L II: Eph 2, 4-10 / Ev.: Joh 3, 14-21
Schwestern und Brüder!
Das eben gehörte Evangelium bietet uns so viele Anregungen, dass man daraus gut und gerne Stoff für mehrere Predigten ableiten könnte. Da ich aber mal gelernt habe, dass man sich nicht verzetteln soll, habe ich mich an diesem 4. Fastensonntag dazu entschieden, mich mit ihnen auf den Weg zu machen, eine Person dieses Evangeliums näher kennenzulernen, die zwar nur im ersten Satz des Textes vorkommt, die es aber wert ist, dass man sich durchaus intensiver mit ihr auseinandersetzt. Die Rede ist von Nikodemus. Dabei möchte und muss ich allerdings vorausschicken, dass uns die einleitende und zum Verständnis unseres heutigen Evangeliums so wichtige Szene aus dem Johannes-Evangelium vorenthalten wurde. Da heißt es nämlich: „Ein Pharisäer namens Nikodemus, ein Ratsherr der Juden, suchte Jesus bei Nacht auf…“
Wer war nun dieser Nikodemus? Wie wir der kurzen Beschreibung entnehmen können, war er wohl eine bedeutende Persönlichkeit: Gelehrter, jüdischer Rabbi, Mitglied des Hohen Rates und Angehöriger der Partei der Pharisäer. Kurzum also einer, der auf jeden Fall auf eine mehr als gelungene Karriere zurückblicken kann. All das, was er sich erwünscht hatte, das hat er – soweit wir es aus der Überlieferung ersehen können – wohl auch erreicht. Er war angesehen und bei den Menschen geachtet, wohlhabend und durchaus einflussreich. Und ausgerechnet dieser Nikodemus sucht nun Jesus auf – und zwar bei Nacht!
Nacht – das ist ja immer ein sehr aussagekräftiges Bild. Man könnte auch sagen: Nikodemus kommt im Schutz der Dunkelheit, weil er diese Begegnung mit Jesus geheim halten möchte. Schließlich ist er stadtbekannt und das Zusammentreffen mit diesem umstrittenen Nazarener könnte seinem Ruf doch ganz erheblich schaden. Andererseits könnte die Nacht aber auch ein Bild für die ganz persönliche Situation des Nikodemus sein: Er tappt vielleicht im Dunkeln. Sicherlich, er hat vieles, ja fast alles erreicht, aber so richtig glücklich scheint er trotzdem nicht zu sein. Dazu fehlt ihm noch etwas und genau das, das scheint er bei Jesus zu suchen.
Nikodemus hat von all den Taten und Worten Jesu gehört und ich nehme mal an, dass genau dieses Gehörte ihn fasziniert. Allerdings kennt er aber auch die mehr als feindseligen Äußerungen vieler seiner Kollegen im Hohen Rat. Äußerungen wie: Jesus sei ein Gesetzesbrecher, ein Volksverführer, ein Mann, der Gotteslästerung betreibe. Doch dies hindert ihn nicht daran, sich seine eigene Meinung zu bilden, sich sein eigenes Bild von diesem Jesus zu machen. Und mit genau dieser Verhaltensweise steht er für all jene Menschen im damaligen Israel, die für Jesus offen waren und ihn nicht von vornherein ablehnten. Vielleicht verkörpert er darin auch die Menschen, die eben mit dem vorläufigen nicht zufrieden sind, sondern einen tieferen Sinn in ihrem Leben suchen.
Zwischen beiden entwickelt sich so ein intensives Gespräch, in dem Jesus den suchenden Nikodemus schrittweise in seinen Glauben einführt. Dabei lautet die Kernfrage: Wie kommt der Mensch zu einem sinnerfüllten Leben? Was muss er tun, um in dem stetigen Auf und Ab seines Lebens einen Sinn zu erkennen und zu entdecken? Und überhaupt: Worauf läuft denn alles Mühen und Sich-Sorgen schlussendlich hinaus? Fragen in denen, wenn wir ehrlich sind, uns dieser Nikodemus auch heute mehr als nahe ist. Denn auch bei uns – bei Ihnen und mir – taucht doch von Zeit zu Zeit immer wieder die Frage auf: Wozu tue ich das alles? Wie soll ich denn mit den Schicksalsschlägen fertig werden, die mir immer wieder in diesem Leben das Sinn-Fragezeichen auf die Stirn treiben? Wer schenkt mir denn den nötigen Durchblick, damit ich in all den Höhen und Tiefen, den Um- und Abwegen
des Lebens doch so etwas wie einen roten Faden entdecken kann?
Jesus zeigt Nikodemus eine Spur auf, auf der er Antworten auf diese Fragen finden kann. Diese Spur oder diese Antwort ist ER – Jesus – selbst. „Das Licht kam in die Welt“ – oder wie er an anderer Stelle selbst über sich sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Ja, wer an ihn glaubt, wer sich auf ihn und seinen Weg der Liebe und der Geschwisterlichkeit einlässt, der hat das wahre, das ewige Leben gefunden. Deshalb ist auch der Tod Jesu am Kreuz die „Erhöhung“, d.h. die Überwindung des Todes hin zu einem Leben in Fülle für ihn selbst und für alle, die genau dies glauben können. Denn eines wird doch in Jesus ganz deutlich: Gott hat ein Herz für uns Menschen. Und genau das wird uns im Verhalten Jesu, in dem was er tut und was er den Menschen ist und predigt, mehr als deutlich vor Augen geführt und gerade deshalb scheiden sich natürlich an ihm auch die Geister. Oder anders gesagt: Deswegen sind wir Menschen immer auch zur Entscheidung für oder gegen ihn aufgefordert. Auch wir haben doch heute die Möglichkeit, seinen Weg einzuschlagen und ihm nachzufolgen oder auf unserem, manchmal selbstgestrickten Weg weiterzugehen; wir können, um in der Bildsprache unseres Evangeliums zu bleiben, ins Licht treten oder in der Finsternis bleiben. Nichts anderes meint doch unser Evangelientext, wenn er etwas holprig formuliert: „Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet.“ Das Gericht Gottes, das ist also nicht etwas, was sich nun unbedingt erst am Ende der Tage oder auch am Ende unseres irdischen Lebens abspielt, wie wir es oft vermuten oder uns vorstellen. Nein, das Gericht vollzieht sich tagtäglich von Neuem in der Entscheidung für oder gegen Gott und zwar im Lichte der Person Jesu. Er selbst redet ja von diesem Gericht ganz ohne drohenden oder heilsängstlichen Unterton, sondern in einer durch und durch positiv einladenden Art. Denn für Jesus ist Gott nicht einer, der in erster Linie aussieben und verdammen will, sondern einer, der alle an seinem Leben und Licht teilhaben lassen möchte, die dazu bereit sind. Also: Nicht zum Richten hat Gott seinen Sohn gesandt, sondern zum Retten.
Nun gab es damals natürlich genügend Menschen, die sich ganz bewusst gegen Jesus und sein Verhalten entschieden haben, weil sie seinen Umgang mit Dirnen und Zöllnern eben nicht als gottgewollt ansehen konnten und wollten und weil sie nicht erkannt haben, dass Jesus zwar immer die Sünde und Schuld, nie aber den Sünder oder die Sünderin verurteilt hat. Vielmehr durfte diese Menschen durch ihn spüren und erfahren, dass man ihm vorbehaltlos trauen kann; und genau das hat es ihnen ermöglicht, Ängste abzubauen und fortan anders leben zu können.
Ich frage mich natürlich schon, um zu unserer Hauptperson zurück zu kehren, ob Nikodemus verstanden hat, was Jesus ihm mit dem allem eigentlich sagen wollte: „Ich gebe dir das, was du zu einem sinnerfüllten Leben brauchst. Doch du musst dich entscheiden. Glaube ist nämlich keine abstrakte Idee über die es sich gescheit oder auch trefflich diskutieren lässt – nein, Glaube ist etwas sehr konkretes. Denn wenn du dich für mich entscheidest, dann hat das Folgen und Konsequenzen für dein Leben.“
Vielleicht hat Nikodemus erkannt, dass die Wahrheit, die er aufgrund seiner bisherigen religiösen Erziehung mitbekommen hat, noch nicht alles war. Doch von der Erkenntnis dessen, was für ihn bislang Wahrheit war, bis zur Entscheidung für die Wahrheit Jesu, war es sicherlich noch ein weiter Weg für ihn. Woraus ich diese Erkenntnis nehme? Nun Nikodemus begegnet uns noch weitere zweimal im Johannes-Evangelium. Einmal wagt er es im Hohen Rat, das Verhalten seiner Parteifreunde gegenüber Jesus öffentlich in Frage zu stellen. Zum anderen erleben wir ihn bei der Bestattung des Leichnams Jesu, wo er ihm den letzten Liebesdienst erweist, ohne darauf zu achten, welches Folgen das für ihn selbst haben könnte.
Mir ist dieser Nikodemus sympathisch, weil das nächtliche Gespräch mit Jesus Folgen für ihn hatte. Und wie ist das bei uns? Auch wir machen doch in unserem Leben immer wieder ganz unterschiedliche Phasen durch. Da gibt es Zeiten, wo uns Zweifel plagen, ob wir das Richtige tun – sei es nun in der Familie, im Beruf, gegenüber den Kindern – und dann gibt es wieder Zeiten, in denen wir – ohne viel zu fragen, einfach handeln. Es gibt Zeiten, in denen wir uns so richtig stark im Glauben verankert fühlen und dann überkommen uns wieder Gefühle, als wären wir von Gott und der Welt verlassen.
Deshalb zeigt mir diese Person des Nikodemus ganz deutlich, dass der Glaube an Jesus nicht etwas ist, was ich ein für allemal fest habe oder worauf ich mich einfach ausruhen kann. Nein – Fragen und Wagen, Bedenken und Aufbrechen, all das wird mir trotz des Glaubens nicht erspart bleiben. Aber wenn ich mich auf diesen Prozess einlassen, dann kann es in mir wirklich Licht werden – und ich vielleicht sogar zum Licht für andere.
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Erstellt am: 18.03.2012 20:02 Uhr