L II: 1 Thess 1, 1-5b / Ev.: Mt 22, 15-21
Schwestern und Brüder!
Der Schlusssatz des heutigen Evangeliums ist fast schon sprichwörtlich und ich möchte mal behaupten, dass selbst die Zeitgenossen, die es sonst nicht so mit der Bibel haben, können sehr wohlgenau diesen Satz zitieren: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört!“ Eine Aussage Jesu, die viel Predigtstoff bietet und es ist mir im ersten Moment so ergangen, dass ich dachte: Wo fange ich da nur an. Nicht der Mangel an Themen aus dieser Bibelstelle erdrückt, sondern vielmehr deren Vielfalt. Dazu kommt noch, dass Steuern und Finanzamt ja immer Reizthemen sind, über die wir uns stundenlang ereifern können. Noch dazu: Wenn sich, wie in diesen Tagen, die Eurokrise vehement zurückmeldet, die Börsen sich wie eine Loopingbahn auf dem Oktoberfest verhalten und die Frage nach der Kirchensteuer bzw. dem Vermögen der Kirchen nicht nur die Medien landauf und landab in Wallung bringt, sondern auch viele Gläubige. Auslöser dazu waren vor allem, das wissen Sie selbst: Das Finanz- und Kaufgebaren eines deutschen Oberhirten, sowie die Abführung von Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Beides hat dazu geführt, dass mit noch stärkeren Argusaugen das Vermögen und die Einnahmen der Kirchen beäugt werden.
Halten wir also fest: Niemand zahlt gerne Steuern, weil wir auch viel zu wenig daran denken, was damit alles für die Allgemeinheit bewirkt wird. Nicht das, wovon wir alle profitieren und unseren Nutzen haben steht dann im Vordergrund der Gedanken, sondern vielmehr das, was nicht gut läuft bzw. wo Steuergelder fremdverwendet oder sprichwörtlich „zum Fenster hinausgeworfen werden“. Und wenn es dann die sogenannten „Großkopferten“ mit dem Steuer zahlen auch nicht so ernst nehmen und Millionenbeiträge am Fiskus vorbeischummeln, dann ist eben auch „Otto Normalverbraucher“ schnell geneigt zu sagen: Was die können, kann ich auch. Und schwuppdiwupp versucht jede und jeder ein paar Steuereuro zu sparen – egal wie. Steuerhinterziehung würde das niemand nennen, denn da muss es sich ja schon um namhafte Beträge handeln, und die, die haben ja bekanntlich immer nur die anderen. Seien wir ehrlich: Steuerbetrug ist für viele nicht mehr als ein Kavaliersdelikt, obwohl dem Staat dadurch immense Summen verloren gehen. Wenn Sie jetzt aber meinen, dass ich mich noch weiter zu diesem Thema äußere oder es gar vertiefe, dann muss ich Sie leider enttäuschen.
Aber ich möchte Sie und mich – trotz dieser langen Einleitungsreplik – heute mit diesem Evangelium auf eine ganz andere Spur bringen. Ich weiß, es wird nicht leicht, Sie von diesem Steuerthema wegzubringen, aber ich versuche es trotzdem. Denn bei genauerem Hinsehen stellen wir schnell fest: Nicht die Steuer steht im Mittelpunkt des Evangeliums, sondern vielmehr der Konflikt zwischen der politischen Macht und dem jüdischen Glauben. Der Kaiser in Rom steht nämlich den frommen, schriftgläubigen Juden als Autorität gegenüber. Doch für sie war einzig und allein Gott die Autorität, die sie anerkannten – niemand anderes, schon gar nicht der römische Kaiser, der sich noch dazu als Gottheit verehren ließ. Also versuchten die Pharisäer, Jesus aufs Glatteis zu führen. Entscheidet er sich für Gott – oder entscheidet er sich für den Kaiser? Wie wir gehört haben, hat er sich aus dieser Falle ganz geschickt befreit – und doch bleibt für mich in dieser Bibelstelle etwas offen, was mich sehr stark beschäftigt. Der Text Jesu gibt diesen Gedanken nicht unmittelbar her und doch meine ich, ist es legitim, ihn zu formulieren: Denn der Kaiser soll ja bekommen, was ihm gebührt und Gott soll bekommen, was ihm zusteht. Doch ich frage mich: Wer sorgt dafür, dem Menschen zu geben, was dem Menschen gehört?
Was ich damit meine, möchte ich Ihnen anhand eines Erlebnis erzählen, das
mir dieser Tage wieder in den Sinn gekommen ist. Es war an einem Samstagnachmittag, als ich damals im Horber Pfarrbüro – unserer zweiten Dienststelle – noch ein paar Arbeiten zu erledigen hatte. Horb war als Mittelpunktstadt Anlaufstelle für viele Durchreisende und Bettler, die entweder einen Fahrschein bekamen oder ein Essen im kircheneigenen Krankenhaus. Ich war am Telefon, als ich von meinem Schreibtisch aus sah, wie zwei Männer auf das Pfarrhaus zukamen. Es läutete und ich wollte das Telefonat beenden. Doch dann läuteten die beiden Sturm und rüttelten an der Haustür. Ich bekam einen dicken Hals und alle Vorurteile, die man gegenüber Menschen auf der Straße haben kann, machten sich in meinem Kopf breit. Die beiden ärgerten mich mit ihrem Verhalten, so aufdringlich um Almosen zu klingeln und irgendwann habe ich auf stur geschaltet und die Tür blieb zu. Frei nach dem Motto: Wer was von mir will, soll sich zurückhaltend melden.
Ich meine, es war vielleicht eine Stunde später, als ich nach Hause wollte und bemerkte, dass einer der beiden immer noch auf der Treppe beim Kircheneingang saß. „Endlich, Herr Pfarrer, vermissen Sie nicht ihren Hausschlüssel? Der steckte hier im Schloss und ich habe weit und breit keinen Briefkasten gesehen, um ihn einzuwerfen.“ Ob ich knallrot geworden bin oder nicht – ich kann es Ihnen nicht sagen. Aber ich schämte mich wirklich in Grund und Boden. Für mich waren die beiden Männer nur dreiste Bettler, weil sie so heftig geläutet und an der Türe gerüttelt hatten. Dabei wollten sie – neben der Bitte um eine Fahrkarte – nichts anderes, als den Schlüssel heil an den zurückzugeben, der ihn wahrscheinlich vermissen würde. Aus Ärger wollte ich ihnen keine Aufmerksamkeit schenken; aus Hochmut habe ich ihnen den notwendigen Respekt versagt. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, dass ich nicht der Pfarrer, dies aber sehr wohl mein Schlüssel sei und ich dankbar bin, ihn wieder zu haben, da sah ich in das Gesicht dieses Mannes und spürte: Diesem Menschen, der Hoffnungen und Befürchtungen, Mut und Ängste in sich trägt, dem wollte ich die Anerkennung versagen und die Würde, die jedem zusteht, verweigern.
Mir ist dieses Erlebnis beim Meditieren dieses Evangeliums wieder eingefallen, und es stieg in mir die Ahnung auf, dass in unserem Evangelium ein wichtiger Satz fehlt, den ich ergänzend hinzufügen möchte und ich bin mir sicher, dass ich dadurch das Evangelium nicht verfälsche. Denn dieser Zusatz entspricht genau dem, was Jesus gelebt und verkündet hat: „Gebt dem Menschen, was dem Menschen gehört.“
Es ist so vieles, was dem Menschen zu geben ist. Soziale Gerechtigkeit und Bildung sind Grundbestand eines jeden Lebens, wie auch das Komitee dieses Jahr bei der Verleihung des Friedensnobelpreises deutlich gemacht hat. Aber das Wichtigste ist die Würde des Einzelnen, die niemand anderer mit Füßen treten darf, was aber weltweit tagtäglich in einem Maße geschieht, dass es himmelschreiend ist. Ob reich oder arm, ob gesund oder krank, ob gläubig oder ungläubig – die Würde des Menschen ist zu respektieren und keiner darf sie dem anderen nehmen. Deshalb sollten wir auch immer darauf achten, wo wir Gefahr laufen, diese Würde des anderen zu missachten. Ich habe für mich erkannt: Die beiden „Durchreisenden“ an der Haustüre waren für mich nur Störenfriede. Aber schon allein dieses Wort „Störenfried“ raubt die Menschenwürde. Vorurteile, die wir immer wieder ganz schnell bei der Hand haben, rauben die Menschenwürde. Oder wie oft poltern wir voller Wut los und geben Worte von uns, die besser niemals gesagt worden wären. Der Beschimpfte aber wird herabgewürdigt und beleidigt; wer aber beleidigt, der fügt Leid zu und nimmt dem Gegenüber ganz bewusst seine Würde.
„Gebt dem Menschen die Würde, die ihm gehört!“ Was mich so sicher macht, dass dieser Satz zu diesem Evangelium dazu gehören darf, wo es doch um Kaiser und Gott geht? Nun: Der Kaiser spielt im Evangelium eine Rolle und Gott liefert die Pointe. Wo es aber um Gott geht, geht es immer auch um den Menschen. Denn Gott hat sich an den Menschen gebunden und ihn nach seinem Abbild geschaffen. Der Mensch ist also das Bild Gottes und genau das macht seine Würde aus. Im Menschen – in Ihnen und mir – wird Gott sichtbar. Und wenn wir im Matthäus-Evangelium nach den heutigen Zeilen nur ein paar Verse weiterlesen, dann erklärt uns Jesus den Zusammenhang von Gottes- und Nächstenliebe: „Was ihr für eine/n meiner geringsten Schwestern/Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Diese Aussagen klingen nicht nur ähnlich, nein – sie führen konsequent zu dem, was ich hinter den heutigen Evangelienzeilen vermute: „Gebt dem Menschen, was dem Menschen gehört.“ Und dabei geht es nicht um Steuern oder Steuerbetrug, Finanzämter oder weltliche Macht, sondern es geht um Gott und die Würde des Menschen.
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Erstellt am: 20.10.2014 10:26 Uhr