlich entdeckten, welch heilsame und welch befreiende Kraft doch in seiner Botschaft wirklich steckt. Amen.
Infos unter:
Erstellt am: 11.03.2012 14:39 Uhr