Von Pfarrer Helmut Müller
Im Blick auf die heutige Gemeindeversammlung, die im Anschluss an diesen Gottesdienst stattfindet, hören wir ein Bibelwort aus Lukas 9,61.
Es ist ein Wort Jesu, das von der Nachfolge handelt. Es ist der Wochenspruch, der uns in dieser Woche zur Begleitung gegeben ist. Auf dem Weg nach Jerusalem begegnet Jesus einem, der ihm nachfolgen will. Er tut es allerdings unter dem Vorbehalt, dass er vorher noch Abschied nehmen muss.
Jesus antwortet ihm mit den Worten, die uns in dieser Predigt leiten sollen: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“
Herr, dein Wort ist unseres Fußes leuchte und ein Licht auf unserem Weg. Amen.
Liebe Gemeinde,
wer schon einem Bauern beim Pflügen zugeschaut hat, der kann verstehen, was Jesus mit dem Wort vom pflügenden Bauer meint. Ich habe als Kind noch erlebt, wie ein Acker mit der Hand gepflügt wurde. Das ist eine harte Arbeit, die Kraft und Konzentration erfordert.
Der Pflüger muss die Hände fest am Pflug halten und gleichzeitig die Zügel der Zugtiere, um sie zu führen. In dem Dorf, in dem ich aufwuchs, auf den Fildern bei Stuttgart, waren es überwiegend Kühe, die als Zugtiere benutzt wurden.
Der Bauer muss beim Pflügen ganz bei der Arbeit sein und darf sich keine Ablenkungen leisten und schon garnicht zurückschauen. Wer ständig zurückschaut, der muss unweigerlich damit rechnen, dass die Furchen krumm werden, vieles vom Ackerboden ungepflügt bleibt und somit unbrauchbar für die Aussaat ist.
Auch muss der Bauer auf die Beschaffenheit des Ackerbodens achten. Es gibt im Orient, aber auch in Deutschland, unterschiedliche Böden – lockere und feste, steinreiche und felsige Böden. Wenn wir das auf unser Leben und auf die Arbeit in der Kirchengemeinde übertragen, dann besagt das:
Auch da gibt es unterschiedliche Zeiten – Zeiten, die frei sind von Schwierigkeiten, und in denen vieles gelingt; es gibt aber auch Zeiten, die mühsam sind, Hindernisse, die wir nicht ausgesucht haben, die aber dennoch bewältigt sein wollen.
In solchen Zeiten, gerade auch in Krisenzeiten, will die Bauernregel beachtet sein, unsere Aufmerksamkeit ganz auf die Gegenwart zu konzentrieren und uns nicht vom Blick zurück drausbringen und lähmen zu lassen. In schwierigen Situationen muss ein Kletterer in der Felswand ganz bei der Sache sein – da darf er nicht nach unten schauen – da zählt nur der nächste Griff, der nächste Tritt.
Das heutige Bibelwort ist uns in einem Zusammenhang überliefert, in dem es um die Nachfolge geht. Jesus befindet sich auf dem Weg nach Jerusalem, der für ihn mit dem Tod am Kreuz endet. Auf diesem Weg begegnet Jesus einem Menschen, der ihm nachfolgen will, der sich aber zuvor von seiner Familie verabschieden möchte. Ihm sagt Jesus: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“
Wird hier – so kann man fragen – das Abschiednehmen generell in Frage gestellt? Abschiednehmen ist nicht nur ein höfliches Ritual, sondern es ist notwendig und eine wichtige Vorausetzung, um uns auf Neues einzulassen.. Wir können ja nur einatmen, wenn wir auch auch ausatmen.
Um lebendig und beweglich zu bleiben, gehört immer beides: das Abschiednehmen und das Neuanfangen, so wie sich das Gehen im Heben und Aufsetzen des Fußes vollzieht. Bibelworte, wie der heutige Wochenspruch, dürfen nicht verallgemeinert werden, sondern gelten für bestimmte Menschen in bestimmten Situationen.
Vielleicht war der von Jesus angesprochene Nachfolger so sehr in Vergangenes, in frühere Beziehungen, verstrickt, dass er zum Neuaufbruch gar nicht fähig war. Ähnliches gilt auch von dem Jesuwort, das unmittelbar vor dem Wochenspruch steht: „Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes.“ Mit diesem Wort wird nicht die Trauer um einen lieben Menschen in Frage gestellt – auch nicht Trauerrituale, die notwendig sind, um Trennungen und Veränderungen zu verarbeiten.
Aber wo wir uns nicht mehr von der Vergangenheit lösen und Vergangenes unser Leben überschattet, da sind wir nicht in der richtigen Verfassung, um die Antwort zu geben, die Gott von uns im hier und jetzt haben möchte. Und damit komme ich auf eine Herausforderung zu sprechen, vor die unsere Kirchengemeinde gestellt ist.
Sie muss sich jedes Jahr neu auf Veränderungen einstellen, die mit dem Pfarrerwechsel gegeben ist. Auch da, in solch einschneidenden Veränderungen, muss gelernt und eingeübt werden, was es für eine Gemeinde beinhaltet, wenn Jesus im Lukasevangelium sagt „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück,der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“
Das Zurückschauen auf Früheres ist nicht grundsätzlich verboten. Was gut war und sich bewährt hat, darf weiter gepflegt werden. Die Erinnerung kann uns helfen, aus der Vergangenheit zu lernen. Wir dürfen uns aber von der Vergangenheit nicht so fixieren lassen, dass sie uns unfähig macht, die Aufgaben im hier und jetzt anzupacken und zu tun.
Im Wochenspruch ist vom Reich Gottes die Rede, an dem wir teilhaben und mitwirken sollen. Das Reich Gottes, das Jesus verkündigt und vorgelebt hat, ist ein Reich der Liebe, der Gerechtigkeit und der Wahrheit.
Ich denke, etwas von diesem Geist war auch in den vergangenen Monaten in unserer Kirchengemeinde zu spüren, wenn wir an die Gottesdienste zurückdenken, an das offene und gute Miteinander bei Festen und Feiern oder auch an die Kollekte- einmal im
Monat für Menschen in Not. Auch in den Sitzungen im Kirchenvorstand haben wir uns bei allen notwendigen Sachentscheidungen bemüht, unsere Arbeit im Ausgerichtetsein auf den Herrn zu tun.
Es ist freilich nicht unser Verdienst allein, wenn unsere Arbeit Früchte tragen kann. Wir können zwar unseren Dienst verrichten, ohne ständig zurückzuschauen, aber es muss zu unserem Tun und Lassen etwas hinzukommen, was die Bibel mit Gottes Segen zusammenbringt.
Ora et labora – bete und arbeite – so heißt das Leitbild der Benediktiner, das unser Christsein in treffender Weise zum Ausdruck bringt. Unsere Arbeit auf dem Acker des Herrn wird zum Segen, wo wir uns von Gott und Seinem Wort leiten lassen.
Ein solches Ausgerichtetsein – wir können auch Beten dazu sagen – will lebenslang gelernt und eingeübt sein. Der heutige Sonntag „Okuli“ heißt zu deutsch“Augen“ und bezieht sich auf Psalm 25,15: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn; denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen.“
Dieses Netz könnte auch unsere Verhaftung in die Vergangenheit sein, aus dem Gott unsere Füße befreien will. Gott selbst befreie uns in Jesus Christus von aller Verhaftung in die Vergangenheit und befähige uns zu einem Leben in Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit.
Amen
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Erstellt am: 14.03.2012 04:38 Uhr