Lesung II: Apg 13, 16.22-26 / Evangelium: Lk 1, 57-66.80
Schwestern und Brüder!
Mitten im Sommer feiern wir heute den „Johanni-Tag“, wie er bei uns zu Hause im süddeutschen Raum heißt. Ein Tag, der vor allem im ländlichen Raum mit Jahrmärkten und Schaustellerbuden einhergeht. Allerdings kommen dabei meines Wissens keine Mäntel aus Kamelhaaren zum Verkauf und kulinarisch werden auch keine „Heuschrecken mit wildem Honig“ zum Verzehr angeboten. Das aber sind zumindest die Attribute, die auch heute noch viele Menschen ganz unmittelbar mit Johannes dem Täufer in Verbindung bringen.
Warum nun dieses Fest am 24. Juni gefeiert wird, lässt sich relativ leicht erklären. Denn nach dem Lukas-Evangelium ist Elisabeth, die Mutter des Johannes, im sechsten Monat schwanger, als Maria die Geburt von Jesus angekündigt bekommt. Wenn nun aber der Geburtstag von Jesus am 24. Dezember gefeiert wird, dann muss logischerweise der des Johannes ein halbes Jahr davor liegen. Neben dieser schlichten Rechnung passt dann auch noch eine andere Symbolik wunderbar, die uns der Evangelist Johannes überliefert hat. Dort nämlich sagt der Täufer über Jesus: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen!“ Damit meint er nun keinesfalls sein Diätprogramm und er unterstellt Jesus damit auch keine Art von Kleinwüchsigkeit. Nein, er macht nur deutlich, dass er der Vorbote ist, der auf den hinweist, auf den es ankommt – und das ist nun mal Jesus. Oder anders gesagt: Auf der Höhe des Jahres nehmen die Tage an Helligkeitsdauer ab, bis wir die Geburt Jesu mit viel Licht und Kerzenschein feiern – weil er groß werden soll in unserem Leben, weil er an Bedeutung in unserem Leben gewinnen muss. Darum geht es Johannes und darum geht es in unserem Glauben.
Bevor nun das Ganze aber in eine Weihnachtspredigt mündet oder Sie gar das Gefühl beschleicht, sie müssten sich langsam aber sicher um die Geschenke zum Fest kümmern, möchte ich Sie doch vielmehr einladen, dass wir uns die Hauptfigur dieses Tages und sein Verhältnis zu Jesus etwas näher betrachten.
Johannes war ja ein recht unbequemer Zeitgenosse. Käme er heute hier hereinspaziert, wäre er wahrscheinlich auch ohne Kamelhaarmantel und Heuschrecken-Snack ein Störfaktor. „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gewiss gemacht, dass ihr dem zukünftigen Zorn Gottes entrinnen könnt.“ Während ich mich freue, dass Sie heute da sind, würde er uns allen wahrscheinlich ins Gesicht sagen: „Seht zu, dass ihr rechtschaffene Früchte der Buße bringt.“ Johannes ist also, das können wir mit Fug und Recht sagen, kein Diplomat in den Diensten Gottes, sondern er ist ein Mahner, ein Einzelgänger, ein Asket – und: ein Prophet! Das was er den Menschen zu sagen hatte; das, wovon er zutiefst überzeugt war, haben die Menschen ihm – auch aufgrund seiner äußeren Erscheinungsweise – abgenommen. Für Johannes steht fest, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorsteht, weil bald der Messias erscheinen und dann Gericht halten wird. Deshalb gibt es nur noch eine letzte Chance, diesem drohenden Zorngericht zu entgehen, in dem man eben umkehrt und sich taufen lässt. Die Taufe ist quasi das letzte Angebot Gottes an Israel, bevor der Gerichtstag anbricht. Nur wer umkehrt und sich taufen lässt, kann in den Augen des Johannes gerettet werden.
Wie stehen nun aber Johannes und Jesus zueinander? Schließlich haben wir auch in der Lesung von Paulus gehört, wie dieser unterstreicht, dass Johannes in seiner Predigt immer auf Jesus verweist. Beiden, so meine ich, ist die Überzeugung gemeinsam, dass ihnen die Art, wie die Menschen leben, als nicht richtig erscheint. In den Augen beider muss sich die Lebensweise der Menschen dringend ändern. Bleibt nur die Frage: wie? Und genau in diesem „wie“ liegt der grundlegende Unterschied zwischen Johannes und Jesus. Johannes appelliert nämlich an den guten Willen der Menschen. Er warnt, er mahnt, er droht mit dem Gericht – pointiert gesagt: er macht „Druck“ nach dem Motto: „Ändert euch endlich, denn es ist fünf vor zwölf; das ist eure letzte Chance.“
Dagegen setzt Jesus in seiner Botschaft einen ganz anderen Akzent. Obwohl er vermutlich eine Zeitlang mit der Bewegung des Johannes in Verbindung stand und sich ja auch von ihm taufen ließ, geht er doch in seiner tiefsten Überzeugung einen anderen Weg als Johannes. Für Jesus ändern Vorhaltungen und Appelle letztlich nicht viel. Wenn Menschen hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, liegt es in seinen Augen nicht daran, dass sie nicht genügend guten Willen hätten oder dass man ihnen nur lediglich mehr Druck und mehr Vorschriften machen müsste – nach der Devise: strengt euch an oder beherrscht euch endlich – um sie so mit Energie wieder auf den rechten Kurs zu bringen. Nein, Jesus muss gewusst haben, dass wir Menschen unendlich hilfloser, ausgesetzter und leidender sind, als dass wir allein mit ein klein wenig gutem Willen auf einen Schlag ganz anders werden könnten. Jesus muss gesehen haben, dass die Menschen – und ich bin davon überzeugt, das ist heute kein Haar anders als damals – dass also die Menschen in ihrer Ohnmacht und in ihrem Bemühen, gangbare Wege für sich zu finden, dass sie da liebende Hände brauchen, die streicheln oder die sich schützend und geduldig um sie legen. Jesus hat gesehen und wahrgenommen, dass Wandlung und Veränderung bei uns Menschen oft nur in langen Wegen und Prozessen geschehen, häufig genug durch Rückschläge gezeichnet oder durch Niederlagen und Neuanfänge hindurch. Doch sicher war sich Jesus in der Überzeugung: Veränderungen sind möglich. Sie sind vor allem dann möglich, wenn die Menschen dabei erfahren
können, dass einer verständnisvoll und geduldig zu ihnen hält.
Jesus schätzt die Veränderungsfähigkeit der Menschen anders ein als Johannes. Dieser würde sagen, wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Und Jesus? Der würde den Satz wohl umdrehen und sagen: Wo ein Weg ist, da ist auch ein Wille. Wo ein Weg ist, zunächst einfach mal sein zu dürfen, da entstehen dann auch der Wille und die Überzeugung, sich selbst in die Hand zu nehmen. Denn tief berührt und in seinem Inneren verwandelt wird doch nur der Mensch, der sich von jemandem, der sich von der Liebe eines anderen anrühren lässt. Dass es diese berührende Liebe gibt, ja dass sie in ihm da ist, das ist die Botschaft Jesu. Er bietet allen das Erbarmen, die umsonst geschenkte und berührende Liebe Gottes an, die der Name Johannes – Gott hat sich erbarmt – als Programm, als Lebensbotschaft enthält. Jesus setzt also auf dieses unendliche Erbarmen des Vaters, und genau deshalb kommt er auch nicht als drohender Richter, sondern als Retter. Jörg Zink hat das einmal so auf den Punkt gebracht: „Das erste, wie Jesus mit Menschen umgeht ist, dass er sie annimmt und einlädt. Dass er sie aufrichtet und ermutigt. Dass er ihnen als Töchter und Söhne Gottes ein Zuhause, eine Gemeinschaft schenkt. Er lässt sie einfach gelten und daraus resultiert dann ihre Veränderung.“
Obwohl Jesus das Gottesbild des Johannes also ganz entscheidend korrigiert und anders akzentuiert, weil er den Gerichtsgedanken auf das Erbarmen Gottes hin verschiebt, ist und bleibt doch auch Johannes für sich gesehen ein Vorbild. Denn wie sonst käme Jesus zu der Überzeugung: „Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer“? Vielleicht hat die Kompromisslosigkeit des Johannes, sein Mut, seine Stärke, für die eigene Überzeugung einzutreten, in Jesus Spuren hinterlassen. Johannes ist mutig und stark, ein Mensch von Wahrhaftigkeit geprägt und die eigene Überzeugung sagend, koste es, was es wolle. Und die beinhaltete eben auch, konsequent auf den hinzuweisen, der nach ihm kommt. „Alles kommt auf ihn – den Messias an – nicht auf mich.“ Er muss wachsen, ich aber abnehmen. Darin aber kann er uns wirklich Vorbild sein. Anstatt mit dem Finger auf das Versagen anderer zu zeigen, sollten wir lieber auf Jesus und seine Rettung verweisen; anstatt immer nur um uns selbst zu kreisen, sollten wir uns lieber ab und an zurücknehmen, um ihm – dem Retter – mehr Raum zu geben; und: wir sollten Menschen zu ihm zu führen, anstatt sie an uns binden zu wollen. Das ist unser Auftrag. Nicht dass unsere Kirche größer, wichtiger, einflussreicher wird und besser dasteht ist das Entscheidende, sondern dass Christus und seine Liebe zur Wirkung kommen. Oder lassen Sie mich diesen Satz – „Er – Christus – muss wachsen, ich aber abnehmen“ – mit einer Prise Humor sagen:
Wenn sich manche Zeit- und Glaubensgenossinnen und -genossen so viele Gedanken darum machen würde, wie der Glaube an Jesus in ihrem Leben wachsen könnte, wie sie sich Gedanken ums eigene Abnehmen machen, dann, ja dann wäre auch heute schon viel gewonnen. Amen.
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Erstellt am: 24.06.2012 16:51 Uhr