Lesung: Jos 24, 1-2a.15-17.18b / Evangelium: Joh 6, 60-69
Schwestern und Brüder!
Seit diesem Wochenende also rollt das runde Leder wieder und die Fußball-Bundesliga hofft – in ihrer 50. Jubiläumssaison – noch einmal kräftig zuzulegen und dabei vielleicht auch von der guten Stimmung aus den Europameisterschafts- und Olympia-Tagen zu profitieren. Dabei geht es den Verantwortlichen schlussendlich in erster Linie um den Zuspruch der Fans bzw. der Zuschauer, denn die sind nun mal für jeden Verein überlebensnotwendig. Deshalb wird auch alles getan, damit die Leute sich in und um die Stadien wohlfühlen und dass so eben neben der Eintrittskarte noch manch weiterer Schein in die Kassen der Vereine gespült wird. Dieses Werben um Menschen kennen wir jetzt aber nicht nur aus dem Sport, sondern das gilt gleichfalls für viele andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, bis hin zu den politischen Parteien – und: natürlich auch den Kirchen. Gerade den beiden Letzteren laufen die Mitglieder in den letzten Jahren scharenweise davon und viele von uns werfen ihre Stirn in Sorgenfalten, wenn sie auch in ihrer Heimatgemeinde feststellen, dass immer weniger zum Gottesdienst kommen und auf die immer gleichen Schultern, immer mehr an ehrenamtlicher Arbeit gepackt wird. Was sollen wir da tun? Sollen wir – wie es beim Fußball oder den Parteien usus ist – den Trainer oder die gesamte Führungsriege auswechseln? Sollen wir das Programm ändern, die Kirchensteuer abschaffen oder einfach mehr Werbung betreiben? Ich bin der Überzeugung, dass sich dadurch wenig verändern würde. Wir würden auch weiterhin zu hören bekommen, was so manche Eltern von ihren Kindern bzgl. des Kirchgangs immer wieder auf die Ohren bekommen: „Da geh ich nicht mehr hin. Das ist doch altmodisch. Beten kann ich auch woanders. Jetzt habt ihr mich lange genug gezwungen.“ Und dann stehen wir als Eltern sol-
chen Aussagen oft rat- und hilflos gegenüber.
Zugegeben: Viele Eltern leiden unter diesen Gegebenheiten und in der Frage: „Was haben wir bloß falsch gemacht“, schwingt immer auch eine gewaltige Portion Selbstvorwurf mit. Aber gibt es auf diese Frage wirklich eine Antwort? „Denen geht’s einfach zu gut“, ist zwar eine Aussage, die durchaus stimmen mag – doch sie hilft uns letztlich nicht weiter. Sicherlich: Wem es gut geht, der läuft ganz schell Gefahr, Gott in seinem Leben zu vergessen. Nur: Das eigentliche Problem liegt für mich weitaus tiefer und heißt schlicht und ergreifend: „Freiheit“. Gott hat uns eben nicht als Marionetten, sondern als freie Wesen geschaffen. Er wirbt zwar mit seinem ganzen Einsatz um unser Ja-Wort zu ihm; aber er zwingt uns nicht, weder direkt noch indirekt.
Das heutige Evangelium ist für mich nur eines von vielen Beispielen, an denen dies überdeutlich wird: „Viele von seinen Jüngern sagten: Wer kann das anhören? Und es verließen ihn viele und begleiteten ihn nicht mehr.“ Was war geschehen? Jesus, der in den Menschen einen tiefen Hunger nach Sinn, nach Leben und nach Gott wecken und diesen Hunger mit seiner ganzen Hingabe und Liebe stillen wollte indem er sagte: „Ich bin das Brot des Lebens!“ – dieser Jesus scheitert mit genau diesen Worten an den Menschen, die ihm bisher so zahlreich und hilfreich zur Seite gestanden sind. Sie finden seine Äußerungen anmaßend – was übrigens auch heute viele so empfinden – und sie können ihm deshalb nicht mehr folgen. Sie verstehen ihn nicht mehr und fühlen sich wohl auch von ihm nicht mehr verstanden. Und Jesus selbst? Er reagiert so, wie wir wohl auf keinen Fall reagieren würden. Er schwächt seine Äußerung nicht ab; er erklärt nicht, dass er das doch gar nicht so gemeint habe, sondern dass man ihn doch so oder so verstehen müsste; er fragt auch nicht, wie es denn die Leute gerne hätten und er macht schon gar keine Anstalten, die Menschen festzuhalten oder neu zu motivieren. Vielmehr fordert er sie auf, sich klar und frei aber auch eindeutig zu entscheiden. So aber riskiert er selbst den Weggang der vertrauten Zwölf: „Wollt nicht auch ihr gehen?“
Im ersten Moment könnte man meinen, Jesus sei stur. Aber wenn man die
Hl. Schrift genauer liest, dann stellt man fest, dass sich dieses Wagnis der
Freiheit wie ein roter Faden durch alle Zeiten hindurch zieht. Nirgends wird der Mensch von Gott zum Glauben gezwungen oder von ihm mit raffinierten Mitteln dazu gedrängt. Nein, dieser Gott nimmt vielmehr alle möglichen Um- und Abwege in Kauf, um ja die Freiheit von uns Menschen nicht gering zu achten. So und nicht anders ist dann aber auch die Frage an die Zwölf zu verstehen, die er eben nicht als zappelnde oder gegängelte Figuren, sondern als freie Menschen in seine Nachfolge gewinnen will. Wohlgemerkt: Das heißt nicht, dass wir Gott nichts bedeuten oder ihm nicht am Herzen liegen würden. Mitnichten. Er sagt ja nicht: „Mach, was du willst; das ist mir doch egal.“ Wer so spricht, dem liegt nichts am anderen. Nein, aus Liebe achtet Gott unsere Freiheit und nicht aus Gleichgültigkeit oder Resignation heraus.
Und noch etwas gilt es im Zusammenhang mit der Frage: „Wollt nicht auch ihr gehen?“ zu bedenken. Während unsere Reaktion wohl in den Überlegungen gipfeln würde: „Warum sind die gegangen? Was haben wir falsch gemacht? Wie hätten wir sie halten können?“ hat Jesus etwas ganz anderes im Sinn. Seine Frage fordert mich persönlich heraus und sie könnte auch lauten: „Warum bleibe ich eigentlich dabei? Warum gehe ich nicht weg?“ So wichtig die anderen Frage auch sein mögen. Wichtig ist doch zu-nächst für mich zu klären: Weshalb gehe ich nicht? Und Petrus macht es vor in dem er öffentlich sagt, was er glaubt: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du allein hast Worte ewigen Lebens.“ Das heißt doch nichts anderes als: „Kein anderer kann uns Wichtigeres sagen; kein anderer mehr geben als
Du!“
So sind wir also durch das heutige Evangelium gerufen, Rechenschaft zu geben von dem, was uns im Glauben trägt. Nicht mit vorwurfsvollem Gesicht gegenüber denen, die diesen Weg nicht mehr oder noch nicht mitgehen wollen oder auch können; sondern mit vollem Vertrauen darauf, dass der Christus, der Ihnen und mir so wichtig geworden ist, eben auch den Weg zu anderen Menschen findet. Schließlich ist der Glaube nicht das Selbstverständlichste auf der Welt, sondern zuallererst Gnade und Geschenk. Und wenn Eltern ihre Kinder Wege gehen sehen, die so anders sind als die eigenen, dann bleibt dabei aber zuallererst wichtig, dass von uns und unserem Glauben weiterhin Freude und Zuversicht ausgeht – und vor allem eine offene Tür, das herzliche Gespräch und offene Arme, welche die Kinder unsere Liebe weiterhin spüren lassen.
Deshalb halte ich es für unsere wesentlichste Aufgabe überhaupt, dass wir im Supermarkt der Weltanschauungen und Meinungen anderen Menschen – vor allem auch jungen Menschen sagen – weshalb und warum wir an Jesus Christus festhalten. Warum wir sonntags in die Kirche gehen und was es uns bedeutet, den Glauben hier in Gemeinschaft zu feiern und zu leben. Wer von uns wäre denn noch hier, wenn hier eben nicht Mut zum Neuanfang, Trost in der Trauer oder auch Befreiung aus Einsamkeit zu finden wäre. Das muss nur immer wieder neu deutlich werden. Seien wir eine einladende Kirche, die Andersdenkende nicht gleich reglementiert oder Redeverbote verhängt; die Suchende nicht verschreckt oder Gescheiterte aus-schließt. Seien wir vielmehr eine offene Kirche und eine einladende Ge-meinde, die nicht wie eine Thermosflasche wirkt – nach innen warm halten und nach außen isolieren – sondern die eher einem Ofen gleicht, der Wärme ausstrahlt.
„Wollt nicht auch ihr gehen?“ Um der Liebe willen wagt Jesus diese Provo
kation gegenüber seinen Jüngern. Und Petrus ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir Menschen in dieser Frage oft sehr gespalten sind. Schließlich hat auch er nicht immer so eindeutige Worte für Jesus gefunden, wie in der heutigen Bibelstelle. Und trotzdem hat Jesus ihn nie verurteilt, sondern ihm die wichtige Aufgabe anvertraut, Felsen für diese Kirche, Felsen für seine Botschaft zu sein. Deshalb wünsche ich mir, dass uns allen heute Morgen deutlich geworden ist, dass Gott sich a) niemandem aufzwingt und dass er b) niemandem, der andere Wege geht, seine Liebe entzieht. Das muss uns immer deutlich vor Augen sein. Und genau diese Freiheit in Liebe haben wir als Glaubende und als Kirche den Menschen von heute zu vermitteln – dann werden auch wieder aus Wenigen viele. Amen!
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Erstellt am: 26.08.2012 18:02 Uhr