Predigt vom 23.06.2013 von Pfarrer Helmut Müller

Der Text für die heutige Predigt – am 4. Sonntag nach Trinitatis – steht in Johannesevangelium im 8. Kapitel
Es ist die Erzählung von einer Frau, die wegen Ehebruchs gesteinigt werden sollte.
Angesichts der Tatsache, dass auch heute noch vereinzelt Frauen wegen Ehebruchs in muslimischen Ländern gesteinigt werden, gibt der heutigen Erzählung durchaus etwas Aktuelles und könnte uns deutlich machen, dass unser heutiges Familienrecht mit durch christliches Gedankengut humaner geworden ist.

Wir hören aus Johannes 8, 3-11:
3.    Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte
4.    und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.
5.    Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
6.    Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
7.    Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.
8.    Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9.    Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.
10.    Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?
11.    Sie antwortete: Niemand, Herr und Jesus sprach: so verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.
 
Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg. Amen
 
Liebe Gemeinde,
 
die eben gehörte Erzählung ist vielen vertraut und wurde auch in der Literatur und in der Malerei als Vorlage verwendet.

Mir ist von der Erzählung die Aussage Jesu Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein besonders im Gedächtnis geblieben.
Ich erinnere mich in diesem  Zusammenhang an eine Begegnung aus meiner Vikarszeit.
 
Es war in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb. Anlässlich des Tods eines Kleinkindes kam ich zu einem Trauerbesuch. Das Kind war im ersten Lebensjahr unerwartet am „Kindbetttod“  verstorben.Die Mutter war unverheiratet und saß weinend am Tisch. Ihr Vater saß in einem Krankenbett und empfing mich mit den Worten: „Hier sitzt das Sündenkind“, indem er auf seine Tochter deutete. Ich weiß noch, dass ich damals den Vater, der – wie man in Württemberg sagt – ein Stundenmann war, an die heutige Erzählung erinnerte mit dem Hinweis, Jesus habe niemand verurteilt. Da sagte er zu mir: „Herr Pfarrer, machet `se no koi Pflästerle druf !“ (machen Sie ja kein Pflaster darauf).
 
Ähnliche Schwierigkeiten mit dieser Erzählung hatten wohl auch die Christen in den ersten Jahrhunderten, wie ein Blick in die Überlieferungsgeschichte zeigt.
 
Es war unter den Theologen der alten Kirche umstritten, diese Geschichte in die Schriften des Neuen Testaments aufzunehmen. Der Ehebruch galt Jahrhunderte lang als Todsünde und stand mit Jesu Verhalten im Widerspruch. Denn Jesu Verhalten war – anders als die damalige Moral – von Liebe und Barmherzigkeit durchdrungen.
 
Auch wenn wir heute nicht mehr genau sagen können, welche Texte sich dem historischen Jesus zuordnen lassen – über Mutmaßungen kommen wir da nicht hinaus – so entspricht Jesu Haltung gegenüber der Frau dem Verhalten, das die Evangelisten auch sonst von Jesus bezeugen.
 
Der Kern seiner  Botschaft, die er mit Wort und Tat bezeugte, war und ist Gottes bedingungslose Liebe und Barmherzigkeit.
Dies wird in unserer heutigen Erzählung deutlich, der wir jetzt noch einmal entlang gehen.
 
Die Geschichte beginnt mit dem Hinweis, dass Schriftgelehrte und Pharisäer , also Rechtskundige,  eine beim Ehebruch ertappte Frau zu Jesus bringen, um  seine Meinung dazu zu hören: „Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?“
Der Erzähler fügt ausdrücklich hinzu: Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten.

Offenbar sind die Gesetzeskundigen gar nicht an Jesu Antwort interessiert, um  ein angemessenes Strafmaß für die Frau zu finden.. Sie möchten Jesus selbst auf die Probe stellen, der ja durch sein Verhalten ebenfalls gegen gängiges Recht und gegen Traditionen verstoßen hat.
Nach mosaischem Gesetz steht bei Ehebruch die Todesstrafe durch Steinigung.
 
Was immer auch Jesus antwortet, er wird Anstoß erregen. Wenn er sich gegen die Steinigung ausspricht, dann ist er als Gesetzesverächter überführt. Wenn er aber die Steinigung befürwortet, dann ist seine Botschaft von Gottes bedingungsloser Liebe unglaubwürdig.
 
Interessant ist, wie Jesus reagiert. Er versucht zunächst Ruhe in die angespannte Situation zu bringen, indem er den Blick auf sich lenkt – weg von der Frau, die in der Mitte steht. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. In angespannten Situationen ist es heilsam,  Distanz zu bekommen und Zeit zum Nachdenken zu haben.
Anstelle einer Antwort konfrontiert Jesus die Fragenden mit sich selbst, indem er aus der Fangfrage eine existentielle Anfrage macht:Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.
 
Mit dieser Anfrage sind wir alle eingeladen, über uns selbst, über unsere eigenen Fehler und Versäumnisse nachzudenken und nicht vorschnell über andere zu urteilen.
 
Was mit ohne Sünde sein gemeint ist, darf nicht allein auf das Verhalten im Sexualbereich bezogen werden. Die Kirche hat lange Zeit eine leibfeindliche Moral vertreten und Sünde auf das Sexualverhalten bezogen und eingeschränkt.

Sünde in der Bibel ist umfassender gemeint. Sünde ist nach der Definition von Wilfried Härle, einem Heidelberger Theologen, das Verfehlen der schöpfungsmäßigen Bestimmung des Menschen, Gott und die Mitmenschen zu lieben.
 
Sünde in diesem umfassenden Sinn konfrontiert uns mit der eigenen Unzulänglichkeit.
 
Wenn man älter wird und auch ein bisschen reifer, wird einem bewusst, wie viel wir einander an Liebe schuldig bleiben – in der Erziehung unserer Kinder, in der Partnerschaft, im Umgang mit Menschen, deren Nöte uns gleichgültig waren. Schuld muss uns aber nicht lähmen, sondern kann uns helfen, dass wir aus den Fehlern lernen und sie berichtigen.
 
Wo immer wir unsere eigenen Unzulänglichkeiten wahrnehmen, da werden wir auch ein Stück demütiger, da lernen wir darauf zu verzichten, andere zu richten,  herabzusetzen oder gar verdammen.
Von Hermann Hesse stammt der nachdenkenswerte Satz: „Ich bedurfte der Sünde, um die Welt und die Menschen zu lieben.“
Die Einsicht, nicht ohne Schuld zu sein, Fehler begangen zu haben, macht uns empfänglich für die Vergebung, – von  der in der 4. Bitte des Vaterunser die Rede ist:
 
Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Wörtlich heißt diese Bitte:
„Vergib uns unsere Schuld, damit wir vergeben unseren Schuldigern.
 
Ja, liebe Gemeinde, wer Vergebung erfährt und dafür offen ist, der wird auch fähig, anderen zu vergeben und kann auf Rache verzichten.
 
Gewiss – es braucht seine Zeit, Menschen zu vergeben, die uns verletzt haben und die an uns schuldig geworden sind. Daran werden wir in der Erzählung erinnert, wenn es nach der Aussage: Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein  von Jesus heißt: Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.

Es will verarbeitet sein, wenn Menschen uns Böses zufügen. Und doch ist es für uns selbst wichtig, zu vergeben, um Frieden zu finden.
 
Dies ist mir durch ein Gespräch mit einem Mann, der ein praktizierender Katholik war,  bewusst geworden. Es war vor Jahren in Freiburg, als ein psychisch kranker Amokläufer seine Frau und einen seiner Söhne erschoss. Er erzählte mir, dass er den Attentäter später in der Psychiatrie besucht  und ihm auch verziehen habe. So habe er selbst wieder Frieden und zu einem Neuanfang gefunden, wobei ihm der Glaube geholfen habe.
 
Der Verzicht auf Rache und Vergeltung ist eine Haltung, die es im Laufe unseres Lebens zu entfalten gilt in Achtung und Güte gegenüber jedermann. Dies ist möglich, wenn wir Jesus und seinen Worten Glauben schenken , darauf hören und uns davon wandeln lassen.
 
Wenn wir an den Fortgang der Erzählung denken, ließen sich die Gesetzeskundigen, die dabei waren, die Frau zu steinigen, von Jesus ansprechen und von ihrem Vorhaben abbringen:
 
Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern – die Ältesten zuerst.

Der Hinweis, dass zuerst die Ältesten weggehen, könnte mit deren größeren Lebenserfahrung zusammenhängen. Erst am Ende der Erzählung  tritt nun die Frau in den Mittelpunkt des Geschehens:

Und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.
 
In dieser Schlussszene wird deutlich, wie Gottes Liebe uns Menschen zum Leben befreit, ohne Schuld und Sünde zu verharmlosen.
 
Zunächst weist  Jesus im Gespräch mit der Frau auf die veränderte Situation:Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr.
Übrigens weist die Anrede „Herr“ auf die besondere Achtung und Ehrfurcht, die die Frau gegenüber Jesus zeigt.
 
Diese Achtung, die wir immer wieder neu gegenüber Jesus und seinen Worten zu lernen haben, ist  eine entscheidende Voraussetzung, die zu einer Wandlung des Denkens und Handelns führt.
 
Diese Wandlung geschieht am Schluss durch die Vergebung, die Jesus der Frau zusagt, nachdem die Ankläger gegangen sind:
 
So verdamme ich dich auch nicht.

Es sind schlichte Worte, die aber keineswegs die Schuld verharmlosen, wennJesus fortfährt:
 
geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Wer wie die Frau in der Erzählung Vergebung und Liebe erfährt, der findet zu einem Leben in Verantwortung und kann Fehler und Versäumnisse berichtigen.
 
Mit der heutigen Erzählung werden wir auf die heilende Kraft der Vergebung hingewiesen, die unserem Leben eine neue Ausrichtung gibt.
 
Unser Leben verläuft nicht ohne Fehler und Versäumnisse.
Aber wir werden nicht darauf festgelegt. Es ist die Botschaft der Liebe, die uns zum Leben befreit.
 
Gott selbst schenke uns in Jesus Christus die heilende Kraft seiner Vergebung, die uns von den Lasten der Vergangenheit befreit und heilend in unserem Leben und in der Welt wirkt.
Amen
 

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Erstellt am: 23.06.2013 08:25 Uhr

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