Predigt zum 10. Sonntag im Jahreskreis 2013 (09.06.)

L I: 1 Kön 17, 17-24 / Ev.: Lk 7, 11-17
Schwestern und Brüder!
Wahrscheinlich ist es Ihnen auch gleich aufgefallen, dass die alttestamentliche Lesung und das Evangelium sich von ihrem Inhalt her nicht nur ähnlich sind, sondern einander fast schon wie ein Ei dem anderen gleichen. In beiden Erzählungen geht es um eine Witwe, deren einziger Sohn stirbt. Und in beiden Fällen bekommt die Mutter den Sohn wieder zurück – und zwar durch die Hilfe eines anderen. Einmal durch den „Gottesmann“ und Propheten Elija, zum anderen durch den „Gottessohn“ und Messias, Jesus von Nazareth.

Wenn in der Bibel von außergewöhnlichen Heilungen oder auch Wundern die Rede ist, dann tun wir uns oft damit schwer, auch und gerade, weil uns häufig genug die Erfahrung für eine solche Situation abgeht. Aber hier, wenn es um den Tod eines geliebten Menschen geht; wenn es darum geht, nach zu spüren, welchen Schmerz ein Mensch beim Tod eines geliebten Menschen empfindet; was es wohl heißen mag, das eigene Kind zu verlieren, da können wir das durchaus mitempfinden; ja da sind wir fast schon so etwas wie Mitbetroffene, weil uns – zumindest vielen von uns – diese Situation alles andere als fremd ist. Was wohl in diesen beiden Frauen vorgeht, welche Gedanken ihnen durch den Kopf gehen und welche Gefühle ihnen das Herz schwer machen – ja, ich glaube schon, dass wir das alle sehr wohl nachempfinden können. Wie hat meine Oma beim Tod einer ihrer Töchter gesagt: „Merk dir das für deine seelsorgerliche Arbeit. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man dem eigenen Kind ins Grab schauen muss.“ Und wenn dieser Fall eintritt, dann wirft das Fragen auf. Fragen dergestalt: „Was habe ich denn getan, dass Gott mich so straft?“ – „Womit hab ich das verdient?“ Solche Fragen kann man z.B. durchaus der Witwe im Gespräch mit dem Propheten Elija auf die Lippen schreiben. Denn sie ist ja für sich selbst der felsenfesten Überzeugung, dass das, was sie hier durch den Tod ihres Sohnes erleben muss, nur eine Strafe für ihr eigenes Versagen sein kann. Weil sie sich aber überhaupt keiner Schuld bewusst ist, klagt sie den Propheten und über ihn letztlich natürlich auch Gott an.
Oder schauen wir auf die Witwe im Evangelium: Der Trauerzug vor dem
Stadttor von Nain geleitet einen jungen Mann zu Grabe; ebenfalls Sohn ei-ner Witwe, sozusagen ihr ganzer Mutterstolz und vor allem – ihre einzig verbliebene Stütze. Die Frau, die ihm das Leben geschenkt hat, verliert hier nicht nur ihr einziges Kind, sie verliert auch ihren Ernährer; den Menschen, auf den sie mehr als angewiesen ist. So gesehen gibt es in diesem Trauerzug sogar zwei Tote zu beklagen: Den Sohn und die Mutter! Denn: Ist das noch ein Leben, wenn man alle Hoffnungen begraben muss? Wenn man nach dem Mann auch noch den Sohn verliert und man nicht mehr weiß, wovon und vor allem wofür man jetzt noch leben soll? Und all die Fragen kommen in mir auf, die Trauernde auch mir gegenüber oft äußern: „Für wen soll ich denn jetzt noch leben? Wer braucht mich denn noch? Was soll ich denn noch auf dieser Welt?“
Halten wir uns vor Augen, in welcher Lage die beiden Frauen damals waren: Als Witwen waren sie ohne Mann rechtlos und schutzlos. Es gab niemanden, der sie verteidigte; niemanden, der für sie sorgte. Auf der Stufenleiter der Gesellschaft war eine Witwe ganz am unteren Ende angesiedelt und die einzige Hoffnung die sie haben konnte war eben – wie in unseren beiden Schriftlesungen auch – einen Sohn zu haben. Wenn der dann er-wachsen ist, dann hat sie wieder einen männlichen Schutz. Der Sohn ist quasi ihre Lebensversicherung, ihre Rente, ihre Altersversorgung. Und jetzt ist er tot. Mit seinem Tod, ist aber auch sie am Ende. Gesellschaftlich ein Nichts, wirtschaftlich am Existenzminimum darbend, hat ihr Leben für sie so
gut wie keinen Sinn mehr.
Nun wird der Sohn in beiden Fällen wieder lebendig gemacht. Beide Male bekommen die Frauen mit ihren Söhnen wieder alles zurück, was sie verloren glaubten: Hoffnung, Lebensmut und neuen Lebenssinn. In beiden Schil-derungen geht es also letztlich nicht um die verstorbenen Söhne, sondern um die Mütter. Wegen der Frau bestürmt Elija den Himmel und wegen der Frau stoppt Jesus den Trauerzug. Aus Mitleid – wie es das Evangelium auf den Punkt bringt. Nicht aus Mitleid gegenüber den Verstorbenen, sondern aus Mitleid mit den lebenden Toten – den beiden Müttern. Beide Male heißt es fast wortwörtlich: „Er gab ihn seiner Mutter zurück.“
Nun gibt es aber – bei aller Ähnlichkeit – auch einen gewaltigen Unterschied zwischen beiden Ereignissen: Zur Zeit des Elija spielt sich alles im Verborgenen ab, im Haus der Witwe. Es betrifft nur sie, denn die Zeit ist noch nicht reif für die große Masse. Zur Zeit Jesu aber spielt sich das Ganze in der Öffentlichkeit, auf der Straße ab. Denn jetzt ist die Zeit reif. Das Volk soll jetzt erkennen, wie Gott ist. Elija war nur ein Mittelsmann, der Gott bitten und mit aller Kraft beten musste. Jesus dagegen hat die gleiche Vollmacht wie Gott. Er kann sagen: „Ich befehle dir, junger Mann: Steh auf!“ Und so erkennen die Leute, die dem Geschehen beiwohnten: In diesem Jesus wirkt Gott. Und deshalb konnten sie dann auch sagen: „Gott hat sich seines Volkes angenommen.“ Sie spüren, dass hier ist kein Einzelfall, sondern das betrifft uns alle.
Vielleicht wendet jetzt die ein oder der andere von Ihnen ein: Das ist ja alles gut und schön und wer von uns würde sich nicht mit den beiden Frauen freuen. Und dass man das so sehen und auch theologisch deuten kann – ok!  Doch was sag ich denn den Eltern, die heute ihr Kind verlieren? Was helfen all diese Überlegungen jenen Eltern, deren Kinder heute sterben? Was hilft es den Eltern, deren Kinder missbraucht und getötet werden? Da ist eben kein Jesus da, der Wunder wirkt. Da sind sie allein und hilflos – so hilflos wie die beiden Frauen.
So zu fragen und zu antworten ist sicher legitim. Aber führt es uns wirklich weiter? Als der junge Mann aus dem Evangelium älter war, als er vielleicht selbst Frau und Kinder hatte und vielleicht noch einmal schwer erkrankte und starb, da kam Jesus auch nicht mehr. Auch als Lukas diese, seine Evangelienzeilen niederschrieb, riss der Tod Menschen auseinander; Menschen, die sich liebten und die ebenfalls darüber am verzweifeln waren – und Jesus kam auch hier nicht. Er half nicht – zumindest nicht so, wie in unseren beiden Erzählungen. Oder doch?
Denken wir daran: Lukas schreibt sein Evangelium lange nach dem Tod und der Auferstehung Jesu. Und er schreibt es aus der tiefen Gewissheit heraus: Die letzte Macht des Todes ist durch gebrochen. Gott ist der Herr, über Leben und Tod. An Jesus hat sich das gezeigt und erwiesen. Mit ihm ist etwas in diese Welt eingebrochen, das auch vom Tod nicht zerstört werden kann; ein Versprechen, eine grenzenlose Zusage, die auch im Angesicht des Todes nicht zurückgenommen wird. In Jesus wendet sich Gott selbst uns Menschen zu und sagt uns: „Habt Vertrauen!“ Der Tod ist zwar nicht verbannt aus dieser Welt, aber die Zuwendung Gottes, die macht eben nicht an der Grenze des Todes halt, sondern sie gilt über den Tod hinaus.
Ob das ein Trost sein kann für all die, deren Augen voller Tränen sind? Ich will, kann und darf es nicht behaupten. Aber es kann vielleicht dann ein Trost sein, wenn wir sie nicht allein lassen; wenn sie in uns Christen Menschen finden, die sie etwas von dieser Zuwendung Gottes spüren lassen; wenn sie durch eine oder einen von uns erfahren dürfen, was Menschen eben vor rund 2000 Jahren bei Jesus erlebt haben: Eine Nähe, eine Zuwendung, eine Mitmenschlichkeit, die Mut macht zum Leben. Amen!

Infos unter:

Erstellt am: 09.06.2013 16:32 Uhr

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert