L II: 1 Kor 10, 1-6.10-12 / Ev: Lk 13, 1-9
Schwestern und Brüder!
Schlechte Nachrichten, das spüren wir derzeit auch innerhalb unserer Kirche ganz deutlich, die beschäftigen die Menschen immer und immer wieder – und: Sie bleiben ihnen oft lange im Gedächtnis. So werden auch all die unliebsamen Begleiterscheinungen bzw. Gerüchte rund um den Papst-Rücktritt bzw. das Überwachen von Kardinälen durch Kardinäle noch lange Zeit für Missstimmung sorgen und man darf gespannt sein, wie der neue Papst auf all das reagieren wird. Weitaus länger und viel schmerzhafter bleiben aber uns Menschen all die Geschehnisse in Erinnerung, die mit Tod und Verlust für viele Menschen einhergehen – Unglücke, Katastrophen, Anschläge, die sich in unser Gedächtnis richtiggehend einbrennen.
So haben das zur Zeit Jesu die Menschen kein Haar anders erlebt. Es ging ein Aufschrei durchs Land, als die verhassten Römer im hochheiligen Tempelbezirk ein Blutbad unter den galiläischen Gläubigen anrichteten. Und auch der Einsturz eines Turmes in Schiloach – beim Bau einer Wasserleitung, wie uns außerbiblische Quellen berichten – ist bei den Menschen ständig präsent. Der Schmerz, den sie darüber empfinden, lässt in ihnen in die Frage nach dem „Warum?“ aufkommen. Allerdings ist nun mehr als auffällig, dass der, an den sie diese Frage richten bzw. der ja eines der Unglücke selber ins Wort bringt, gar nicht auf diese, für die Menschen so brisante Frage eingeht. Bei Jesus gibt es weder eine Ursachenforschung für dieses sinnlose Leiden, noch gibt es bei ihm selbstgerechte Schuldzuweisungen. Ja, ich habe für mich selbst den Eindruck, dass er es erst gar nicht versucht, auf die Frage nach dem „warum“ eine zufriedenstellende Erklärung zu geben. Ihm ist in diesem Zusammenhang vielmehr etwas anderes wichtig. Und was das genau ist, das möchte ich Ihnen anhand des Spielfilmes „Der Club der toten
Dichter“ etwas verständlicher machen:
Der Ort der Handlung ist die Internatsschule Welton. Hierher schicken betuchte Amerikaner ihre Sprösslinge, um sie für ein Studium an einer Eliteuniversität trimmen zu lassen. „Tradition, Ehre, Disziplin und Leistung“, das sind die sogenannten Säulen dieser Schule. Wir schreiben das Jahr 1958 und das Schuljahr beginnt wie üblich. Nur ein neuer Englischlehrer ist da, Mr. Keating, der vor Jahren selbst ein erfolgreicher Absolvent dieser Schule war. Und: Mr. Keatings Unterricht ist sehr ungewöhnlich. Die Jungs seiner Klasse sind zunächst verwundert, teils amüsiert, aber schon recht bald überaus fasziniert. Hier fordert einer nicht Anpassung, Unterwerfung, Auswendiglernen auf „Teufel komm raus“, sondern vielmehr selbständiges Denken; den Mut, eine eigene Meinung zu haben und diese auch zu vertreten.
In einer seiner ersten Unterrichtsstunden führt Mr. Keating seine Schüler vor
eine Wand mit alten Klassenfotos, teils noch aus dem vorigen Jahrhundert. Einer muss das Gedicht vortragen: „Pflücke die Knospe, solange es geht, und die Blüten, wenn sie noch prangen. Denn bald sind die Rosenblätter verweht. Wie schnell kommt der Tod gegangen.“ Auf die Frage, warum der Dichter dies so geschrieben habe, antwortet Keating selbst: „Weil wir Frühjahr, Sommer und Herbst nur in begrenzter Anzahl erleben werden. Es ist kaum zu glauben, aber eines Tages wird jeder Einzelne von uns aufhören zu atmen, wird sterben und erkalten.“ Dann lässt er seine Schüler auf die alten Klassenfotos schauen und sagt provozierend: „Nun, wohin sind diese lächelnden Gesichter alle entschwunden? Was wurde aus ihren Hoffnungen? Haben die meisten von ihnen nicht gewartet, bis es zu spät war, um in ihrem Leben nur ein Quäntchen von dem zu verwirklichen, wessen sie fähig waren? Wenn ihr nur nahe genug herangeht, Jungs, hört ihr sie flüstern.“ Und als die Schüler in die Stille hineinhorchen, flüstert Keating jedem Einzelnen ins Ohr: „Nutze den Tag! Mach etwas Ungewöhnliches aus deinem Leben.“
Mr. Keating – ein Lehrer, der fasziniert und der provoziert; ein Lehrer, der aufhorchen lässt, der Lernstoff und Leben miteinander verbindet und der für jeden seiner Schüler die Botschaft parat hat: mach etwas aus deinem Leben, bevor es zu spät ist!“
Machen wir nun einen Szenenwechsel – 2000 Jahre zurück, denn es geht ja
um unser Evangelium. Damals tritt Jesus von Nazareth auf. Er versucht, seine Zeitgenossen wachzurütteln, ihre Lethargie und Gleichgültigkeit zu erschüttern. Mit Geschichten und Gleichnissen will er die Menschen zum Umdenken herausfordern. So erzählt er von Brautjungfern, die das Öl für ihre Lampen vergessen haben und deshalb zu spät zur Hochzeit kommen. Er erzählt von einem Diener, der das anvertraute Geld vergräbt, statt damit zu wirtschaften. Und er erzählt von einem unfruchtbaren Feigenbaum, der seine letzte Chance bekommt. Merken Sie etwas? Ich meine, wer sich dieses Gleichnis Jesu unter die Haut gehen lässt, der hört ganz eindringlich seine Mahnung: Mach etwas aus deinem Leben, nutze den Tag. Denn die Zeit, wirklich Frucht zu bringen, ist begrenzt! Oder man könnte auch sagen: „Die Zeit ist begrenzt, den Menschen in die Augen zu schauen, den Heuchlern die Wahrheit zu sagen, mit der Schwermut fertig zu werden, sich in der Krise zu bewähren. Die Zeit ist begrenzt, Böses mit Gutem zu vergelten, auf deine Tiefe zu horchen, deine Freiheit zu nützen, dich selbst zu ordnen, zu sehen, zu hören, zu spüren oder auch zu beten.“
Ja, ich meine schon, wer sich diese Geschichte Jesu zu Herzen nimmt, der hört den eindringlichen Appell: Pass auf, dass du nicht dastehst wie ein Feigenbaum ohne Frucht! Pass auf, dass du nicht sagen musst: Ich bin nicht der Mensch geworden, der ich hätte sein können. Ich habe nicht bewusst genug gelebt, meine Talente verkümmern lassen, meine Chancen nicht genutzt und mich nicht weiterentwickelt. Oft war ich auch meinen Mitmenschen gegenüber gleichgültig und habe nicht wahrgenommen, wo sie mein Enga
gement erhofft hätten.
Wer sich aber von diesem Gleichnis Jesu treffen lässt, der darf darin auch den Trost heraushören: Es gibt da Weingärtner, denen ich nicht gleichgültig bin. Menschen also, die Geduld mit mir haben und mir immer wieder einen neuen Anlauf ermöglichen; die mir – trotz all meiner Schwächen – etwas zutrauen und mich nicht fallenlassen; die verzeihen können und mit meine Fehler nicht immer wieder neu vorhalten; die mich ermutigen und unterstützen. Und – es gibt den einen Weingärtner, der für mich spricht; der mich mitreißt durch sein Wort und durch seine Vision von der neuen, der anderen Welt Gottes; der Weingärtner, der auf mich hofft und der den Boden dafür bereitet, dass noch etwas in meinem Leben wachsen und gedeihen kann. Doch ich glaube schon, dass wer in dieser Geschichte seine eigene Geschichte sieht, dass der oder diejenige spüren kann: Es ist nicht zu spät. Die Gnadenfrist des einen Jahres dauert immer neu an. Die Früchte des Geistes können immer noch wachsen: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte und Zuneigung.“ Jesus von Nazareth – ein Meister der eindrucksvollen Bilder; radikal und tröstend zugleich; ein Prophet, der hart kritisiert und doch gleichzeitig neue Perspektiven eröffnet.
Was das nun alles mit dem eingangs erwähnten Film zu tun hat? Nun unter dem Einfluss von Mr. Keating ändern sich einige der Internatsschüler. Sie lassen den von ihm einst gegründeten „Club der toten Dichter“ wieder aufleben. Sie tragen einander in einer Höhle Texte vor, alte Gedichte und selbstverfasste Verse; sie entdecken ihre Fähigkeiten und entwickeln sich zu eigenständigen Persönlichkeiten. Und bei Jesus? Da lassen sich Frauen und Männer provozieren, ein neues Leben anzufangen und ihre Talente zu nützen. Mr. Keating verunsichert durch seine ungewöhnliche Methoden die etablierten Lehrer und muss schließlich die Schule verlassen. Jesus gerät durch seine herausfordernde Botschaft in Konflikt mit den Mächtigen und
muss sterben.
Mr. Keatings Bemühungen tragen aber dennoch Früchte: Alle Schüler seiner Klasse steigen gegen die Anweisung des tobenden Direktors auf ihre Pulte und verabschieden dankbar ihren Lehrer, der ihnen gezeigt hat, die Welt aus einem neuen, aus einem anderen und vor allem ganz eigenen Blickwinkel wahrzunehmen. Und Jesus verändert bis heute Menschen, die sich von seinen Geschichten und Gleichnissen treffen lassen, die nicht in den Tag hineinleben wollen und nicht als unfruchtbarer Feigenbaum dastehen möchten.
Was mit dem Feigenbaum am Schluss passiert ist – ob er nun Früchte gebracht hat oder umgehauen wurde – wir wissen es nicht. Wenn wir uns aber das Wort zu eigen machen: „Mach etwas aus deinem Leben, nutze den Tag!“, dann bin ich zuversichtlich, dass unser Feigenbaum, dass unser Leben vor Gott Bestand hat. Im Film ist das Zeichen, dass einige die Botschaft des Lehrers verstanden haben, ihre Mitgliedschaft im „Club der toten Dichter“. Dass an uns – an Ihnen und mir – diese eindringliche und frohmachende Botschaft vom Feigenbaum nicht spurlos vorbeigeht, das ist dann erkennbar und spürbar, wenn wir wirklich eine „Gemeinschaft lebendiger Christen“ sind und bilden.
Infos unter:
Erstellt am: 04.03.2013 19:45 Uhr