Diakon Bertram Bolz
Deutschsprachige Kath. Gemeinde in Puerto de la Cruz
Ganz wichtig ist, verehrte Schwestern und Brüder, was man sieht und wie man vor allem etwas sieht – meinen Sie nicht auch? Dazu möchte ich ihnen folgende kleine Geschichte zum Besten geben: Der hl. Jakobus war mit einem Schüler lange unterwegs. Es dämmerte bereits, als die beiden ihr Zelt errichteten und müde in den Schlaf fielen. Schon vor dem Morgengrauen wachte Jakobus auf und weckte seinen Schüler. „Öffne deine Augen“, sagte er, „und schau hinaus in den Himmel. Was siehst du?“ „Ich sehe die Sterne, Vater“, antwortete schlaftrunken der Schüler. „Unendlich viele Sterne.“ – „Und was sagt dir das?“, fragte Jakobus. Der Schüler dachte einen kurzen Augenblick nach und begann dann ganz begeistert zu erzählen: „Es sagt mir, dass Gott der Herr das große Weltall mit all seinen Sternen geschaffen hat. Ich schaue hinaus in den Himmel und fühle mich dankbar und demütig angesichts dieser unendlichen Weite. Wie klein ist doch der Mensch, und wie wunderbar sind die Werke Gottes.“ „Ach Junge“, stöhnte da Jakobus, „mir sagt es nur, dass jemand unser Zelt gestohlen hat.“
Als ich diese Erzählung zum ersten Mal gehört habe, musste ich wirklich schmunzeln. Klar, hab ich bei mir gedacht, auch fromme Menschen sollten halt nicht einfach nur in den Himmel starren, denn sonst übersehen sie die alltäglichen und wichtigen Kleinigkeiten. Und gerade um dieses Alltägliche, um das, was vor Augen liegt, sollten wir Menschen uns doch kümmern. Nur: Die Erzählung sagt letztlich noch mehr. Gerade der Schüler hat nämlich seinem Meister und Lehrer klar gemacht, dass eben der Ärger darüber, dass nun das Zelt weg ist und sie Sturm und Regen ausgesetzt sind nicht alles ist. Sicherlich – das ist auch wichtig und es stellt ein Problem dar, mit dem die beiden fertig werden müssen. Aber das andere ist genauso wichtig: Gerade das Missgeschick führt dazu, dass man viel mehr sehen kann, nämlich Himmel und Sterne. Auf einmal sehen sie die Größe Gottes und sind dankbar, weil sie begreifen, wie klein doch der Mensch ist. Der Schüler sieht das Besondere dieser einmaligen Gelegenheit und er sieht Dinge, die er sonst nicht gesehen hätte.
Beide also sehen Wichtiges. Und was der eine sieht und was der andere wahrnimmt, das gehört zusammen. Hätten sie ihr Zelt behalten, dann hätten sie den Himmel nicht wahrgenommen. Deshalb meine ich, dass die Dankbarkeit und das demütige Staunen darüber ihnen unbedingt erhalten bleiben muss. Dass sie einen neuen Schutz gegen Wind und Wetter brauchen – keine Frage und sie werden sich dementsprechend auch nach einem Ersatz umschauen. Wichtig ist aber für mich die Erkenntnis: So unterschiedlich die beiden auch reagieren, jeder sieht auf seine Weise Wichtiges. Und beides gehört zusammen und bringt eine gemeinsame Erfahrung. Und genau solche gemeinsamen oder gemeinschaftlichen Erfahrungen, die wünsche ich Ihnen in dieser Woche.
Infos unter:
Erstellt am: 19.06.2013 16:19 Uhr