Zündfunke, 31.10.13

Seit wir hier auf der Insel sind, nutzen meine Frau und ich, gelegentlich auch mit anderen zusammen, die Zeit, um auf Entdeckungsreise zu gehen. Wo leben wir hier eigentlich seit einigen Wochen. Städte, große und kleinere Orte, Gebirgslandschaft mit stillen Dörfern, felsige Küsten, kleine Buchten und Strände. Eine schöne Landschaft, abwechslungsreich und einfach wunderbar. Manchmal ist da ein kleines Lokal, das einlädt zur einer Mahlzeit und erfrischendem Getränk. Vorzugsweise suchen wir eher Bodenständiges. Wir möchten das uns bisher Fremde entdecken, auch bei Speisen und Getränken. Das Herkömmliche haben wir dann wieder in Deutschland.
Herumfahren, entdecken, einkehren. Oft auch in Kirchen, großen und kleinen, wenn sie offen sind. Die Ausstattung ist meist anders als zuhause im sehr protestantischen Norden. Aber auch das gehört zur Endeckungsreise. Die Kirchen legen Zeugnis ab von Glauben und Leben derer, die sie erbaut und erweitert, verändert und ausgeschmückt haben. Die Geschichte auch einer sich wandelnden Tradition wird deutlich. Wichtig aber ist immer dabei, die Möglichkeit der Stille und der Kontemplation zu nutzen. Wir kommen zu uns selbst und in der Betrachtung des Inneren einer Kirche nehmen wir Bilder auf, die uns beeindrucken, auch wenn sie manchmal für unseren Geschmack befremdlich erscheinen.
Fast noch wichtiger allerdings als die Natur, Architektur und Kunst in der neuen Umgebung zu genießen, sind die neuen Menschen, die uns begegnen. In unserer Gemeinde die vielen ehrenamtlichen Mitarbeitenden, in der Leitung und in den unterschiedlichen Gruppen. Menschen kennen zu lernen ist eigentlich immer das Spannendste auf der Entdeckungsreise. In Ihnen begegnet uns Bekanntes und absolut Neues. Wir erfahren Kirche als die Gemeinschaft der Glaubenden mit ganz unterschiedlicher Prägung auch wieder hier auf der Insel wie bereits anderswo. Wir sind dankbar für diese neuen Erfahrungen auf unserer Entdeckungsreise. Mir fällt ein Satz ein, der zum heutigen evangelischen Reformationstag passt, weil er aus dieser Zeit stammt, und der genauso in den Texten des 2. Vatikanischen Konzils zu finden ist: ecclesia semper reformanda. Die Kirche ist eine stets zu erneuernde.

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Erstellt am: 29.10.2013 11:32 Uhr

Zündfunke, 30.10.13

Wie viel Zeit nehmen Sie sich, um mit Ihren Partner, Ihrer Partnerin, einem guten Freund, einer guten Freundin zu reden. Welches Kontingent im Tagesablauf steht dafür zur Verfügung? Zerstreuung und Angebotsunterhaltung gibt es ja genug. Einfach auch einmal Schweigen? Nicht, dass ich etwas gegen Schweigen hätte, das kann bei dem zeitgenössischen Stimmengewirr regelrecht erholsam sein. Oft beobachten meine Frau und ich bei einem Aufenthalt in einem der vielen Straßencafes allerdings, dass sich Paare ausschließlich anschweigen. Der Gesichtsausdruck spricht dann manchmal Bände. Die Mimik schreit regelrecht: Wir haben uns nichts, oder nichts mehr zu sagen. In sich gekehrte Augen in einem wie versteinerten Gesicht. Mauern haben sich aufgebaut. Man schweigt sich an. Viele kennen diese Erfahrung, hoffentlich gilt sie nur für begrenzte Zeit, und dann wird eben die berühmte Mauer des Schweigens aufgebrochen oder noch besser, ganz abgerissen. Mit einander reden, das ist eine großartige menschliche Möglichkeit. Sie wird dann am besten wahrgenommen, wenn die Worte die Ebene der Belanglosigkeit verlassen, ureigenste Erfahrungen ausgetauscht werden können und vor allem, auch Gefühle, positive wie negative im wahrsten Sinne des Wortes zur Sprache gebracht werden können. Letzteres fällt in der Regel uns Männern besonders schwer.
Mir ganz persönlich helfen da oft die Psalmen im Alten Testament. Da wird gelobt und geklagt über die Menschen rings umher aber auch und gerade über sich selbst. Dabei kann sogar Gott massiv angeklagt werden. Warum? Gefühle des Unbehagens und Unverstanden-Seins werden ausgesprochen. Und dann kann das Gespräch sich wenden. Stille kehrt ein, nachdenkliches Hören wird deutlich. Psalmen sind für mich Dokumente für gelingendes Zwiegespräch. Lesen Sie doch einfach einmal nach.

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Erstellt am: 29.10.2013 11:31 Uhr

Zündfunke, 29.10.13

Ich bin wieder da – so sagen Kinder, wenn sie wieder nach Hause kommen oder auch Ehepartner nach kürzerer oder längerer Abwesenheit. Ich bin wieder da. Das kann vieles bedeuten. Bei Kindern gelegentlich: Nimm es bitte zur Kenntnis, du musst dir keine Sorgen machen, wo ich bleibe. Bei Partnern und Partnerinnen vielleicht eher: Was ich mir vorgenommen hatte oder was zu erledigen war, ist geschehen, gut gelungen oder weniger gut. Vielleicht war alles aber auch nur vergebliche Liebesmühe. Auf jeden Fall tut es gut, wenn das Erlebte mitgeteilt und geteilt werden kann. Allein sein bei Erfolg und erfreulicher Erfahrung kann auch trist werden. Niemanden zu haben, mit keinem Menschen reden zu können, wenn etwas schief ging oder gar Scheitern im Spiel war, das kann bedrücken.
Ich bin wieder da. Dieser kleine Satz ist eine Mitteilung: Nimm das, oder noch besser, nimm mich zur Kenntnis. Ein einfach hingeworfenes: Wie war`s denn, reicht da meist nicht aus. Gut wenn es durch ein Angebot ergänzt wird: Ich komme gleich; oder: wollen wir mir mit einander reden; ich mache uns einen Tee. In der Regel bringen wir ja, wenn wir uns melden: Ich bin wieder da, etwas mit. Egal was, auf jeden Fall bringen wir uns selber mit unseren unterschied-lichen und oft genug ambivalenten Erfahrungen und Wahrnehmungen mit.
Wieder da sein können, das kann und sollte gut tun. Wir sind ja beides: die, die sich melden und dann wieder die, bei denen man sich meldet. Da sein! Das heißt: Ich bin hier. Und das heißt auch: Ich bin für dich da.
Ich wünsche Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, dass ihre Anmeldung auf guten Boden fällt und dass sie Signale aussenden können, die sagen: Ich bin nun für dich da. Übrigens, ich erlebe in meinem Glauben, dass ich einem Gott vertrauen kann, der für mich da ist, und dem ich sagen kann: Ich bin wieder da mit allem, was mich gerade bewegt. Ich sage dazu auch einfach beten. Ich sage Gott: Ich bin wieder da und bin gewiss, er ist für mich da.

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Erstellt am: 29.10.2013 11:27 Uhr

Zündfunke, 28.10.13

Ankommen, das gilt es für viele Überwinterer in diesen Tagen auf unserer Insel. Ankommen, damit sind Erwartungen und Hoffnungen verbunden. Auch wenn es bis vor einiger Zeit in Deutschland fast spätsommerliche Temperaturen gab, die kalten und grauen Tage sind dort gewiss. Wie gut, dass Sie auf der Sonneninsel angekommen sind.
Hinter dem Wort ankommen verbirgt sich aber in der Regel mehr. Wir kommen gerne dort an, wo wir uns zuhause fühlen können, wo Menschen uns erwarten, die wir gerne sehen und wir auf Begegnungen mit ihnen gespannt sind.
Oft habe ich bei Gesprächen in den letzen Tagen gehört: Ist der oder sind die schon da? Gibt es Nachricht, wann sie kommen? Oder auch die Antwort auf solche oder ähnliche Fragen: Nein, die kommen dieses Jahr später. Schade.
Wir freuen uns auf Menschen, die uns etwas bedeuten, mit denen uns manches verbindet, wo wir ankommen können und die gerne bei uns ankommen dürfen.
Als meine Frau und ich Ende August hier ankamen, um den Pfarrdienst in der Gemeinde Teneriffa Nord aufzunehmen, da fragten uns manche, wo wir nach einigen Auslandsdiensten von 2009 bis heute vom Nahen Osten über Osteuropa und Südamerika denn eigentlich zuhause seien.
Mir fiel ein altes lateinisches Sprichwort ein: Ubi bene ibi patria. Wo es mir gut geht, da ist Heimat. Das wünsche ich allen, die schon da sind und die in den nächsten Tagen ankommen. Es möge ihnen gut ergehen an Leib und Seele. Beide brauchen Erholung, gelegentlich auch Genesung verbunden mit guten und erfreulichen Erfahrungen.
Für beides stehen auch unsere Kirchengemeinden auf der Insel. Lassen sie sich einladen, auch bei uns anzukommen, Beheimatung zu finden, einander zu begegnen und auch und gerade unserem menschenfreundlichen Gott, der zusammenführt, bei dem wir ankommen dürfen, durch eine offene Tür gehen können mitten hinein in ein Leben, das zu leben sich lohnt.

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Erstellt am: 29.10.2013 11:26 Uhr

PREDIGT VOM 27.10.2013

Von PFARRER JOHANN WEINGÄRTNER
1. MOSE 18, 20-33
20 Und der HERR sprach: Es ist ein großes Geschrei über Sodom und Gomorra, dass ihre Sünden sehr schwer sind.
21 Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob’s nicht so sei, damit ich’s wisse.
22 Aber Abraham blieb stehen vor dem HERRN
23 und trat zu ihm und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen?
24 Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die darin wären?
25 Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, so dass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten?
26 Der HERR sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben.
27 Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin.
28 Es könnten vielleicht fünf weniger als fünfzig Gerechte darin sein; wolltest du denn die ganze Stadt verderben um der fünf willen? Er sprach: Finde ich darin fünfundvierzig, so will ich sie nicht verderben.
29 Und er fuhr fort mit ihm zu reden und sprach: Man könnte vielleicht vierzig darin finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts tun um der vierzig willen.
30 Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, dass ich noch mehr rede. Man könnte vielleicht dreißig darin finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig darin, so will ich ihnen nichts tun.
31 Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, mit dem Herrn zu reden. Man könnte vielleicht zwanzig darin finden. Er antwortete: Ich will sie nicht verderben um der zwanzig willen.
32 Und er sprach: Ach, zürne nicht, Herr, daß ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht zehn darin finden. Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen.
33 Und der HERR ging weg, nachdem er aufgehört hatte, mit Abraham zu reden; und Abraham kehrte wieder um an seinen Ort.

Liebe Gemeinde !
Gott ist unterwegs nach Sodom. Feuer und Schwefel hat er in der Hand um die Stadt und ihre Bewohner zu vernichten. Zu groß ist der Frevel, zu schwer die Schuld, zu übermäßig die Dekadenz, die in dieser Stadt herrschen. Und sie ist nicht zur Umkehr zu bewegen.
Auf dem Weg dorthin begegnet Gott Abraham. Der erfährt vom Ansinnen Gottes, während er mit ihm unterwegs ist. Abraham interveniert. Denkt an den einen oder die andere Unschuldige oder Gerechte, die mit in der Stadt wohnen. Und so beginnt er, mit Gott zu verhandeln.
Kann man so mit Gott umgehen? Eine Gebet, eine Fürbitte für andere in Form eines orientalischen Feilschers auf dem Markt; oder wie früher eines norddeutschen Viehhändlers? Immer noch einen drauf oder besser gesagt, noch ein Stück nach dem andern weiter herunter handeln bis der besiegelnde Handschlag erfolgt.
Und das Erstaunlichste: Gott lässt sich auch noch auf diesen Handel ein, zumindest in unserer Geschichte. Da haben andere Beter zu anderen Zeiten ganz andere Erfahrungen gemacht: Sie erlebten das Schweigen Gottes oder ein Nein! Und es kam ganz und gar anders als gewünscht. Wie oft habe ich in meiner seelsorgerlichen Praxis diese Erfahrung gemacht. Menschen reden inständig mit Gott, bitten und bitten immer wieder. Denken dabei weniger an sich selbst, sondern wie Abraham an andere, die ihnen wichtig sind und die sie vor Gefahr bewahrt oder von schwerem Leiden geheilt, aus großer Not befreit wissen wollten. Und trotz inständigen Gebetes wurde keine Erhörung gewährt. Manche haben ihren Glauben sogar darüber verloren oder sind zumindest in tiefe Zweifel geraten.
Was sollen wir nun mit dieser sicherlich außergewöhnlichen aber genauso realitätsfremden Geschichte anfangen?
Und dann das Gottesbild das sie uns vor Augen malt. Gott geht nach Sodom und was hat er in der Hand? Ein großes Vernichtungspotential, Feuer und Schwefel. Was ist das für ein Gott, der vernichtet anstatt zurecht zu bringen. Der kann doch nur ein religiöser Irrtum sein oder bestenfalls der Anwalt von Machtbesessenen, die für sich in Anspruch nehmen, über Gut und Böse entscheiden zu können, und deshalb vernichten zu dürfen, was böse ist. Viele Machthaber dieses Typs sind gekommen und gegangen und immer hinterließen sie unzählige Opfer und manches Stück verbrannte Erde.
Nein, liebe Gemeinde, ein solcher Gott ist für mich nur schwer zu glauben.
Und deshalb noch einmal: Was sollen wir mit dieser Geschichte anfangen.
Ich will versuchen, einiges, was mir dazu eingefallen ist, mit Ihnen an diesem Nachmittag zu teilen.
1. Glaube kann retten
Wenn am Ende nur 10 Gerechte in Sodom gefunden werden, dann soll die Stadt gerettet werden. So weit hat Gott sich von Abraham herunterhandeln lassen. Bei 50 hatte er angefangen. Und dann kamen die Zweifel, ob die zu finden seien. Und so geht es weiter bis hin zur Untergrenze 10. Und Gott sagt zu: Wenn ich sie finde, dann soll die ganze Stadt gerettet werden.
Hier, liebe Gemeinde, findet sich beim alttestamentlichen Gott, der so wenig christliche Züge trägt, die eher auf grenzenlose Barmherzigkeit und Vergebung ausgerichtet sind, doch ein für mich fast versöhnender Zug. Gott will verschonen, seinen Vernichtungsplan aufgeben, zu dem er allerdings allen Anlass hat, wegen einer ganz kleinen Schar von Gerechten. Und wenn wir uns dann die Gerechten – im späteren Verlauf nach unserer Geschichte kommt es heraus – genauer ansehen, dann sind auch die noch ziemlich erbärmlich. Es handelt sich immerhin um Lot und seine Familie. Lot, dieser Neffe Abrahams, hatte den alten Onkel immerhin um das fruchtbarste Land am Jordan gebracht. Dort konnte er nun relativ leicht seinen Lebensunterhalt als Viehzüchter absichern, während Abraham das trockene Steppengebiet an der Grenze zur judäischen Wüste erhielt mit dem ständigen Kampf um das wenige Wasser.
Es geht also nicht um die lupenreinen Gerechten, sondern um die, die selbst einige dunkle Flecken auf ihrer alles andere als der sprichwörtlich weißen Weste tragen. Aber immerhin, sie sind von Gottvertrauen geprägt, spielen das unwürdige Spiel menschenverachtender Verhaltensweisen einer dekadent gewordenen Gesellschaft nicht mit.
Um die kämpft Abraham in seinem betenden Handel mit Gott. Dieser schwache Glaube soll die ganze Stadt retten. Aber eben auch der Glaube des Beters Abraham, der seinem Gott solange in den Ohren liegt, bis er deren Rettung erreicht. Wie gesagt, Abraham bittet ja nicht für sich; er bittet für andere; sicherlich für einen Verwandten mit wenigen Angehörigen. Ab er eben auch um einen, der ihn selber einst übers Ohr gehauen hat. Das ist schon vorbildlicher Glaube. Und nicht umsonst wird Abraham einer der Väter des Glaubens genannt.
Glaube kann retten. Ich sage bewusst kann. Das ist nicht immer so gewesen und wird auch nicht immer so sein. Am Anfang habe ich darauf hingewiesen. Manches, was Menschen und ganzen Völkern geschieht, bleibt für uns im Dunkeln. Und manch ein mit Gott ringendes Gebet wird nicht oder nicht so oder noch nicht erhört, wie der Beter es erhofft und gewünscht hat. Übrigens bei Sodom ist es ja auch anders ausgegangen. Es gab keine 10 Gerechten in der Stadt, sondern nur Lot, seine Frau und seine beiden Töchter, die allerdings wurden gerettet, nachdem sie zuvor von den Bürgern der Stadt verspottet worden waren und sogar gelyncht werden sollten. Das war ein erster Gedanke, der mir wichtig wurde, um dieser sperrigen Geschichte etwas abzugewinnen. Vielleicht geschieht es ja hin und wieder heute doch noch, was Abraham in seinem unbändigen Gottvertrauen widerfuhr. Glaube kann retten.
2. Keine Kollateralschäden
Wenn Menschen das so genannte Böse vernichten wollen, dann nehmen sie in der Regel in Kauf, dass unschuldiges Leben mit zerstört wird. Die höchst zweifelhaften Kriege gegen das Böse in den letzten Jahren legen davon ein beredtes Zeugnis ab. Oft frage ich mich allerdings: wer sind die Bösen und wer die Guten? Die Grenzen verschwimmen da mehr und mehr. Wenn Unschuldige mit betroffen werden, reden die Mächtigen nicht von der Zerstörung menschlichen Lebens, sondern von Kollateralschäden. Das klingt etwas milder und weil es nur so klingt, ist es umso verabscheuungswürdiger. Wie viele Tausende von Kindern und schlichten Zivilisten sind mit umgekommen in all den Bombenkriegen der Vergangenheit und – Gott sei es geklagt – auch der Gegenwart, von Afghanistan bis nach Syrien, von Palästina bis in den Kongo. Wenn es um Macht geht, tendiert der Wert des Lebens und seine Unantastbarkeit gegen Null und noch darunter. Und da spielt es keine Rolle, ob sie von totalitären oder so genannten zivilisierten Staaten ausgeübt wird.
Das darf nicht sein, um Gottes und der Menschen willen nicht. Und wenn das schon bei dieser schrecklichen Geschichte von Sodom und Gomorra eine Rolle spielt, wie viel mehr muss das im Neuen Testament von Bedeutung sein.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane. Dort stehen schwer Bewaffnete Jesus und seiner Jüngerschaft im Dunklen gegenüber. Bevor es zu einem sinnlosen Gemetzel kommen kann, sagt Jesus: Sucht ihr mich? Hier bin ich. Aber diese lasst gehen, fügt er mit einer Handbewegung in Richtung auf seine Jünger an. Mich könnt ihr haben – aber jene lasst in Frieden. Auch hier: Bitte keine Kollateralschäden.
Und dennoch ist gerade diese Jesusgeschichte eine pure Kontrastgeschichte zu der von Abraham, Gott und Sodom im Alten Testament.
In beiden Geschichten ist Gott unterwegs zu den Menschen. Zu den Guten und Bösen, den Gerechten und Ungerechten. Auf dem Weg nach Sodom trägt Gott Feuer und Schwefel mit sich. Und am Ende wird die Stadt vernichtet, wenn auch mit Rettung der wenigen Glaubenden.
In den Jesusgeschichten ist Gott ebenfalls unterwegs, gleichermaßen in der Gestalt eines, wenn auch besonderen Zeitgenossen. Er hat kein Verderbens – oder Vernichtungspotential in den Händen, sondern ein vor Liebe brennendes Herz in der Brust. Einer Liebe, die auch noch den Feinden vergibt, die schuldig Gewordenen versöhnt, die aus der Bahn geworfenen auf guten Weg bringt. Er hat ein brennendes Herz voller Liebe, die bereit ist, sich selbst zum Opfer zu geben, anstatt andere zu Opfern werden zu lassen, und wenn sie es auch noch so sehr verdient hätten. Gibt es in der Tat so etwas wie einen Lebenslauf Gottes in der Geschichte des Glaubens? Ein Theologe des 20. Jahrhunderts hat das einmal so gesagt. Und in der Tat, wenn ich die Entwicklung des Gottesbildes von Sodom bis hin zu den Jesusgeschichten anschaue, dann ist das festzustellen und festzuhalten. Gott kann sich ändern. Er tat es erstmals schon ziemlich am Anfang, als er sagte: Ich hinfort nicht mehr die Erde zerstören, es soll nicht aufhören Saat und Ernte, Sommer und Winter, Frost und Hitze, Tag und Nacht.
Einmal sind die Jünger Jesu allerdings in großer Versuchung, einen schrecklichen Rückfall in alte Gottesbilder zu erleiden. Sie sind mit ihm unterwegs gewesen, um den Menschen die Liebe Gottes zu verkündigen. Und dabei kamen sie auch an Orte, wo sie nicht gern gesehen wurden, ähnlich wie Lot in Sodom. Mit viel Vollmacht hatte Jesus die Jünger ausgestattet. Und als sie ihm von ihren negativen Erfahrungen berichtet hatten, da sagen sie zu ihm: Herr, willst Du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle und verzehre sie. Jesus antwortet: Wisset ihr nicht, wes Geistes Kinder ihr seid? Ich bin nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.
Und damit ist es nun endgültig heraus. Wenn der Gott in der schwierigen Geschichte von Sodom und dem Gebetshandel mit Abraham zumindest keine Kollateralschäden will – und damit ist das uralte Gottesbild schon weitaus fortschrittlicher als das Menschenbild gegenwärtiger Machthaber – dann zeigt uns Jesus endgültig den Gott, dessen Barmherzigkeit keine Grenzen mehr kennt, dessen Liebe weit ist wie das Meer und der uns ermutigt an diesem Sonntag:
Ein Glaube, der mit Gott rechnet und redet, der kann retten, weil er an einen Gott gerichtet ist, der die ganze Welt gerettet hat. Nur haben es viel zu wenige begriffen und können deshalb nicht aufhören, sie zu zerstören. Seien wir deshalb seien wir fair und schieben wir das eigene Unvermögen, Leben zu schützen und zu erhalten, nicht Gott in die Schuhe. Er hat’s nicht verdient. Die vielen Erfahrungen von Sodom und Gomorra, Aleppo und Damaskus, Kabul und Pakistan gehen eben nicht auf göttliche Zerstörungswut zurück. Das schaffen die Menschen ganz ohne ihn in einem manchmal teuflischen Wahn.
Der Gott Abrahams, in dessen Zügen sich bereits Erbarmen ankündigt, hat in Jesus von Nazareth endgültig sein Gesicht gezeigt mit den Zügen unendlicher Gnade, tiefster Liebe und endgültiger Rettung aus allem, was das Leben gefährdet und zerstört.
Amen

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Erstellt am: 29.10.2013 11:24 Uhr

Info vom Loro Park

Sehr geehrte Damen und Herren:
Wir informieren Sie darüber, dass aus technischen Gründen, unser Kino “Naturavision” im Loro Parque ab dem 25. Oktober und bis auf Weiteres geschlossen bleibt.
Wir bitten Sie etwaige Unannehmlichkeiten zu entschuldigen und bedanken uns sehr für ihre Unterstützung.
Für zusätzliche Information oder Fragen, stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit zur Verfügung.

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Erstellt am: 28.10.2013 11:56 Uhr

Zündfunke, 27.10.13

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Einen wunderschönen Sonntagmorgen wünsch’ ich Ihnen, liebe Schwestern und Brüder!
Was ich jetzt im Moment tue, nämlich hier im Radio zu Ihnen zu sprechen, das gehört zu meinem Leben unabdingbar dazu. Ich staune immer wieder darüber, was es eigentlich heißt, sprechen zu können. Was für ein großartiges Geschenk das ist: Sich mitteilen und aussprechen, sich anvertrauen und miteinander reden. Theater und Musical, Unterhaltung und Gesang, das geistliche Wort jetzt – all das wäre ohne die Sprache undenkbar. Wir können von schönen Erlebnissen berichten und Erfahrungen austauschen; wir können Verzagten Mut machen und Kranke trösten; wir können unseren Partnern und unseren Kindern sagen, dass wir sie lieb haben; und wir können natürlich auch unserem Ärger hie und da Luft verschaffen.
Sprechen. Mir ist das neu aufgegangen, als ich vor kurzem einen sehr interessanten Fernsehbeitrag aus einem Heim für Taubstumme gesehen habe. Wie viel Mühe und Geduld hier Menschen aufbringen, um sich sprachlos zu verständigen! Und wie mag es wohl dem Taubstummen ergangen sein, dem Jesus zugerufen hatte: „Effata! – das heißt: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit, und er konnte richtig reden“ – so erzählt es uns das Markusevangelium im Neuen Testament im siebten Kapitel.
Ich verstehe dieses Wirken Jesu aber auch als seinen Protest gegen jegliches menschliche Leid und auch als einen Appell an mich: Effata – Du, Bertram, öffne dich für Gott und für die Not deiner Mitmenschen! Und: Mich macht dabei aber auch nachdenklich: wie fahrlässig wir bisweilen mit der Sprache umgehen. Wenn ich ehrlich bin, gehöre ich doch auch zu denen mit der losen Zunge. Was reden wir nicht alles über Abwesende: „Haben Sie schon gehört, der und die . . . ?“ – Und sicher nicht nur Gutes. Was unkontrolliertes Reden angeht, so gibt es in der Bibel Worte, die uns diesbezüglich beunruhigen müssten. Denn da heißt es eindeutig, dass wir für jedes unnütze Wort Rechenschaft ablegen müssen. (Mt 12,36) und dass Gott eine falsche Zunge abscheulich findet, die Lügen verbreitet und Streit entfacht. (Sprüche 16,16-19)
Sicherlich: das ist keine göttliche Drohung, die einem Angst einjagen möchte. Aber es ist ein Appell: Wenn wir reden, so möchten wir doch bitteschön behutsam und wahrhaftig sein.
Einen schönen Sonntag Ihnen allen.

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Erstellt am: 28.10.2013 11:30 Uhr

Zündfunke, 26.10.13

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Immer mehr Menschen, verehrte Schwestern und Brüder, stellen sich das Leben nach dem Tod als Reinkarnation vor. Früher kannten das nur Buddhisten und Hinduisten; in den abrahamitischen Religionen des Judentums, des Christentums und des Islam – also jener Religionen die man auch monotheistisch – Ein-Gott-Glaube nennt – in diesen Religionen war ein Gedanke daran nicht nur fremd, sondern schlicht und ergreifend undenkbar. Was aber versteht man denn unter Reinkarnation?
Dieses Wort meint, dass der Mensch nach seinem Tod wiedergeboren wird, dass seine Seele in einen neuen Körper, in eine neue Existenz übergeht. Und das so oft, bis er durch ein geläutertes, aufgearbeitetes Leben aus diesem Kreislauf „erlöst“ wird und dann nicht mehr wiedergeboren werden muss. Bei allem Respekt vor einer großen Tradition, besonders in den indischen Religionen, aber ich persönlich mag diese Vorstellung auch nicht. Warum? Der Reinkarnationsgedanke in den Köpfen westlich geprägter Menschen, scheint in meinen Augen eher einer Verdrängung der Wirklichkeit Tod zu entsprechen. Zu mechanisch scheint eine Wiedergeburt die andere abzulösen, wechseln die Seelen von einer Lebenswirklichkeit in eine andere. Und die Rolle Gottes dabei, falls er überhaupt in den Blick kommt? – Ist er nicht der gleichgültige Aufpasser, der die Seelenwanderungen überwacht? Ein menschenfeindlicher Götze, der solche armen Seelen zu einer immer nächsten Runde verdammt, wenn sie es mal wieder nicht geschafft haben, ein ihm konformes Leben zu führen? – Eine grausame Vorstellung.  Davon abgesehen, vor Gott würde eine Wiederholung des Lebens nichts Neues bringen, sondern nur die Summe mehrerer endlicher Lebensentscheidungen bedeuten.
Seelenwanderung, eine wie auch immer gedachte Wiedergeburt, widerspricht der unantastbaren Würde und Einmaligkeit des Menschen. Der Gott der Bibel sieht sie so vor: „Fürchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst mir, ich bin dein Retter, du bist mir teuer und wertvoll, weil ich dich liebe.“ (Jesaja 43,1-7) Wir sind kein anonymes „Es“, sondern ein unverwechselbares „Du“. Im biblischen Denken geht es nicht um eine Seele, es geht um den Menschen. Und dieser Mensch hat eine einmalige, unwiederholbare Lebensgeschichte.
Was meine Vorstellung vom Leben nach dem Tod ist? – Ich glaube an einen persönlichen Gott, der so persönlich ist, dass er in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist. Und ich glaube, dass bei diesem Gott jeder Mensch mit seinem Leben aufgehoben ist, ganz aufgehoben. Mit seinen Tränen und Freuden, mit seiner Schuld und mit seinen Fragen, mit seinem ganzen Packen Leben. Weil dieser Gott ein grenzenlos liebender Gott ist. Und der durch Gott und nicht durch Menschen herbeigeführte Zustand ungetrübten Glücks nennt der christliche Glaube „Ewiges Leben“. 

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Erstellt am: 28.10.2013 11:27 Uhr

Zündfunke, 25.10.13

Diakon Bertram Bolz, Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Guten Morgen, liebe Schwestern und Brüder!
Eigentlich hätte ich es wissen können, ja wissen müssen. Wochenlang hab ich mich vor
dem Anruf gedrückt; mir immer wieder gesagt, das mach ich nach der Saison; dann war es nach dem Urlaub… Ja, ich war zugegebenermaßen froh, dass er nicht da war, als ich anrief. Es ging ihm nämlich überhaupt nicht gut, wie mir Bekannte dann sagten. Krebs – hieß die Diagnose. – So schlimm? – Ja. – Krebs mit dem Zusatz: inoperabel. Was noch nichts Genaues und Konkretes heißt. Zumindest nichts Endgültiges.
Aber ich musste mir da selber klar machen: Bertram, mach dir nichts vor. Eine solche Diagnose bedeutet sicherlich noch nichts Endgültiges, aber eben auch nichts Gutes. Nichts wollte ich falsch machen, nichts Dummes sagen, nicht nur hölzern daherreden… Und so schob ich das Telefonat weiter vor mir her. Aber irgendwann musste es einfach sein. Ich rief an und – er war da. „Hallo?“ Seine Stimme klang anders als sonst; viel dünner. „Endlich erreiche ich dich“, höre ich mich sagen. „ich hab’s ja schon oft probiert, aber du warst nicht da.“ – „Ach ja?“ er klang überrascht. „Ich wollte einfach wissen, wie es dir geht“, sage ich, dabei war das alles Andere als einfach.
Und dann erzählte er von sich und seiner Krankheit, so selbstverständlich, wie über eine Urlaubsreise. Von den langen Tagen im Krankenhaus, von den vielen Untersuchungen, von den Bestrahlungen. Und dass er darüber nachgedacht habe, wo Gott wohl wohnt. „Und wo wohnt er?“ frage ich ihn und er sagt: „Gott wohnt in der Hölle.“ Dann erzählt er mir von dem Raum, in dem man bestrahlt wird, wenn man Krebs hat. Ein völlig schallisolierter Raum mit nichts wie Maschinen. Dort liegt man dann ungefähr 15 Minuten oder auch mehr, sagt er – ganz allein. Denn die Andern müssen ja raus, wegen der Strahlen. Dann surrt es, Roboter drehen Arme. Tödliche Strahlen treffen den Körper. „Das“, sagte er, „ist die Hölle. Und da wohnt Gott.“ 
Ich hätte es wissen können.  Dass er viel stärker ist, als ich in meiner Angst. Dass er nicht aufgeben würde. Weil er die Geschichte kennt, in der es heißt: Jesus Christus – hinabgestiegen in das Reich der Hölle. Am dritten Tage auferstanden von der Hölle. Deshalb sind wir auch nicht allein, in der Hölle. Wie immer es auch aussieht. Er ist immer schon da. Ist da für uns. Ich hätte es wissen können. Dass ich keine Angst haben muss vor der Hölle und vor denen, die da rein geraten sind. Jetzt weiß ich es wieder.

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Erstellt am: 28.10.2013 11:24 Uhr

Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis 2013 (27.10.)

L I: Sir 35, 15b-17.20-22a. / Ev.: Lk 18, 9-14
Schwestern und Brüder!
Wissen Sie was ein Pharisäer ist? Das ist ein gehöriger Schuss Rum, zur Tarnung etwas Kaffee darüber und zur Krönung eine Haube aus Schlagsahne. In der Regel kostet ein solcher Pharisäer 3,50 Euro und jede Küstenkneipe im Norden Deutschlands hat ihn auf der Getränkekarte. Als ich davon zum ersten Mal hörte, dachte im Stillen an unsere schwäbischen Maultaschen – die sogenannten „Herrgottsbscheißerle“ –, die deshalb so genannt, weil man das inwendig versteckte Fleisch nicht sieht. Was beiden also gemeinsam ist, liegt auf der Hand: Anderes scheinen als sein.
Dieses anders scheinen als sein, das haben viele Zeitgenossen in den
vergangenen Tagen und Wochen auch uns Kirchenleuten vehement vorgeworfen – frei nach dem Motto: „Ihr seid doch alles Pharisäer“. Auslöser für diesen Rundumschlag war vor allem das Verhalten eines Oberhirten, welches aber vielen mal wieder dazu gedient hat, generalstabsmäßig über alle in der Kirche herzuziehen. Schaut: Wasser predigen sie bei der Kirche, aber Wein trinken sie. Oder um es mit den Worten besagter Tageszeitung mit den 4 Buchstaben zu sagen: Protzbau für den Bischof, aber kein Geld für die Gemeinden.
Auf diesem Hintergrund war denn auch mein erster Gedanke bei diesem Bibeltext: Gut, dass Jesus den Pharisäern eine gewaltige Abfuhr erteilt hat und gut, dass so auch die ganze Unaufrichtigkeit in unserer Kirche und unserer Gesellschaft mal an den Pranger gestellt werden kann. Diese Frömmigkeit, die oft nur sich selbst und das eigene Seelenheil im Blick hat, die geht mir eh gewaltig auf die Nerven. Ich kann also mal wieder so richtig vom Leder ziehen und auch den eigenen Leuten die Leviten lesen.
Doch wie ich so darüber nachgedacht habe, was ich sagen will, habe ich
gemerkt: Hoppla, der Text wendet sich ja auch gegen mich. Hier geht es gar nicht so sehr ums Keulen schwingen gegen andere, sondern wie oft hab ich denn selber schon gesagt: „Danke, Herr, dass ich nicht so bin, wie diese oder dieser da!“ Und es hat sich für mich mal wieder glasklar bewahrheitet, dass man so manchen Bibeltext eben auch „gegen sich selbst“ lesen muss, um ihn am Ende tatsächlich richtig zu verstehen. Also wechseln wir doch mal den Standort und verlassen wir den so scheinbar sicheren Boden unserer Überzeugungen und nehmen wir die beiden Hauptakteure dieser Geschichte in den Blick.
Die Sympathien der meisten von uns gehören zweifellos dem Zöllner, der auch bei Jesus überraschend gut weg kommt. Außerdem wirkt es fast sogar rührend, wie er da so verloren im Tempel rumsteht und kein Wort herausbekommt. Dabei sollten wir aber nicht außer Acht lassen, dass Zöllner in Israel Kollaborateure der römischen Besatzungsmacht waren. Viele bereicherten sich schamlos auf Kosten ihrer Landsleute und hatten deshalb ein ähnlich miserables Ansehen wie heutzutage die Manager, die ganze Banken ins Trudeln, dabei aber ihre eigenen Scheinchen ins Trockene gebracht haben. Oder wie Politiker, die doppelte Bezüge erhalten und deshalb der Steuerzahler dran glauben muss. Oder eben der Bischof, der sich gedacht hat, wenn wir schon bauen, dann richtig fürstlich, Geld ist genug da.
Auf der anderen Seite ist der Pharisäer. Für uns ein Urbild des aufgeblasenen Frommen; arrogant und selbstgerecht, ohne jegliche Barmherzigkeit. Sicherlich: das stimmt. Aber was bitte schön ist dagegen einzuwenden, wenn jemand strenggläubig ist und seinen Glauben ernst nimmt? Wenn jemand betet und fastet? Und außerdem: Die Pharisäer waren es, die dafür Sorge getragen haben, dass die Menschen in Israel auch unter der römischen Besatzung ihre Identität wahren konnten. Dass sie wussten: Das ist unsre Tradition, unsere Geschichte, unser Glaube, der uns Halt gibt. Übrigens hatte Jesus ja auch Freunde unter den Pharisäern. Denken wir nur an Nikodemus, der ihn bei Nacht aufgesucht und ihn später gegen seine Pharisäerkollegen in Schutz genommen hat. Es ist also alles gar nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint.
Was eindeutig ist, das ist der Ort, an dem die Geschichte spielt. Der Tempel – und das war unstrittig – das ist für die Israeliten die Wohnung Gottes. Also dürfen wir davon ausgehen, dass sowohl den Pharisäer als auch den Zöllner der gleiche Gedanke beschäftigt hat: Mit Gott reden, ihn erfahren, ihm auf die Spur kommen – das geht wohl nur hier im Tempel. Nun macht Jesus allerdings mit dieser Geschichte auch deutlich: Der Ort allein ist nicht ausschlaggebend. Natürlich kann er ein religiöses Empfinden auslösen oder auch eine weihevolle Handlung in Gang setzen. Aber der Glaube, so wie ihn Jesus versteht, der bewahrheitet sich im Umgang mit den Menschen, mit denen ich zu tun habe. Und da treten die Unterschiede unserer beiden Akteure doch ganz offen zutage:
Der Pharisäer, Stammgast im Tempel, ist hier mit Gott auf du und du. Er weiß, wann man sich im Gottesdienst setzt, wann man aufsteht; er weiß, wann aus der Schrift gelesen wird, wann welche Gebete gesprochen werden usw. Aber trotz allem scheint da mit seinem Glauben etwas nicht zu stimmen. Denn immerhin hält es dieser routinierte Fromme für nötig, Gott zu erinnern und ihm auf die Sprünge zu helfen im Stil von:“Herr erinnerst du dich? Ich bin’s. Ich faste zweimal am Tag und geb den Zehnten von meinen Einnahmen.“ Spüren Sie etwas? Hinter all dieser Rechtgläubigkeit verbirgt sich eine große Unsicherheit; ja vielleicht sogar die Angst, man könnte es Gott eben doch nicht recht machen. Und das ganze Fasten, Opfern und Gebote befolgen – ja vielleicht sogar das Beten ist für ihn nichts anderes als eine Krücke, an der er durch sein Glaubensleben humpelt. Genau in dieser Unsicherheit greift der Pharisäer zum rabiatesten aller Mittel: Er vergleicht sich mit dem Zöllner, dem er doch haushoch überlegen ist. Dieser Schmalspurgläubige, der nicht mal weiß, wie man sich hier benimmt, der kann mir doch nicht das Wasser reichen.
Genau dieses Vergleichen mit anderen, das steckt irgendwie in uns allen. Und je nachdem, mit wem wir uns vergleichen, stürzt uns das in einen Anfall von Depression oder es beschert uns einen Höhenflug. Und warum das alles? Weil unsere Leistungsgesellschaft Siegertypen verlangt. Menschen, die schön, stark, kreativ, reich oder wenigstens erfolgreich sind. Nur – da wo es Sieger gibt, gibt es immer auch Verlierer. So ist die Welt und so funktioniert die Gesellschaft. Jesus war Realist genug, um genau das zu wissen. Deshalb hat er auch seinen Freundinnen und Freunden immer wieder gesagt: „Arme habt ihr immer unter euch.“ Oder: „Die Kinder der Welt sind doch um einiges klüger als die Kinder des Lichts.“ Trotzdem gilt: Bei Gott gelten andere Maßstäbe. Er urteilt anders, als es eben in unserer Welt zu urteilen üblich ist: „Der Zöllner kehrt als Gerechter nach Hause zurück“, soll heißen: Der war Gott recht, so wie er war.
Bleibt die Frage: Hat Gott hier beide Augen zugedrückt angesichts der Tatsache, dass dieser seinen Lebensunterhalt mit Wucherei und Korruption bestritten hat? Das wiederum glaube ich nicht. Vielmehr war der Zöllner unglücklich mit seinem Leben. Er wusste, dass er vor Gott nichts vorweisen kann: Weder Glauben und schon gar nicht gute Taten. Aber er wendet sich trotzdem an Gott, von dem er doch so wenig weiß. Er macht es schüchtern, zögernd, tastend – wohl wissend, dass er keinerlei Ansprüche geltend machen kann. „Sei mir Sünder gnädig“, das ist alles, was er rausbekommt, und Gott genügt es vollkommen.
Nun wird ja – wie eingangs erwähnt – der Kirche und dem himmlischen Bo-
denpersonal oft der Vorwurf gemacht: „Ihr predigt den Menschen Wasser
und lasst es euch selbst mit Wein gut gehen.“ Oder anders gesagt: „Ihr legt
es doch darauf an, das Selbstbewusstsein der Menschen in Frage zu stellen oder gar zu brechen. Erst durch eure Predigt macht ihr doch die Leute zu Sündern vor Gott. Und wenn die Leute erniedrigt sind, dann könnt ihr die moralische Keule schwingen.“ Ich gebe gerne zu, dass wir alle – auch und gerade die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – in der Versuchung stehen, sich über andere Gläubige zu erheben. Und unsere Kirche hat in der Tat Phasen erlebt, in denen sie der Versuchung der Machtausübung nicht widerstehen konnte. Damit hat sie das Evangelium pervertiert und mit dem Glauben an Jesus und seine Botschaft hat das nichts zu tun. Aber dem Zöllner hier in unserer Geschichte, dem hat keine religiöse Instanz ein schlechtes Gewissen gemacht, sondern sein eigenes Leben. Es geht ihm da also kein Haar anders wie Ihnen und mir:
Unser Leben ist die Folge von Entscheidungen, manchmal auch von Zwängen, Denkmustern und Bedingungen, die wir vorfinden. Und wer mit offenen Sinnen durchs Leben geht, dem dämmert schnell: Wir werden immer jemandem etwas schuldig bleiben – aus Schwäche, aus Unkenntnis, aus schicksalhafter Notwendigkeit. Aber Jesus sagt uns mit dieser heutigen Geschichte: „Ihr müsst doch Gott nichts vormachen oder vorrechnen. Vertraut ihm, ohne Angst. Er liebt euch und ihr seid ihm wichtig.“ Der Zöllner hat gesagt: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ Für uns klingt das altbacken, nach Strafe, nach Betteln um Gnade. Dabei könnten wir doch auch sagen: „Ich will dir vertrauen“, „ich setze meine Hoffnung auf dich“, „lass mich nicht im Stich, ich brauche dich, Gott“. Vielleicht sind uns solche Worte näher, verständlicher. Für mich drücken sie dasselbe aus, was der Zöllner gesagt hat.
Nehmen wir diese, seine Geschichte, als eine Einladung zum Glauben; als eine Einladung, die Freundlichkeit, die Großzügigkeit und die Liebe Gottes für unser Leben immer wieder neu zu entdecken. Amen.

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Erstellt am: 28.10.2013 11:21 Uhr