L II: 2 Kor 4, 13 – 5,1 / Ev: Mk 3, 20-35
Schwestern und Brüder!
Für mich ist dieser Abschnitt, den wir eben gehört haben, zutiefst erschreckend. Denn wie kein anderer macht er doch mehr als deutlich, wie wenig eigentlich in dieser Welt wirklich ein Platz für Jesus vorhanden ist und für den Geist, der in ihm ganz konkret Gestalt angenommen hat. Wie ich auf eine solche Beurteilung komme?
Nun, da hat Jesus sein öffentliches Wirken kaum begonnen – wir befinden uns ja gerade mal im dritten Kapitel des Markusevangeliums – da wenden sich seine engsten Familienmitglieder schon von ihm ab. Und das, obwohl an den Rand Gedrängte nachweislich durch seine Nähe gelernt haben, aufzuatmen; obwohl körperlich oder seelisch Verkrüppelte durch ihn gelernt haben, wieder aufrecht zu gehen; und obwohl erst ansatzweise deutlich geworden ist, wie er lebt und worauf seine Verkündigung hinausläuft – da wird er schon von seinen Verwandten für verrückt erklärt und die Schriftgelehrten stempeln ihn als einen ab, der mit dem Teufel im Bunde steht. So schnell geht das halt bei uns Menschen, wenn sich einer unter uns nicht an die üblichen Spielregeln hält; wenn er nicht den allgemeinen Erwartungshaltungen entspricht oder aus der selbstgebastelten Logik dieser Welt ausbricht.
Gott sei Dank, so möchte ich sagen, hat Jesus sich von all diesen unerhörten Verdächtigungen und Anschuldigungen nicht beeindrucken lassen. Gott sei Dank ist er seiner Berufung treu geblieben, die er in seiner Erfahrung der Nähe Gottes als seinen Weg und als Willen des Vaters erkannt hat. Je mehr wir uns in die Evangelien hinein vertiefen, umso deutlicher wird erkennbar: Da ist einer, der lässt sich nicht so ohne weiteres in Strukturen der Macht einbauen; da ist einer, der sagt nicht nur, was die Einflussreichen gerne hören und was seiner Karriere nicht abträglich erscheint; da ist einer, der lässt sich nicht hineinzwängen in den Kreislauf von Unrecht und Vergeltung, von Angst haben und Angst machen. Da ist einer, der lässt sich nicht einschüchtern oder gar kaufen und vereinnahmen und der lässt sich schon gar nicht in die Resignation treiben. Da ist einer, der sein Vertrauen, seine Liebe und seine Vergebung eben nicht von Vorleistungen abhängig macht und da ist schlussendlich einer, der Gescheiterte und Schwache nicht abschreibt oder sie gar für unmündig erklärt. Bei ihm ist der Mensch immer wichtiger als Prinzipien, als Ordnungen und auch Traditionen.
Nach einer gewissen Zeit des Hin- und Hergerissen-Seins zwischen dieser Logik Gottes, die in Jesus Christus ganz konkret Gestalt angenommen hat, und der Logik dieser unserer Welt, da haben auch die Jüngerinnen und Jünger begriffen, dass es nach der Kreuzigung Jesu eben nun mehr ihr ureigener Auftrag ist, mit ihrem Leben Botschafterinnen und Botschafter genau dieser Freiheit und dieser Lebensqualität Jesu zu sein. Die Vision Jesu: „Sie sind nicht von dieser Welt, wie auch ich nicht von dieser Welt bin“ wird Realität, indem sie so anfangen zu leben wie er: mutig, unbequem, angstfrei, hoffnungsstiftend, begeistert und begeisternd, in Liebe zu all dem, was Jesus Zeit seines Lebens und mit seiner Botschaft wichtig war.
Paulus sieht nun in dieser Handlungsweise der Jünger – und das haben wir vorhin in seinem zweiten Brief an die Gemeinde von Korinth als Lesung gehört – einen ganz wesentlichen Aspekt oder auch eine Richtungsweisung für jede christliche. Die Gemeinde – also wir selbst – sind nach Ostern der fortlebende Leib Christi in dieser Welt. Und alle, die sich entschieden haben, ihre Berufung anzunehmen, denen ruft er gleichsam zu: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken.“ Was könnte nun aber genau das für uns heute bedeuten? Als österliche Gemeinde unangepasst, alternativ, sozusagen als „Kontrastgesellschaft Gottes“ in dieser Welt zu leben?
Zum einen denke ich, leben wir heute in einer Zeit bester Kommunikationstechniken und auch –mittel und sind bestens miteinander vernetzt. Trotzdem aber – oder vielleicht sogar deshalb – gibt es häufig eine furchtbare Einsamkeit von Menschen bzw. eine lähmende Anonymität und erschreckende Oberflächlichkeit in unseren menschlichen Beziehungen. Christliche Gemeinde muss deshalb in meinen Augen eine Weggemeinschaft sein, in der eine Atmosphäre herrscht, in der persönliche Begegnungen, gegenseitige Hilfe, Herzlichkeit, Vertrauen und Einfühlsamkeit wachsen können.
Dann leben wir in einer Gesellschaft, in der viele Menschen unter Leistungsdruck in ihrer Arbeit leiden, unter Konsumzwang, Hetze und Einseitigkeit. Eine christliche Gemeinde aber kann da doch ein Ort sein, an dem man aufatmen und seiner eigenen Kreativität Raum schenken kann; ein Ort, an dem es niemand nötig hat, sich zu profilieren oder sich immer wieder selbst zu bestätigen.
Desweiteren leben wir in einer Gesellschaft, in der die Mentalität vorherrscht, dass alles gekauft werden kann und jeder Handschlag bezahlt werden muss; eine Gesellschaft, in der eine ganz große Unfähigkeit besteht, etwas zu schenken oder sich auch etwas schenken zu lassen; eine Gesellschaft, in der Versicherungen und Absicherungen jeglicher Art Hochkonjunktur haben und in der einem ständig eingeredet wird, dass ein mehr an Haben, an Erfolg, an Macht und Beziehungen die Menschen immer noch mehr glücklich machen würde. In einer christlichen Gemeinde sollte deshalb deutlich werden, dass unser größter Reichtum darin besteht, dass wir nach dem Bild Gottes geschaffen und mit seiner Liebe und seinem Erbarmen beschenkt sind und wir ihm ein grenzenloses Vertrauen entgegenbringen dürfen.
Wir leben auch in einer Gesellschaft, in der alles, was mit Sterben und Tod zusammenhängt, häufig verdrängt wird. In einer christlichen Gemeinde sollte aber spürbar sein, dass dieses Leben hier nicht alles und der Tod nicht das Letzte ist. Es sollte bei uns durch den Tod Jesu spürbar sein, dass genau dieser irdische Tod eben keine Macht mehr über uns hat, dass er uns nicht mehr einschüchtern und uns das Leben nicht mehr madig machen kann.
Und wir leben in einer Zeit, die von einem geradezu verhängnisvollen Individualismus geprägt ist; einer Zeit, in der viele Menschen versuchen, ihr Leben als „Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer“ zu meistern und die sich dann oft – wie es der emeritierte Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner mal formuliert hat – in „Familienschließfächer“ zurückziehen und dabei die absurd-groteske Erwartung haben, dass der Partner oder die Partnerin für alle Glückserfahrungen Sorge tragen muss und damit natürlich heillos und hoffnungslos überfordert ist, weshalb so viele Beziehungen scheitern.
Außerdem müsste in einer christlichen Gemeinde spürbar sein, wie befreiend und bereichernd es sein kann, in einem größeren Beziehungsnetz aufgefangen zu sein; einem Netz, welches Jungen und Alten, Kranken und Gesunden, Suchenden und Fragenden, Ängstlichen und Mutigen, Gescheiterten und Glücklichen, bewusst ehelos Lebenden oder durch den Tod eines Partners alleinstehend gewordene Menschen Heimat und Angenommen-Sein bietet und erfahren lässt.
Und nicht zuletzt leben wir in einer Zeit, in der unsere Kirche und viele unserer katholischen Gemeinden unter einer immensen Not leiden, weil Frauen und Männer ihre Berufung in dieser Kirche nicht so leben können, wie sie es für sich empfinden, weil es ihnen per kirchlichem Gesetz versagt ist. Ja, dass viele Gemeinden nicht mehr das einheitsstiftende Sakrament der Eucharistie feiern können, weil es zu wenige dafür bestellte Amtsträger gibt. Menschen, die sich aus Sorge um die Auszehrung der Gemeinden, einmischen und Neuerungen ins Gespräch bringen, müssen sich nicht selten als Rebellen oder „Nestbeschmutzer“ beschimpfen lassen. Dabei sollte doch eine christliche Gemeinde ein Zeichen dafür sein, dass alle den gleichen Geist bekommen haben und dass alle Frauen und Männer Kraft ihrer Firmung ein prophetisches, ein priesterliches, ja königliches Amt innehaben. Christliche Gemeinde meint nicht, dass Amtsträger reden und Gemeindemitglieder nur hören und ausführen. Wie sagte schon Papst Leo der Große um 400: „Wer allen vorstehen will, der soll auch von allen gewählt werden.“
Dies alles sind jetzt nur ein paar wenige mögliche Kennzeichen für eine nicht der Welt angepassten christlichen Gemeinde. Je mehr es uns gelingt, aus der Kraft Jesu und in der Treue zu ihm so wie angedeutet zu leben, umso glaubwürdiger und anziehender werden wir als Gemeinde und Kirche auch wieder sein. Aber es ist mir auch klar: Umso eher müssen wir auch wieder damit rechnen, wie Jesus als aufrührerisch verdächtigt, für verrückt erklärt oder als traditionsverachtend verleumdet oder auch als idealistisch belächelt zu werden. Aber wenn es uns tatsächlich so ginge, dann wäre das sicherlich kein schlechtes Zeichen; zumindest ein besseres jedenfalls, als wenn man uns vor lauter Angepasstheit, Verschlafenheit oder Ängstlichkeit die Herausforderungen Jesu und unseres christlichen Glaubens überhaupt nicht mehr anmerken würde. Amen.
Infos unter:
Erstellt am: 10.06.2012 17:17 Uhr