L I: Jes 9, 1-6 / Ev.: Lk 2, 1-14
Schwestern und Brüder!
„Lieber Gott, lass mich jetzt hier nicht allzu feierlich werden. Amen.“ Mit diesem Stoßgebet beginnt der Schriftsteller Adolf Muschg seine „Geschichtenweihnacht“. Ich möchte mir genau diesen Satz heute Nacht gerne zu Eigen machen, denn es soll zwar feierlich, aber doch nicht zu feierlich werden. Und damit ich diesem Vorsatz wirklich auch treu bleibe, habe ich einen prominenten Aufpasser mitgebracht, der meine Predigt begleiten soll. Nein, Sie brauchen die Hälse jetzt nicht verrenken, denn die Person die ich meine, ist nur in meiner Vorstellung zugegen – es ist Heinrich Böll.
Heinrich Böll war ja nun mehr als eine schillernde Figur; Kölner mit Haut und Haaren, aus der Kirche ausgetretener Katholik, humanistischer Schriftsteller, politischer Querkopf, geehrter Nobelpreisträger und pazifistischer Überzeugungstäter. Von kirchlichen Kreisen häufig als Nestbeschmutzer angefeindet, von Rechtskonservativen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verdächtigt, ist er doch ordnungsgemäß und vor allem katholisch beerdigt worden und zwar in Merten in der Nähe des Klosters Walberberg.
Als ich mit der Auslandsseelsorge begann, da war ich zu Beginn des Öfteren in Bonn bei unserer Dienststelle und habe von dort aus auch so manche Erkundigungen gemacht – u.a. in dieses Kloster Walberberg. Von dort aus kam ich auch auf den besagten Friedhof und habe diese, mit bunt bemalten Steinen geschmückte Grabstelle von Heinrich Böll besucht. Warum? Nicht nur, weil Böll mich als Schriftsteller immer wieder fasziniert hat, sondern vor allem, weil er etwas Zentrales von unserem Glauben verstanden hat, das uns kirchlichen Insidern manchmal abhanden gekommen ist. Dieses „etwas“ möchte ich als das „menschgewordene Inkognito Gottes“ bezeichnen.
Ich seh‘ schon, ich produziere fragende Gesichter. Aber ich möchte es Ih-
nen gerne erläutern. 1961 verfasste Böll das Drehbuch zu einem Fernsehfilm über Irland. An einer Stelle wird eine Kneipenszene gezeigt und genau dazu schrieb Böll folgenden Text: „Wo (wie in Irland) kein Wein wächst, (wo) importierter Wein seine Blume verliert, wo die Aufklärung kein Publikum fand, da dürfen die Heiligen sich Christus als Biertrinker vorstellen.“ Und wie um diesen Text zu kommentieren fügt Böll an: „Sicher wird jetzt so manch römischer Kragen platzen angesichts der wilden Vorstellung, Bier könne „sakramentsfähig“ sein und als Ewigkeitsgetränk zugelassen werden.“
Ereifern Sie sich jetzt bitte nicht allzu sehr und vor allem: Verurteilen wir diese Äußerung nicht vorschnell als Blasphemie oder gar als die gotteslästerliche Spinnerei eines ehrfurchtslosen Gesellen! Immerhin kann sich Böll an dieser Stelle auf eine leibhaftige Heilige berufen. Im 5. Jahrhundert lebte die nämlich in Irland. Ihr Name: Brigida von Kildare. Nach ihr ist der Orden der Brigitten benannt. Verehrt wird diese Heilige Brigida, neben dem Hl. Patrick, als Patronin von Irland, der Kühe und der Wöchnerinnen. Genau dieser heiligen Nonne aber wird das folgende Gedicht zugeschrieben: „Ich möchte die Männer des Himmels bei mir zu Gast haben und große Fässer voll Fröhlichkeit ihnen kredenzen. Sie sollen lustig sein beim Trinken, auch Jesus soll mit ihnen bei mir hier zu Gast sein. Einen großen See von Bier will ich bereit haben für den König der Könige. Ich möchte die heilige Familie trinken sehen in alle Ewigkeit.“
Merken Sie etwas? Böll befindet sich also gar nicht in so schlechter Gesellschaft; und eine heilige Nonne ist ja nun wohl auch kaum der Blasphemie zu verdächtigen. Zugegeben, die Vorstellung von einer heiligen Familie, die per omnia saecula saeculorum – also in alle Ewigkeit – weiter trinkt, die entspricht nun nicht unbedingt unseren vertrauten Weihnachts- und Krippenbildern. Aber ich hatte Ihnen ja schon zu Beginn meiner Predigt gesagt, dass es heute nicht zu feierlich werden soll.
Die Frage ist doch: Um was geht es denn Heinrich Böll mit seiner Rede vom biertrinkenden Christus? Und da meine ich jetzt: Er hat nichts anderes gemacht, als den Versuch unternommen, das Himmlische mit dem Weltlichen zusammenzubringen. Sakrales und Profanes, Spirituelles und Materielles – so lautet sein Credo – dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Böll erkundet das Göttliche in unseren ganz alltäglichen Begebenheiten. Und zu diesen ganz alltäglichen Dingen gehört im Kölner Umkreis – und das werden mir die hier anwesenden Kölner sicherlich von Herzen bestätigen – eben auch das Bier.
Überhaupt, wer Heinrich Böll ein wenig kennt, der weiß wie gern er in seinen Romanen und Erzählungen mit einer mehr als erkennbaren Sympathie eine Welt der kleinen Leute, der skurrilen Typen, der Außenseiter und der Gescheiterten beschreibt. Clowns und Trunkenbolde, Narren und Prostituierte, Verrückte und Terroristen bevölkern seine Bücher genauso, wie eine Vielzahl von Ehebrecherinnen und Ehebrechern. Bölls Figuren verbringen ihre Nächte und Tage in grellen Bordellen und zwielichtigen Eckkneipen, in düsteren Hinterhöfen und mit einer Currywurst in der Hand am Imbiss um die Ecke.
Genau in diesem so ganz und gar unfeinen Milieu, da findet Böll den „Bruder Jesus“. Natürlich nicht offen erkennbar, sondern inkognito, also verborgen. Hier feiern die Menschen jesuanische Gemeinschaft, zum Beispiel beim Frühstück. Bei Heinrich Böll findet menschlich-göttliche Communio – und jetzt bitte ich meine Frau um Verzeihung – nicht unter brausendem Orgelklang in großartigen Kirchen wie hier statt, sondern ganz schlicht: beim Teilen von Brot und beim Austausch von Zigaretten und Bier. Wie hat ein Zeitgenosse über ihn gesagt: „Sein ganzes literarisches Werk lebt von der Überzeugung, dass sich das Göttliche zwischenmenschlich verleiblichen, versinnlichen lässt.“ Also wird der Alltag geheiligt, nicht der Sonn- und auch
nicht der Feiertag.
Hat das nun aber nichts mit Weihnachten zu tun? Das was wir hier und heute miteinander feiern – die Erinnerung an das Geschehen vor rd. 2000 Jahren in Bethlehem – das ist doch auch die Tatsache, dass sich damals Göttliches und Menschliches untrennbar miteinander verwoben hat. Sakrales und Profanes, Spirituelles und Materielles bilden seitdem ein unentwirrbares Knäuel: Gott ist Mensch geworden und die Welt mitsamt uns Menschen geheiligt. Ja, nicht nur das. Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas erzählt doch auch – wie die Böllschen Romane – von Menschen in einem ganz und gar nicht vornehmen Milieu: Da wird ein jüdisches Kind in der Fremde, in der Provinz – unterwegs – geboren. Nicht wie es sich gehört in einem ordentlichen Kinderbettchen, sondern in einem schäbigen Futtertrog erblickt das Neugeborene das Licht der Welt. Und unehelich ist der Kleine zu allem Überfluss auch noch. Seine Eltern: Ein älterer Zimmermann und ein junges Mädchen; sie stammen aus der Provinz Galiläa – genauer aus Nazareth, von wo aus bekanntlich nichts Gutes kommen kann. Und die Hirten, die dürfen wir uns jetzt nicht als trachtenbewehrte bayrische Hütebuben oder kanarische Volksweisensänger vorstellen. Nein, das waren arme Schlucker, Tagelöhner, vielleicht sogar zelotische Partisanen.
Inmitten dieser „ehrenwerten Gesellschaft“ – angereichert durch Himmelswesen aus einer anderen Welt – wird Gott also Mensch. In diesem so ganz und gar unfrommen und alles andere als bürgerlichem Milieu leuchtet also die Menschlichkeit Gottes auf – versteckt und unscheinbar, sichtbar nur am Rande des Weltgeschehens. Gott ist Mensch geworden im Versteck, inkognito. Und inkognito ist er auch hier auf Erden seinen Weg gegangen. Die wenigsten haben etwas vom Wunder dieser Nacht kapiert; am ehesten noch die Prostituierten, die kleinen Ganoven, das sogenannte „Gesockse“. Mit ihnen feierte, aß und trank der, an dessen Geburt wir jetzt gerade den
ken. Nicht umsonst war er häufig als Säufer und Fresser verschrien.
Diese eugenartig sperrige Geschichte des Jesus von Nazareth erzählt Böll auf seine Weise. An Weihnachten ist Gott Mensch geworden und hat sich inkognito in unsere Welt eingeschlichen, um denen Bruder zu sein, die „ganz unten“ sind. Zu treffen ist er am Tresen der Eckkneipe, am Küchentisch und auf der Straße auf der Parkbank – vielleicht biertrinkend. Hier können wir ihm begegnen, hier ist er anwesend, als Mensch mit uns. Und für uns. Kurz: Als Gott-Inkognito.
Gott wird Mensch inmitten unseres Alltags. Das feiern wir an Weihnachten. Und damit wir nicht abheben in all unserer Freude, sollten wir uns vielleicht ab und an von Bölls bierseligem Jesus provozieren lassen. Und der hat sicherlich nichts dagegen, wenn sie nachher, wenn sie nach Hause oder ins Hotel kommen, noch ein Bierschen trinken. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen fröhlichen Heiligen Abend und hoffe inständig, dass diese Christmettenpredigt nicht gar zu unfeierlich geraten ist. Amen.
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Erstellt am: 24.12.2011 21:00 Uhr