Schwestern und Brüder!
In aller Regel verläuft unser aller Alltag – wenn wir nicht gerade im Urlaub sind – doch recht normal, ohne großes Auf und Ab: Wir Schlafen und Wachen, Arbeiten und haben Freizeit, wir Essen und Trinken, Telefonieren und Kaufen ein, besuchen Leute und werden von Leuten besucht. Alles also ohne großes Tohuwabohu, eine Art täglicher Routine; nichts Besonderes. Und doch wissen wir alle: dieses ach so einlullende Alltagsgebaren unseres Lebens schützt uns nicht vor den vielfältigen Bedrohungen, die es eben auch für jede und jeden von uns bereithalten kann. Ganz unvermutet können diese auftauchen und in die alltägliche Routine platzen: Da eröffnet der Arzt uns zum Beispiel, dass unsere Beschwerden nicht nur eine harmlose Ursache haben. Oder eine Liebesbeziehung, auf die man sich so verlassen und auf die man alles gebaut hatte, zerbricht. Oder ein Unfall mit gesundheitlichen Langzeitfolgen beeinträchtigt das Leben. Oder eines der Kinder oder Enkel kommt mit dem Leben nicht mehr klar und man weiß nicht wie helfen oder wie es weitergehen soll…oder…oder….oder…
Wie aber gehen wir jetzt damit um, dass uns eine solche Bedrohung Tag für Tag aus dem normalen Alltag und dem seelischen Gleichgewicht katapultieren kann? Man kann einerseits alles überspielen, das Bedrohliche und Negative im Leben einfach unterdrücken und verdrängen. Man lebt in den Tag hinein – frei nach dem Motto: Schön cool bleiben und ja nicht groß darüber nachdenken. Man kann aber auch gleichgültig, resignativ oder gar zynisch werden. Wenn nichts bleibt, wenn alles in Frage steht, wenn alles zerbrechen kann oder vielleicht sogar bereits zerbrochen ist; wenn man eh nichts machen kann, ja dann, dann ist doch schlussendlich auch alles egal. Das Schicksal anderer Menschen, Werte wie Wahrheit, Liebe und Freiheit – was soll‘s? Hauptsache, man kommt selber durchs Leben und es geht einem halbwegs gut dabei.
Beide dieser Möglichkeiten sind in unserer Zeit weit verbreitet. Im Main-stream unserer Tage, also im Hauptstrom oder auch im Massengeschmack der Medien, wird vor allem das erste Muster vorgelebt: das Muster des immer gut drauf sein. Viele Radio- und Fernsehprogramme laufen doch genau nach dieser Masche ab. Ja nicht alles bierernst nehmen, alles ist irgendwie witzig – selbst ein Promi-Big-Brother-Container. Auf alles und jedes gibt es einen passenden lockeren Spruch und dann geht es schon irgendwie fröhlich-munter weiter; egal, was sonst so auf dem Erdball passiert.
Die modernen Wissenschaften dagegen verführen uns eher zum zweiten Muster, dem sogenannten Zynismus. Kräftig arbeitet man an der Entmythologisierung des Menschen. Gefühle, Gewissen, Verhalten, Kultur und Religion – all das scheint demnach nur noch eine Funktion biochemischer Prozesse zu sein. Der Mensch ist in den Augen der Wissenschaft nichts anderes als ein natürliches Zufallsprodukt und ein Irrläufer der Evolution. Wenn es aber so sein sollte und ich ganz persönlich nicht mehr als ein solcher Irrläufer bin, auf den die Menschheit auch ganz gut verzichten kann – ja dann ist der Weg zum Zynismus wirklich nicht mehr weit.
Wenn ich diese beiden Sichtweisen so betrachte, dann spüre ich aber ganz deutlich: einer wirklichen Bedrohung, einer echten Lebenskrise halten diese beiden Weltanschauungsprogramme nicht wirklich stand. Irgendwann kommt der Punkt, wo mein Leben einen letzten Ernst bekommt, wo eben alles plötzlich gar nicht mehr so witzig und lustig ist. Und wenn jemand mit einer Krise konfrontiert wird, dann bleibt ihm der Zynismus oft im Halse stecken. Selbst eine bitterböse Satire-Sendung wie die „heute-show“ findet etwa am rätselhaften Verschwinden des Fluges MH-370 oder an der Situation in Syrien und der Ukraine ihre Grenzen. Da fehlen auch einem begnadeten Kabarettisten
wie Oliver Welke einfach Worte und Bilder.
Das Evangelium möchte uns deswegen einen anderen Weg anbieten. Nicht den Weg der Verdrängung, nicht den Weg des Zynismus – sondern den Weg der Liebe. Der zentrale Satz des Evangeliums lautet doch: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der
an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“
Das aber ist alles andere als ein gerader und schon gar kein einfacher und bequemer Weg. Gott bestimmt ja die Liebe nicht bloß als oberstes Gebot für uns Menschen und diese Welt; quasi als Verordnung von oben her. Nein, dieser Gott, der die Liebe selbst nicht nur verkörpert sondern ist, er schenkt sich dieser Welt und uns Menschen. Er bleibt nicht außerhalb, irgendwo außen vor, sondern er „inkardiniert“, er gliedert sich in der Person Jesu in diese Welt ein. Und warum? Weil er sie fundamental liebt – ohne Wenn und Aber. Diese Liebe Gottes findet dann aber ihren höchsten Ausdruck darin, dass sie das Schicksal von uns Menschen teilt, unseren Weg mitgeht bis zum bitteren Ende, bis zum Tod – auch bis zum Tod am Kreuz.
Spüren wir, dass das alles andere als eine billige Gnade oder Verströstung ist, sondern ein wirkliches Mitleiden? Genau das aber ist der Weg Gottes, der Weg des Evangeliums. Und wir sind eingeladen, diesen Weg mitzugehen, dieser, seiner Liebe, zu trauen. Als Christen leben wir ja nicht in einer anderen Welt als andere Menschen. Wir erleben das Gleiche wie sie auch; wir bleiben vor den Klippen und Untiefen des Lebens nicht verschont. Aber wir können die Welt mit anderen Augen sehen. Wir sind gewiss: die Welt ist in ihrer ganzen Zweideutigkeit und Zwiespältigkeit schon hineingenommen in das Geheimnis der Liebe Gottes. Und diese Liebe ist stärker als alle Mächte dieser Welt. Oder anders gesagt: Die Liebe muss das allerletzte Wort haben; auch wenn sie den Verlust eines Menschen durch den Tod oder das Erleben von Leid nicht ausschließt.
Was bedeutet das nun aber konkret? Ich für meinen Teil darf sagen: Jede gute Erfahrung in meinem Leben, darf ich als Gabe Gottes annehmen, als einen Ausfluss seiner Liebe. In jeder dieser guten Erfahrungen darf ich mich von ihm beschenkt wissen. Friede, Gemeinschaft, Freude, Schönheit, Sexualität, Erfolg – all das lässt mich spüren: Mein Leben hat einen Sinn. Ich spüre etwas von der Kraft Gottes, von seiner Liebe.
Gleichzeitig weiß ich aber auch: Es wird in meinem Leben, in dieser Welt
immer auch das Negative geben. Krankheit, Trauer, Ungerechtigkeit, Tod. Doch auch in diesen Erfahrungen darf ich mir sicher sein: Die Liebe Gottes umgreift auch dieses Negative, auch die Kreuze meines Lebens. Ich weiß, wir tun uns mitunter schwer mit genau diesem Glauben des Kreuzes und des Leids, und es fällt mir der Spruch eines gläubigen Schriftstellers und Polemikers ein, der das ganz konkret auf den Punkt gebracht hat: „Herr, du betest für die, die dich kreuzigen, aber du kreuzigst die, die dich lieben.“ Genau das ist doch das Empfinden vieler, die nicht damit zurechtkommen, dass sie Gott lieben und trotzdem in ihrem Leben Leid erfahren. Aber diesen Menschen und uns – Ihnen und mir – gilt die Sicherheit: wir können nie aus der Liebe Gottes, aus seiner Gemeinschaft herausfallen. Wenn wir aber so Gott und seiner Liebe trauen, dann brauchen wir a) die Welt nicht zu vergöttern, und müssen wir b) nicht an ihr verzweifeln. Im Gegenteil: Ich kann mich an allem Guten in der Welt freuen, ohne mich um jeden Preis daran zu klammern. Und umgekehrt gilt: Ich kann auch im Leid standhalten, ohne mutlos zu werden.
Der Liebe trauen bedeutet also: in allen Situationen des Lebens darauf zu bauen, dass in ihnen letztlich ein Sinn verborgen ist. Der Liebe trauen bedeutet: mir ist eben nicht alles egal, sondern ich übernehme Verantwortung für diese Welt und für die Menschen – und: Der Liebe trauen heißt: die Welt weder verachten noch vergöttern, sondern sie als Geschenk im Wissen da
rum annehmen, dass Gott uns einmal eine ewige Heimat schenken wird.
Allerdings bedeutet dieser Liebe zu trauen nicht: die Wirklichkeit umfassend erklären zu können. Auch der Liebende steht weiter vor Rätseln, Fragen und Brüchen in seinem Leben. Die Liebe kann oft nur gegen den Schein und gegen die Oberflächlichkeit dieser Welt gelebt werden. Vergessen wir nicht: Das Kreuz ist der Ort, wo die Liebe Gottes in ihrer ganzen Tiefe und Dramatik erscheint. Und das Kreuz wird immer Unverständnis, Anfeindungen und Spott ausgesetzt sein. Aber es bleibt uns die Gewissheit: Wer liebt, der kann nicht zugrunde gehen. Darum dürfen wir den Tod Jesu am Kreuz als „Erhöhung“ verstehen und das heutige Fest feiern.
Eugen Drewermann sagt: „Die Sehnsucht der Seele und das Zeugnis der Liebe – all das im Menschen weiß und verheißt die Unsterblichkeit des Lebens; doch all diese Bilder und Symbole unserer menschlichen Psyche und Sprache können eben nicht beschreiben, was uns unbeschreibbar ist und bleibt: den Eintritt eines Menschen in den ‚Raum‘ der Unendlichkeit, in die unvergängliche ‚Welt‘ Gottes, in die Gegenwart seiner ewigen Liebe“.
In der Tat: Die Liebe geht nicht verloren, sie bleibt. Sie siegt über jede Oberflächlichkeit, jeden Zynismus, weil sie in Ewigkeit Bestand hat.
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Erstellt am: 17.09.2014 13:28 Uhr