L I: Ez 17, 22-24 / Ev: Mk 4, 26-34
Schwestern und Brüder!
Zahlreiche Witze ranken sich um den Selbstaufbau der Möbel, die man gut verpackt in jenem skandinavischen Möbelhaus mit den vier Buchstaben kaufen kann, das uns allen sehr vertraut ist. Schon allein die Abwandlung des langjährigen Spruches: „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ in: „Schraubst du noch oder wohnst du schon?“ zeigt das oft zwiespältige Verhältnis an. Ein Werkzeug, an dem dabei niemand vorbeikommt, ist jener kleine Sechskantschlüssel, der zum Zusammenschrauben benötigt wird. Dieses kleine Werkzeug ermöglicht es erst, dass aus einer Vielzahl von Einzelteilen schlussendlich ein Ganzes wird.
Ein solch sprichwörtlicher Sechskantschlüssel zum besseren Verständnis des heutigen Evangeliums war und ist für mich nun aber der nachfolgende Text: „Wenn ich Arzt wäre und mich jemand fragte: Was glaubst du, soll getan werden? – dann würde ich antworten: Das Erste, damit überhaupt etwas getan werden kann ist – schaffe Schweigen. Übertragen auf die heutige Botschaft heißt das: Gottes Wort kann nicht gehört werden, wo vorher nicht geschwiegen wurde. Und wenn man versucht, es durch lärmende Mittel hinauszuschreien, damit es durch all das Getöse hindurch gehört wird, so wird es doch nicht ein Mehr an Wort Gottes. Schaffe Schweigen! – Weil alles lärmt! … Und der Mensch, dieser kluge Kopf, ist gleichsam schlaflos geworden, um neue, immer neue Mittel zu erfinden, den Lärm zu vermehren, um möglichst schnell das Getöse und das Nichtssagende auszubreiten…Schaffe Schweigen!“
Man spürt schon an der etwas eigenwilligen und manchmal schwer verständlichen Sprache, dass dies kein Text aus unserer Zeit und somit auch kein Text gegen den Lärm unserer Zeit ist. Er stammt von dem dänischen Philosophen und evangelischen Theologen Sören Kierkegaard. Wenn nun dieser hochbegabte theologische Denker und Kirchenkritiker bereits im 19. Jahrhundert so empfunden hat, was würde er wohl heute leiden, empfinden oder schreiben. Schließlich war damals der Lärm des Alltags ja noch nichts im Vergleich zu heute. Heute ist es doch so, dass man – und hier auf Teneriffa finde ich das mitunter besonders schlimm – nicht einmal mehr einkaufen oder in Ruhe essen kann ohne dass ständig Musikberieselung und Lärmbelästigung im Hintergrund herrscht.
Wir sind von morgens bis abends von Lärm umgeben: „Alles lärmt!“ und auch in der Kirche sind wir längst von dem angesteckt, was Kierkegaard als „Getöse“ bezeichnet hat. „Viel Lärm um nichts“, das gilt nicht nur für so viele laute und inszenierte Aufregungen in der Politik; nein, das wird seit geraumer Zeit auch auf allen Kanälen unserer Kirche produziert und gezeigt. Da wird in Gremien und auf Kirchentagen diskutiert und gemacht, da werden lauthals Strukturdebatten und Dialogprozesse eingefordert und geführt – und mit welchen Ergebnissen? Ich will ja gar nicht in Abrede stellen, dass dies alles gut gemeint und pastoral sicher auch begründbar ist. Aber ich denke, gerade diese heutige Kirchenkrise, der weithin sichtbare und spürbare Priester- und auch Gläubigenmangel der verlangt doch keine aufgeregt und lärmend daherkommenden Maßnahmen, sondern vielmehr ein leises und geduldiges Abhorchen und Hinhören auf die viel tieferliegenden Ursachen dieser Probleme.
Kierkegaard rät uns da: „Schafft Schweigen!“ Damit ist nicht jenes hilflose Schweigen gemeint, welches uns oft aus den obersten Amtsstuben unserer Kirche erreicht und was häufig nicht mehr als ein Totschweigen der angestauten Probleme ist. Nein, ein solches Schweigen ist nicht gemeint. Denn zum einen wäre es fatal, zu all den anstehenden Problemen nichts mehr zu sagen und zum anderen wäre es ja auch nur ein Ignorieren dessen, was da ganz offensichtlich vorhanden ist. Was Kierkegaard hier meint ist vielmehr, dass Lärm doch überall dort entsteht, wo wir einander nicht zuhören, sondern wo wir durcheinander reden. Wo wir nicht mehr gemeinsam auf das Wort Gottes hören, sondern wo genau dieses Wort Gottes in einer klerikalen Geschwätzigkeit und einer vielfach belanglosen Verkündigung unterzugehen droht. Wir werden dem Wort Gottes doch nicht dadurch gerecht, dass wir meinen, es mit „Verstärkeranlagen“ jeglicher Art unters Volk bringen und die Leute zu dröhnen zu müssen. Was ich damit meine ist: Alle Versuche – auch von meiner Seite – das Wort Gottes modern und zeitgemäß zur Sprache und zu Gehör zu bringen, ist leider oft nicht mehr als der hilflose Versuch, es „lärmend“ oder auch „Aufmerksamkeitserregend“ – unters Volk zu bringen.“
Doch wie sagt Kierkegaard: „Das Wort Gottes kann nicht gehört werden, wo vorher nicht geschwiegen wurde“. Das gilt in erster Linie natürlich ganz ohne Zweifel für uns Prediger, das gilt aber auch für Sie, die Zuhörerinnen und Zuhörer. Die Wirksamkeit des Wortes Gottes kommt aus dem Schweigen, und mitunter sogar – man glaubt es kaum – aus dem Schlaf. Das behauptet zumindest das heutige Evangelium: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät. Dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und es wird Tag; der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht wie.“
Es sind genau diese beiden geräuschlosen Reich-Gottes-Gleichnisse die Markus überliefert hat, die Sie und mich daran erinnern sollen, dass das Eigentliche im Verborgenen, in der Stille, im Schweigen geschieht. Natürlich gibt es auch von Gott her oft ein Schweigen, das für uns Menschen bedrückend ist bzw. von uns oft so empfunden wird. Denken wir nur mal an die vielen Leidsituationen die Menschen ertragen müssen und auf die sie, auf die wir von Gott keine Antwort erhalten Aber da gibt es andererseits eben auch sein wohltuendes, sein geduldiges Schweigen, bei dem es für uns nichts mehr zu sagen gibt, sondern bei dem unsererseits nur noch ein geduldiges Warten, ja ein unbesorgtes Schlafen angesagt ist.
Damit nun bei dieser Wortwahl keine Missverständnisse entstehen: Der Schlaf des Sämanns ist für mich dabei ein Bild für eine ruhige Gelassenheit und keine Bestätigung für ein verschlafenes und müdes Christsein. Schließlich muss der Ackerboden ja zuerst fachgerecht bereitet und bestellt und dann mit Samen versorgt werden. Das ist die Arbeit – und es ist in unserer Kirche und in unseren Gemeinden oft eine harte Arbeit, die da bewerkstelligt werden muss. Doch sie ist nötig, denn „von nichts kommt nichts“, wie es der Volksmund locker-charmant formuliert. Wo nichts getan, wo nichts investiert und auf den Acker gebracht wird, da kann auch beim besten Willen nichts wachsen. Andererseits gilt aber auch: wir können in unseren Gemeinden und in unserer Kirche noch so viel tun, noch so viel Aktivitäten an den Tag legen – wenn all dies ohne den Bezug zum Wort Gottes geschieht, dann müssen wir uns auch nicht wundern, wenn dabei „nichts heraus oder bei den Menschen rüber kommt“.
Wenn aber die Arbeit gemacht worden ist und wenn sie noch dazu klug und gut gemacht worden ist, dann haben wir das uns Mögliche getan. Dann wirken, und da ist unser Vertrauen gefragt, unaufhörlich und unaufhaltsam andere Kräfte. Oder um es mit den Worten des Evangeliums zu sagen: „Von selbst bringt die Erde ihre Frucht hervor, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre…“ Das alles geschieht lautlos und lärmfrei! Um genau dafür ein Gespür zu bekommen mahnt uns Sören Kierkegard: „Schaffe Schweigen, führe Schweigsamkeit ein…“ Vertraue einfach drauf, dass die Kraft, die dem Wort Gottes innewohnt und dass der Geist Gottes, der den Hörerinnen und Hörern geschenkt ist, sich entfalten wird. Um dies wahrzunehmen sind aber Schweigen und Schlaf weit besser geeignet, als dauernde Betriebsamkeit und ein stetig „lärmender“ Aktionismus.
Wenn der Glaube und das Wort Gottes heutzutage für viele bedeutungslos
geworden sind, dann muss dies nicht immer nur an nichtssagenden kirchlichen Verlautbarungen, an nichtssagenden kirchlichen Veranstaltungen oder – was ja noch viel schlimmer wäre – an nichtssagenden Gottesdiensten liegen. Vielleicht sagt uns dies deshalb nichts mehr, weil wir das Wort Gottes immer viel zu schnell in kirchlich moralisierende Nutzanwendungen oder auch moralische Handlungsanweisungen umgemünzt haben. Dabei könnte es doch weit sinnvoller sein, es einfach mal in der Stille und im Schweigen dorthin gelangen zu lassen, wo es quasi „von selbst“ viel – sagend wird; z.B. weil es unser Reden und Handeln so durchdringt, dass unsere Mitmenschen uns als glaubwürdig und hilfsbereit erfahren und wir so die Frucht bringen, die der Sämann – Gott selbst – sich erhofft.
Spüren sie jetzt, was unser Christsein mit dem eingangs erwähnten schwedischen Möbelhaus gemeinsam hat? Der Samen des Evangeliums ist unser Sechskantschlüssel, das zuerst Hinhören, Schweigen und dann Arbeiten unsere Aufbauanleitung. Also: Entdecken wir unsere Möglichkeiten. Amen.
Infos unter:
Erstellt am: 18.06.2012 17:25 Uhr