Fest der Taufe des Herrn 2014 (12.01.)

L I: Jes 42, 5a.1-4.6-7 / Ev.: Mt 3, 13-17
Schwestern und Brüder!
Kennen Sie das auch? Da sagt jemand: „Bitte, nach Ihnen!“ und Sie möchten höflich sein und antworten: „Aber nein doch, bitte nach Ihnen!“ und vor lauter Rücksichtnahme traut sich keines von beiden, den nächsten Schritt zu tun. Andererseits gibt es aber auch das Umgekehrte: nämlich dass sich jede und jeder für wichtiger und vornehmer hält als das Gegenüber und deshalb niemand bereit ist, dem oder der anderen den Vortritt zu lassen. Und wenn Sie jetzt glauben, dass wir bereits alle Möglichkeiten durchgespielt hätten, dann muss ich Sie enttäuschen. Denn eine ganz wichtige Gruppe darf dabei nicht vergessen werden; das ist die, die man mit „falscher Bescheidenheit“ betiteln könnte. In diese Rubrik fallen jene Menschen, die sich demonstrativ auf die letzten Plätze stellen, um sich aber insgeheim zu erhoffen, man möge sie doch bitte vor allen anderen nach vorne holen oder sie zumindest namentlich erwähnen. So hat man dann wirklich alle nur denkbare Aufmerksamkeit auf sich gezogen – von wegen: Bescheidenheit!
Was nun Johannes der Täufer am Jordan im Dialog mit Jesus tut, das sieht auf den ersten Blick so aus wie diese falsche Bescheidenheit. Aber ein bescheidener Mensch war Johannes ja weiß Gott nicht. Im Gegenteil: Dieser Rufer in der Wüste strotzte geradezu vor Selbstbewusstsein. Wie hat er offen und unverblümt den Vornehmsten der Vornehmen und den Frömmsten der Frommen ihre Fehler und Verfehlungen, ja teilweise ihre Heuchelei vorgehalten und sie in aller Öffentlichkeit mit deutlichen Worten zur Umkehr ermahnt. Nein, da hat er niemals ein Blatt vor den Mund genommen und schließlich ist ihm ja genau diese Offenheit und Direktheit zum Verhängnis geworden. Hier aber, als Jesus da so unmittelbar vor ihm steht, da tut er plötzlich ganz bescheiden: „Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“ Wer den Täufer kennt spürt, dass dies nun aber keine falsche Bescheidenheit von ihm ist, sondern tatsächliche Betroffenheit. Johannes tauft die Menschen ja als Zeichen für ihre Umkehr, als Zeichen dafür, dass sie neu und ohne Schuld weiterleben sollen und dürfen. Und dabei weiß er ganz genau, dass kein Mensch ohne Schuld ist, auch er selbst nicht. Doch der, der da jetzt vor ihm steht, der ist wirklich ohne Schuld – oder wie es Paulus im Hebräerbrief formuliert, der ist „in allem uns gleich außer der Sünde“ – und der bittet ihn jetzt um die gleiche Handlung? Ich kann das gut nachvollziehen, dass Johannes da in einen inneren Zwiespalt gerät. Gerade weil er ein Mensch mit gesundem Selbstbewusstsein ist, weiß er auch um seine Grenzen und kann deshalb ohne Schauspielerei oder falsche Hintergedanken sagen: „Nein, nicht ich, sondern du müsstest mich taufen!“
Es ist ja schon eine interessante Frage – auch für uns – weshalb Jesus um diese Bußtaufe bittet. Selbst Theologen sind darüber recht unterschiedlicher Auffassung. So sagen die einen, er wollte damit nur seine Demut beweisen, andere wiederum erkennen darin ein Zeichen der Solidarität gegenüber seinen Mitmenschen und wieder andere sagen: Diese Begebenheit war eher ein Versehen Jesu, weshalb er später auch auf Distanz zu Johannes gegangen sei. Solche Überlegungen sind gut und schön, aber ich für meinen Teil denke: Wenn für Jesus in seinem Leben alles so glasklar gewesen wäre wie wir immer meinen, dann hätte er sich dieser Prozedur nicht unterziehen müssen. Deshalb möchte ich vielmehr ernst nehmen, was wir vor wenigen Tagen gefeiert haben – nämlich die Menschwerdung Gottes in diesem Jesus von Nazareth. Und zu diesem Menschsein, da gehören nun mal nicht nur Geburt und Tod, sondern auch „Versuch und Irrtum“. Und wir wissen ja nun so gut wie nichts vom Leben Jesu bis zu diesem, wahrscheinlich fast dreißigsten Lebensjahr, an dem er die Taufe empfängt. Aber hier, bei seiner Taufe, da erfährt Jesus den Himmel offen und erst jetzt erkennt er, wer er in Wahrheit ist: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“
Den Himmel offen sehen. Ich frage mich: Wo haben Menschen heute diese Chance? Wo können sie für sich den Himmel offen sehen? Als Kind kann ich mich erinnern, wurde mir eher beigebracht, wie schnell die Pforten der Hölle sich für mich auftun – aber der Himmel? Erst später lernte ich dann etwas mehr über ihn, als es um die Frage ging: „Wozu sind wir auf Erden?“ Und die Antwort lautete: „Um den Willen Gottes zu erfüllen und dadurch in den Himmel zu kommen.“ Nur: auf diese Weise war das Ziel nicht unbedingt attraktiv und im Gegensatz zur Hölle fehlte jedwede einladende Beschreibung dazu. Wo also haben Menschen die Chance, den Himmel offen zu sehen? Und ich für meinen Teil habe gelernt: Nur in einer christlichen Gemeinde, die diesen Himmel spürbar offen hält. In einer Gemeinde, die das Evangelium Jesu nicht nur verkündigt, sondern jeden Tag aufs Neue zu leben versucht und dabei vor allem den Menschen, der am Rande steht und Hilfe braucht, nicht aus den Augen verliert.
Genau das zeigt aber auch die Taufe Jesu für mich. Er zeigt sich darin solidarisch mit all den Menschen, die beladen und belastet an den Jordan gezogen sind, weil sie eben keinen offenen Himmel mehr für sich und ihr Leben erkennen konnten. Jesus stellt sich in ein und dieselbe Reihe mit ihnen um zu zeigen: Auch über euch geht der Himmel auf, den so manch Fromme gerne für sich allein reserviert hätten. In seiner Taufe macht Jesus also deutlich, dass er hier nicht nur seine ureigene Berufung erkennt, sondern dass jeder Mensch von Gott eine Berufung bekommen hat, und dass es gilt, diese auch an- und wahrzunehmen. Er stellt gegenüber Johannes und vor allen anderen Menschen klar: Ihr dürft nicht erwarten, dass Gott jetzt, nachdem er quasi selbst in die Welt gekommen ist, alles in seine Hand nimmt und für euch regelt. Nein, Gott will vielmehr, dass auch ihr weiterhin euren Beitrag dazu leistet, dass diese Welt in einen Ort der Gerechtigkeit und des Friedens verwandelt wird; in einen Ort, an dem jede und jeder angenommen wird und beheimatet ist.
Wie also können wir heute den Auftrag Jesu ernstnehmen und als Kirche diesen offenen Himmel sichtbar und erfahrbar machen? Ich meine, in dem wir als Kirche ein Ort sind, an dem Begegnungen stattfinden können; ein Ort, an dem menschliche Zuwendung, Nähe, Wärme und eine positive Zuneigung für jede und jeden zu finden ist. Ein Ort, an dem die Menschen sich angenommen wissen und fühlen: Hier bin ich willkommen, so wie ich bin – und wo sie nicht zuerst irgendwelchen Zwängen ausgesetzt sind. Ein Ort, an dem sie nicht nur Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens bekommen, sondern sich mit anderen auf den Weg machen, diesen Sinn des Lebens immer wieder neu zu entdecken. Solange wir uns als Kirche wie ein Zug verhalten, der mit geschlossenen und abgedunkelten Fenstern durch die Landschaft fährt, damit wir die Welt nicht wahrnehmen und der mit versperrten Türen an den Stationen hält, damit die böse Welt ja draußen bleibt, kann das nicht funktionieren. Die Tatsache, dass Gott in der Person Jesu in diese Welt gekommen ist, will aber unser Selbstbewusstsein genau in der Hinsicht stärken, dass wir uns um die „Zeichen des offenen Himmels“ – um offene Fenster und Türen – bemühen.
Jesus hat sich nämlich auch deshalb im Jordan taufen lassen, dass wir – Sie und ich begreifen – was in seiner Taufe passiert, das ist auch bei unserer Taufe passiert. So wie Gott damals zu Jesus gesprochen hat: Dies ist mein geliebter Sohn, so hat er auch zu uns in unserer Taufe gesprochen: „Dies ist meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn!“ Es ist das bedingungslose „JA“ Gottes zu Ihnen und mir. Deshalb heißen wir ja auch zu Recht „Kinder Gottes“, weil ER uns angenommen und JA zu uns gesagt hat:
Ein JA, das nicht an religiösen oder nationalen Grenzen endet;
Ein JA, das keine hohlen und keine leeren Versprechungen macht;
Ein JA, das uns wieder aufrichtet, wenn wir am Boden sind;
Ein JA, das die vielen Bruchstücke unseres Lebens zu einem heilen Ganzen zusammenfügt;
Ein JA, das unseren Blindheiten und auch Verblendungen die Augen des Herzens, die Augen der Liebe öffnet;
Ein JA, das uns aus Enge, Lähmung, Blockade und Gewalt frei macht und uns den offenen Himmel sehen lässt;
Ein JA, das uns schließlich ermutigt, unsere ganz persönliche Antwort auf sein JA zu geben.
Mit diesem JA Gottes zu uns haben wir aber nicht nur eine unvergleichliche Würde, sondern auch eine große Verantwortung übertragen bekommen; einer Verantwortung, die das Reich Gottes – den offenen Himmel – in dieser Welt sichtbar machen soll. Wir können diese Verantwortung nicht einfach mehr auf Gott abschieben nach dem Motto: „Bitte nach Ihnen!“, nein – wir sind mitverantwortlich, dass sich sein Wort auch heute erfüllt – durch unser JA zu ihm.
Dieses unser JA gelingt uns nicht immer, das wissen sie genauso gut wie ich! Aber wir dürfen und wir können es immer wieder neu versuchen. Auch dazu sagt Gott JA – ohne Wenn und Aber. Amen.

Infos unter:

Erstellt am: 14.01.2014 13:37 Uhr

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