Lesung: Apg 10, 34a.37-43 / Evangelium: Joh 20, 1-9
Schwestern und Brüder!
Das ist das Ende ist, manchmal wissen wir es. Da zerbricht von einer Sekunde auf die andere eine Hoffnung; da zerplatzt ein Traum; etwas Wichtiges wird einem genommen; Ende und kein neuer Anfang zu entdecken. Den Jüngerinnen und Jüngern Jesu ging es genauso. Jesus am Kreuz – das ist das Ende. Mit ihm stirbt die Hoffnung auf Zukunft; darauf, dass der gemeinsame Lebenstraum gelingt. Vom Leben hat er gesprochen und dann hängt er tot am Kreuz. Karfreitag ist das Ende. Wir haben es gefeiert. Eine Trauer ohne Ende? „Frühmorgens als es noch dunkel war“, geht Maria von Magdala zum Grab – in der Dunkelheit ist sie unterwegs, in der Dunkelheit der Nacht, in der Dunkelheit ihres Herzens. Den „Geliebten“ hat sie begraben und mit ihm auch einen Teil von sich selbst. Das ist das Ende. Wie soll sie weiterleben?
An dieser Stelle möchte ich umschwenken. Möchte unseren Blick auf eine andere Maria wenden, die endlich ein paar Tage frei hat und auf dem Weg nach Hause ist. Sie biegt um die Ecke, wo ihr die tiefstehende Sonne ins Gesicht scheint. Sie hält die Tüte mit Ostersachen in der Hand, versucht nicht zu stolpern auf den Pflastersteinen, die den Weg bilden an der Kirche vorbei zu ihrer Wohnung. Endlich daheim. Tüten und Taschen landen auf dem Küchentisch, schnell ins Wohnzimmer – Musik an, dann ist sie nicht allein in der Wohnung. Die Sonne wärmt durchs Fenster, als das Glockengeläut der Kirche einsetzt. Ach so, denkt sie, Gründonnerstag, und sie stellt die Musik lauter, denn mit Läuten und Kirche hat sie es nicht mehr so. Es ist sicherlich schon 5 Jahre oder noch länger her, dass sie dort war. Auf jeden Fall war es kurz vor ihrer Fehlgeburt – und danach war sowieso alles anders.
Ihr geübter rückwärtiger Griff zur Stereoanlage ging knapp daneben und traf das Bücherbord. „So ein Mist“, entfährt es ihr, aber da lagen auch schon ein paar verstaubte Bücher auf dem Boden. Ihre Bibel, die sie zur Firmung geschenkt bekommen hat, liegt auch da, und trotz aufgeplatztem Rücken sieht sie fast neu aus. Sie hebt sie auf, bläst den Staub weg und blättert darin. Sie bleibt an der Überschrift hängen „Maria von Magdala“ – mein Name, dachte sie – und dann las sie folgende Zeilen:
Text lesen Johannes 20, 11 – 18
Maria klappt die Bibel zu, stellt sie ins Regal. „Hallo Maria!“ – Erschrocken dreht sie sich um. „Ich bin Gabriel und hab dich schon öfter gesehen. Aber du hast mich bislang nicht sehen können. Das liegt aber nicht an dir, mach dir deshalb keine Sorgen. Schon lange wollte ich dich besuchen, und jetzt endlich hat es geklappt.“ Maria ist perplex. Wie ist der hier reingekommen, wo doch alles zu ist? „Ganz einfach“, sagt der Engel und entschuldigt sich, dass er ihre Gedanken lesen kann, „ich war zwischen Seite 138 und 139. 15 Jahre bin ich schon da. Du wirst dich nicht mehr so an den Firmunter-richt erinnern. Aber da habt ihr genau diese Ostergeschichte aus dem Johannesevangelium gelesen, die Stelle, die du eben wieder gelesen hast. Seit damals bin ich zwischen diesen Seiten 138 und 139, weil mein Chef es mir erlaubt hat.“ Maria sagt: „Na ja, wenn du schon mal da bist, dann setz dich. Du darfst auch meinen neuen Sessel benutzen.“ Gabriel strahlt noch freundlicher in seinem weißen Gewand, aber sein Daumen zeigt nach hinten. „Ach ja“, greift sich Maria an die Stirn, „an deine Flügel hab ich jetzt nicht gedacht. Ich hol dir einen Hocker und mach uns dann erst mal einen Kaffee. Ok?
„Maria, ich hab noch keinen Engel Kaffee trinken sehen!“ Blöd aber auch, denkt Maria, das ist heute nicht mein Tag und sie verschwindet in der Küche. „Ich denke aber schon“, ruft ihr Gabriel hinterher. „Und warum?“ ent
fährt es ihr. „Weil ich da bin und dich besuche!“
Den Hocker in der einen Hand, den Kaffee in der anderen kehrt sie ins Wohnzimmer zurück. „Ja, ja Maria, du fragst dich, warum ich da bin“, sagt Gabriel. „Ja, das frage ich mich wirklich. Und überhaupt ist das ein sehr unpassender Augenblick. Ich habe immer gedacht Engel sind Schutzengel und kommen dann, wenn es einem schlecht geht. Aber da musste ich immer alleine durch.“ „Ich weiß, Maria“ – „Ach was, gar nichts weißt du. Was willst du auch anderes wissen als das, was zwischen Seite 138 und 139 steht“, giftete Maria jetzt.
„Darum besuche ich dich ja. Ich kenne deinen großen Schmerz. Glaubst du, ich weiß nicht, wie du hin und wieder auf dem Friedhof spazieren gehst? Ziellos und doch auf der Suche; voller Schmerz und doch mit hoffnungsvollem Blick in deinen Augen? Denkst du etwa, ich hätte nicht gesehen, wie du vorhin voller Vorsicht auf den Pflastersteinen gegangen bist um ja nicht zu stolpern? Warum meinst du wohl, bist du nicht gestolpert?“ Gabriel strahlte über beide Ohren und schüttelte seine Flügel durch.
„Mit der Fehlgeburt ist alles aus dem Ruder gelaufen“, murmelt Maria vor sich hin. „Unsere Tochter hat nicht einmal einen Namen, aber für mich ist sie meine kleine Martha. Und wenn ich auf dem Friedhof spazieren gehe, dann frage ich immer, warum sie keine Kraft zum Leben hatte und hoffe dann, dass sie ihren Frieden gefunden hat – und ich auch. Doch dann schaue ich den Menschen auf dem Friedhof in ihre Gesichter und sehe nur traurige und hoffnungslose Minen. Manchmal aber kommt mir jemand entgegen, dessen Gesicht so viel Ruhe und Zuversicht ausstrahlt, dass ich meinen ganzen Schmerz vergesse. Als ob mir jemand sagen wollte: Maria, du brauchst nicht traurig zu sein, deiner kleinen Martha geht es gut. Doch wenn ich es meinem Mann erzählt habe, hat der immer nur abgewinkt. Er wollte nicht darüber reden und eines Tages ist er ausgezogen.“ – „Ja, ja, der Thomas. Ich glaube, der hat bis heute keine Hoffnung gefunden“, sagt daraufhin Gabriel verlegen.
„Wenn ich so darüber nachdenke“, durchbricht Maria den Augenblick der Stille, „fühle ich manchmal so, wie die Maria von Magdala es wohl gefühlt hat. Diese unendliche Leere, nicht einmal ein Grab, an dem sie den Toten hätte beweinen können. Kein Ort für den Schmerz der Seele. So geht es mir manchmal auch. Aber dann wird sie beim Namen gerufen. Jesus selber spricht sie an. Ihre Traurigkeit findet Gehör und sie erfährt, wie Gott die Grenzen des Todes aufbricht. Aber sie kann es nicht begreifen, weil sie den Auferstandenen nicht berühren darf. So hat sie etwas Unbegreifliches erfahren, wovon sie den anderen erzählen soll, obwohl sie es selbst nicht begreifen kann. So fühle auch ich es manchmal, auch wenn du das als Engel nicht verstehen kannst.“
Gabriel schaut etwas beleidigt zur Seite, was Maria aber nicht bemerkt. „So geht es mir manchmal“, sagt sie und schaut, als ob sie tief in sich hineinsehen würde. „Da komme ich vom Spaziergang zurück und bin erfüllt davon, dass meine Martha bei Gott einen Namen hat und geborgen ist. Aber ich bekomme es nicht über meine Lippen. Und Thomas sagte immer nur, er glaube nur das, was er sehen und anfassen kann.“ Gabriel, der sich zwischenzeitlich wieder gefangen hat, wendet sich Maria zu: „Ja, Maria aus Magdala hatte IHN gesehen, konnte aber nicht begreifen, was da geschehen ist. Anscheinend gehört es zu euch Menschen, dass erst das begreifen über die Hände eure Herzen wirklich öffnen. Er ist wirklich auferstanden, aber das zu begreifen, ohne zu greifen, ist ein langer Weg!“
Eine ganze Weile schaut Maria Gabriel an, dann sagt sie: „Es dauert bis wir glauben können, dass unsere Toten bei Gott einen Namen haben und von ihm gerufen werden. Manchmal dauert es länger als unsere Umwelt es ertragen kann. Aber erst dann werden wir gewiss, dass sie ein Leben haben und es in Fülle haben – nicht mit uns, sondern mit ihm. Dieser Spruch vom Leben hat mich schon immer fasziniert.“ – „Ich weiß“, murmelt Gabriel vor sich hin und kann sich ein tiefsinniges Lächeln nicht verkneifen. „Jetzt muss ich aber los“, und mit einem geräuschlosen Ruck schwebt er in die Höhe. „Schade“, sagt Maria, „wann besuchst du mich mal wieder? Ach ja, du wohnst ja zwischen den Seiten 138 und 139“, gab Maria triumphierend zum Besten. „Maria – ich wohne nicht zwischen diesen Seiten“, klang fast mahnend seine Stimme. „Ich wohne genauso wenig zwischen diesen Seiten, wie die Geschichte Gottes mit den Menschen zu Ende ist. Sie geht bis heute weiter, sonst hätte ich dich nicht besucht. Aber lies doch selber weiter. Entstaubst hast du deine Bibel ja schon. So, jetzt muss ich aber wirklich los. Ein fröhliches Osterfest, Maria!“
Ein Rauschen geht durch das Wohnzimmer und Gabriel fliegt davon. Zurück bleibt eine weiße Feder. Und am Ostermorgen wundern sich einige Leute im Gottesdienst, dass da ganz hinten eine junge unbekannte Frau sitzt. Neben ihr liegt eine Bibel, deren Buchrücken durch ein Klebeband mühsam zusammengehalten wird. Und in der Hand hält sie eine weiße Feder.
Ihnen allen ein frohmachendes und zum Leben befreiendes Osterfest – und achten Sie auf die Engel, die Ihnen begegnen. Amen.
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Erstellt am: 06.04.2015 19:18 Uhr