Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis 2013 (07.07.)

L II: Gal 6, 14-18 / Ev.: Lk 10, 1-12.17-20
Schwestern und Brüder!

“Bloß nicht weitersagen”, das war und ist in Betrieben oder auch bei „Kirchens“ immer noch die beste Methode, um etwas, was nicht publik werden soll, ganz schnell bekannt zu machen. Es wird damit etwas „ad absurdum“ geführt, was normalerweise eine ganz andere Bedeutung hat. Denn diese Beschwörung des anderen gilt doch immer dann, wenn ich jemandem etwas von mir, etwas von meinem Leben anvertraue und ich eben im Tiefsten meines Herzens gerade nicht will, dass dies an die große Glocke gehängt wird. Es kann auch sein, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die mir peinlich oder zumindest mehr als unangenehm ist. Der Satz: “Bloß nicht weitersagen!” soll also vermeiden, dass zu viele Menschen von dieser Sache erfahren und sich dann nachher den Mund darüber fusselig reden oder in Schadenfreude verfallen.
“Bloß nicht weitersagen!” – dieser Spruch scheint aber auch für immer mehr Christen Gültigkeit zu besitzen, wenn es um unseren Glauben geht. Bloß nicht davon sprechen – weder im Freundes- noch im Bekanntenkreis, weder in der Schule noch am Arbeitsplatz und vor allem nicht in Situationen, wenn sich gar kirchen- oder christenkritische Leute zu Wort melden könnten. Ja sich auf keine Diskussionen einlassen; es hat ja sowieso keinen Sinn und manche Kritik von denen ist ja auch berechtigt…
Es stimmt schon und wir brauchen da gar nichts zu beschönigen: Viele empfinden es heutzutage nicht unbedingt aufbauend einer Kirche anzugehören, in der man, wenn man sich denn engagiert, oft gegen Wände von Engstirnigkeit und Angst anrennt. Es gibt Menschen die tief darüber enttäuscht sind, dass sie in ihrer christlichen Gemeinde keine Bestärkung für ihr schwer zu verteidigendes Christsein im Alltag erfahren, sondern oft nur zusätzlich in Grabenkämpfe mit hineingezogen werden, die Kräfte kosten und Menschen verschleißen. Dabei spüren wir gar nicht, wie vor lauter Flügel- und Richtungskämpfen in der Kirche, vor lauter Enttäuschung und Entmutigung, die Sprachlosigkeit in Sachen Glauben in unseren eigenen Reihen immer grösser wird. Wann reden wir denn – bitte schön – in unseren Gemeinden miteinander darüber, was uns in unserem jeweiligen Leben trägt, was uns glauben leicht oder auch schwer macht? Wir wissen doch kaum etwas von unseren Glaubens- oder auch Unglaubensgeschichten – mitunter nicht einmal in der eigenen Familie.
So setzen wir z.B. stillschweigend voraus, dass wir alle wissen, weshalb wir jetzt hier versammelt sind und was uns unser Glaube bedeutet. Das erinnert mich an die Aussage eines Zeitgenossen: Glauben tut man(n) oder frau einfach – aber über den Glauben spricht man nicht. Dadurch wird doch aber das Gefühl nur noch stärker, dass wir gleichsam ein kleiner Haufen sind, so etwas wie der letzte heilige Rest, der umgeben ist von einer großen Menge, die eben genau von diesem Glauben nichts mehr wissen will und mit Gemeinde schon gar nichts am Hut hat. Das aber wiederum bewirkt eine Festungsmentalität, die es mit sich bringt, dass wir uns als Kirche zur geschlossenen und verschlossenen Gesellschaft entwickeln – in der sich dann viele auch wieder nicht wohl fühlen; also für mich beißt sich da die Katze sprichwörtlich in den Schwanz.
Genau aus diesen Gedanken heraus ist mir das heutige Evangelium aber wichtig geworden. Es ist für uns eine Provokation, eine Herausforderung im guten Sinne. Es führt uns nämlich eindeutig vor Augen, dass die christliche Botschaft eben alles andere als nur für bestimmte Kreise gedacht ist – sondern dass sie vielmehr einladend an alle Menschen ausgesprochen werden sollte.
Der Evangelist Lukas schreibt für Menschen, die schon damals miterleben mussten, wie sich die christliche Botschaft – so sehr sie selbst auch davon überzeugt gewesen sein mögen – eben nicht von selber durchsetzt. Von allein geschieht gar nichts, im Gegenteil: Menschen mussten mit dem Evangelium in Berührung gebracht werden. Sie mussten aufgespürt und aufgesucht werden. Überzeugungsarbeit war zu leisten – auch vor 2000 Jahren sicherlich kein leichtes Unterfangen. Aber wie die Menschen sich damals auf den Weg machten, da sind für mich zwei Dinge bemerkenswert: Zum einen sind es keine Profis in Glaubensfragen, die hier losgeschickt werden. Es sind keine “bombensicheren” oder “felsenfesten” Christen, die durch nichts mehr zu erschüttern wären. Vielmehr sind es Menschen, die fasziniert sind von Jesus und seiner Botschaft; Menschen, die für sich entdeckt haben, dass mit dieser Gottesbotschaft ihr eigenes Leben reicher wird. Es sind Menschen, die durch Jesus etwas von der Nähe und Liebe Gottes erfahren haben und die deshalb bereit sind, genau dies weiterzusagen, dafür gerade zu stehen, eine persönliche Antwort zu geben. Dabei ist die Zahl 72 alles andere als willkürlich gewählt; es ist die Zahl aus der Völkerliste des Buches Genesis was nichts anderes bedeutet, als das Lukas damit sagen will:  Diese Botschaft gilt allen Völkern dieser Welt.
Das zweite Bemerkenswerte: Wir können Jesus kaum vorwerfen, dass er seine Leute nicht gewarnt hätte. Er macht deutlich: Das, was ihr hier zu tun habt, das ist kein Sonntagsspaziergang. Das Bild von den Schafen und den Wölfen spricht ja Bände. Und dennoch! Jesus macht keine Zugeständnisse an das menschliche Sicherheitsbedürfnis. Kein Geld, kein Proviant, nicht einmal Schuhe. Nichts, aber auch gar nichts, was die Jünger bei unvorhergesehenen Ereignissen schützen oder ihnen aus der Patsche helfen könnte, sollen sie mitnehmen. Nichts Greifbares – nur  sich verlassen auf die Weggefährten und das eigene Gottvertrauen. In den Augen Jesu reicht das. Als Wegzehrung gibt er ihnen einzig und allein die Hoffnung mit, dass sie vielleicht mitsamt ihrer Botschaft aufgenommen werden. Aber ein Garantieschein ist das nicht! Sie sollen die Menschen die Nähe Gottes in Wort und Tat spüren lassen – von wegen “Bloß nicht weitersagen!”
Wir sehen also: Glaube ist für die ersten Christen keine Privatsache, keine Angelegenheit, über die sie nur hinter vorgehaltener Hand oder nur in trauter Runde sprechen. Nein – gerade weil sie von der Sache Jesu selbst so betroffen und angetan waren, sollen und wollen sie sich mitteilen. Wichtig dabei ist, dass die Jünger in diesem Unterfangen von Jesus nicht unter Leistungs- oder Erfolgszwang gesetzt werden. Sie müssen nicht vorzeigen, was oder wen sie erreicht haben. Einzig und allein den Versuch sollen sie unternehmen.
Und die Erkenntnis nun für uns aus diesem Evangelium? Zum einen – wir sollten wieder mehr miteinander über unseren Glauben ins Gespräch kommen – uns die Sprachlosigkeit nehmen, indem wir lernen über das zu Reden, was uns hoffnungsvoll stimmt und glauben lässt. Des weiteren: Auch wenn vieles in unserer Kirche und in unseren Gemeinden im argen liegt, so sollten wir nicht warten, bis mal wieder bessere Zeiten anbrechen – die werden nicht kommen, schon gar nicht ohne unser Zutun. Und wenn durch das Verhalten von Amtsträgern unserer Kirche, die gesamte Glaubwürdigkeit mal wieder auf dem Prüfstand steht, dann sollte uns dies nicht davon abhalten, unserem ureigenen Auftrag nachzukommen. Denn es steht doch nirgendwo geschrieben, dass Christen in ihrem Handeln den Amtsträgern an Glaubwürdigkeit nicht voraus sein dürften. Die Menschen warten auch heute darauf, dass sie angesprochen werden – im Namen Jesu und mit seiner Kraft. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es auch heute einen großen Bedarf an geistiger Orientierung, einen großen Hunger nach Frieden und Gerechtigkeit und eine große Sehnsucht nach religiöser Erfahrung und Sinngebung gibt. „Die Ernte ist groß“, war im Evangelium zu hören; wir müssen sie nur wahrnehmen und bereit sein, mitzuhelfen. Jede und jeder als Erntehelferin und Erntehelfer an dem Platz, wo man(n) oder frau gerade steht: ob nun in der Familie, der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz. Überall kann man Erfahrungen machen, wenn man sich als Christ „outet“ und nicht einfach abtaucht, sondern von seinem Glauben zu sprechen wagt. Christen dürfen sich zwar den Staub von den Schuhen schütteln, sie sollten sich aber nicht aus dem Staub machen, wo es gilt, Farbe zu bekennen und Profil zu zeigen – zum Beispiel auch im gesellschaftlichen Diskurs und in den großen ethischen Auseinandersetzungen unserer Zeit.  
Unsere wachsende Macht- und Mittellosigkeit, das Wegschmelzen christlicher Werte und der schwindende Einfluss der Kirche auf Macht und Moral – alles, worüber wir so gerne lamentieren – das wird vom heutigen Evangelium in ein ganz neues Licht gerückt. Die 72 werden doch ausdrücklich macht- und mittellos auf den Weg zu den Menschen gesandt. Wenn schon nicht das Evangelium, so zwingen uns vielleicht die heutigen Verhältnisse endlich dazu, mehr auf Gottes Macht und Möglichkeiten zu vertrauen, als auf die herkömmlichen und lieb gewordenen Privilegien der Kirche, die ihr bekanntlich nicht immer gut bekommen sind.  
Das Evangelium ist es wert, in unseren Alltag hinein erzählt zu werden. Also: Nicht schweigen – sondern weitersagen, auch im Urlaub! Oder es so handhaben wie der Pfarrer, der von seinem Bürgermeister aufgefordert wurde, wegen des Tourismus im Ort doch des Nachts die Kirche anstrahlen zu lassen. Er sagte nur lapidar: „Christen sollen etwas ausstrahlen und nicht die Kirche anstrahlen.“ Wie recht er damit doch hat. Amen.

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Erstellt am: 08.07.2013 08:42 Uhr

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