Predigt vom 11.08.2013

Von Pfarrer Helmut Müller   
Die derzeitigen Predigttexte, die uns nach der Perikopenordnung vorgeben sind, sind den Evangelien  entnommen. Sie geben uns Einblick in Jesu Leben, wie er gewirkt hat und wie er Menschen begegnet ist, die ausgegrenzt waren.
Wir hören aus Lukas 7, 35 – 50: 
36 Es bat ihn aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch.
37 Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als sie vernahm, dass er zu Tisch saß im Hause des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl
38 und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl.
39 Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer oder was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.
40 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen.
Er aber sprach: Meister, sag es!
41 Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig.
42 Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er s beiden.
Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben?
43 Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat.
Er aber sprach zu ihm:  Du hast recht geurteilt.
44 Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau?
Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben;
diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet.
45 Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen.
46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt.
47 Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.
48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben.
49 Da fingen sie an, die mit ihm zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst:
Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt?
50 Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!
( Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg.) 
Liebe Gemeinde,
die eben gehörte Erzählung zeigt in eindrücklicher Weise, wie Jesus um der Liebe willen
Ausgrenzungen vermieden und festgefahrene Gewohnheiten überschritten hat.
Jesu hat von Liebe nicht bloß geredet, sondern er hat sie gelebt und Liebesbezeugungen zugelassen, die als Provokation empfunden wurden.
Ausleger vermuten, dass es bei der Frau, die im Text als Sünderin bezeichnet wird, um eine stadtbekannte Dirne handelte.
Die  peinlich  anmutende Liebesbezeugungen ereignen sich in aller Öffentlichkeit. Es war beim Essen, im Haus eines Pharisäers.
Simon, der Pharisäer, war wohl ein offener Theologe. Er hat Jesus in sein Haus eingeladen, um ihn kennen zu lernen.
Mit diesem Hinweis beginnt die Erzählung:
Es bat ihn einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und Jesus ging in das Haus des Pharisäers
und setzte sich zu Tisch.
Jesu hatte  offenbar  keine Berührungsängste. Er hat die Menschen nicht in gut und böse eingeteilt. Von den Pharisäern wurde Jesus als Freund der Zöllner und Sünder beschimpft.
Auch wenn Simon zur Gruppe der Pharisäer gehörte,  verzichtet  Jesus auf Vorverurteilungen und lässt sich von ihm einladen.
Zur Zeit Jesu wurden Mahlzeiten zugleich  für Lehrgespräche genutzt. Die Haustüren waren geöffnet, so dass  weitere Gäste an den Gesprächen teilnehmen konnten.
Dies nutzte wohl auch die schon erwähnte Frau.
Sie naht sich Jesus, der nach antiker Sitte zu Tisch lag und die Füße nach hinten ausstreckte.
Im Text heißt es: „Sie trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu  trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl.
Ein  solches Verhalten, eine solch überfließende Zuwendung,  ist ungewöhnlich und verstößt gegen jegliche Anstandsregeln.
Vor den Augen aller Anwesenden nähert sich die Frau Jesus; sie lässt  ihre Tränen auf seine Füße fallen und sie löst ihr Haar auf, um damit die Tränen von seinen Füßen zu wischen. Nach den damaligen Anstandsregeln macht sie sich gleich mehrfach schuldig.
Es war unüblich, in der Öffentlichkeit, die Haare zu lösen. Mit der körperlichen Berührung verstieß sie zusätzlich gegen  das Reinheitsgebot.  
Aber nicht genug damit. Sie küsst auch noch seine Füße und salbt sie mit dem mitgebrachten Salböl, was man sonst aufs Haupt gießt, um einen Menschen besonders zu ehren.
All das lässt Jesus geschehen ohne auf Distanz zu gehen.
Dass musste Ärger und Empörung erregen, was denn auch geschieht:
Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte:
Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine  Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.
Jesus hat wohl an den Gesichtszügen seines Gastgebers abgelesen, was dieser von ihm hielt. Ohne sich und die Frau zu rechtfertigen, wendet er sich Simon liebevoll zu, indem er zu ihm sagte: Simon, ich habe dir etwas zu sagen.
 Und als Simonbereit ist, zuzuhören, bringt er eine erweiterte Sichtweise ein, den Vorfall zu betrachten. Mit  einem Gleichnis lenkt Jesus  den Blick auf Gott.
Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er´s beiden.
( 1 Silbergroschen entspricht übrigens dem Tageslohn eines Arbeiters ).
Mit wenigen Worten wird im Gleichnis  die verändernde Kraft der Vergebung angesprochen, die in der Mitte der Botschaft Jesu steht. Auf die Frage: Wer von ihnen wird den Gläubiger am meisten lieben?  antwortet Simon: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat.
Und Jesus bestätigt ihn mit den Worten: Du hast richtig geurteilt. 
Jesus sieht die überfließende Zuwendung der Frau im Zusammenhang der Vergebung, die sie durch Jesus erfahren hat. Ihr, der so viel vergeben wurde, konnte gar nicht anders. Sie musste ihre Dankbarkeit auf diese überfließende Weise zum Ausdruck bringen. Diese Frau, die Jesu Botschaft von der Vergebung vertraut hat, konnte  gar nicht anders, als die erfahrene Liebe und Zuwendung so weiterzugeben wie sie es tat.
Am Schluss der Begegnung weist Jesu ausdrücklich auf  dieses Vertrauen  hin, wenn er zu der Frau sagt: Dein Glaube hat dir geholfen. 
Wer  blind bleibt für seine eigenen Fehler und Versäumnisse, wer meint, er sei ohne Fehler und brauche keine Vergebung, der läuft Gefahr, andere zu verurteilen und auszugrenzen.
Wer aber im Vertrauen auf die Vergebung zu seinen  Schwächen steht und seine Fehler erkennt und bereut, der erfährt die  Vergebung an sich selbst, die ihn von den Lasten der Vergangenheit befreit und anderen gegenüber barmherziger macht.
Für mich weisen die Tränen der Frau, die auf Jesu Füße fallen, auf ihre Reue hin.
Reue kann wehtun und gehört zur Bearbeitung von Schuld.
Nach dem altkirchlichen Beichtschema verläuft die Bearbeitung von Schuld in vier
Phasen:
Der 1. Schritt ist die confessio – das Bekennen, eben dass wir ausdrücken, was uns bedrückt. (Was wir ausdrücken, kommt heraus und drückt dann nicht mehr.)
Dass dies nicht oberflächlich bleibt, dafür sorgt die contritio – die Reue, die inwendig stattfindig und wehtun kann.
Danach folgt als 3. Schritt die absolutio – die Vergebung, die uns frei macht.
Und als 4. Schritt schließlich folgt die satisfactio, die Wiedergutmachung, die sich in einem neuen  Leben in Liebe zeigt. 
Wo wir Schuld und Versäumnisse auf diese Weise verarbeiten, da erfahren wir eine Vergebung, die uns zum Leben befreit und die uns liebesfähiger macht.
In der Seelsorge hatte ich im Laufe der Jahre viele Gespräche, die  im Nachhinein Elemente eines Beichtgesprächs aufwiesen.
Auch ohne explizite Zusage spürt der Gesprächspartner, ob er angenommen oder abgelehnt wird. Man sieht es an der Mimik und an der Gestik oder man hört es an der
Stimme, ob man abgelehnt oder angenommen wird.
In der Erzählung hat die Frau zunächst ohne ausdrückliche Zusage Jesu Liebe vertraut. 
Und Jesus hat sie nicht abgewiesen, sondern er ließ sie gewähren und hat ihr so Achtung und Vergebung erwiesen.
 Am Ende allerdings spricht Jesus aus, was er vorher mit seinem Verhalten zeigte:  
Und er sprach zu ihr: „Dir sind deine Sünden vergeben“. 
Mit dieser Zusage sind auch wir  eingeladen, uns der Vergebung zu öffnen und sie einander weiterzugeben.
Gott selbst schenke uns durch Jesu Christus ein Leben in Liebe, das aus der Vergebung kommt. 
Amen 

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Erstellt am: 16.08.2013 13:08 Uhr

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