Predigt vom 21.07.2013 von Pfarrer Helmut Müller

Der Predigttext am 8. Sonntag nach Trinitatis steht im Johannesevangelium.
Es ist die Erzählung eines Blindgeborenen, die uns Einblick gibt in Jesu Leben, wie er gedacht und und wie er in seinem kurzen Erdenleben gewirkt hat. .Bei ihm können wir lernen, dass Wort und Tat, Heil und Heilung nicht zu trennen sind, sondern zusammengehören.

Wir hören aus Johannes 9, 1-7:
1 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war.
2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?
3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes an ihm offenbar werden.
4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.
5 So lange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.
6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden.
7 Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich!
Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.
Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg. Amen
 
Liebe Gemeinde,
die eben gehörte Heilungsgeschichte beginnt mit einer Reflexion über die Ursachen der Blindheit. In der Antike brachte man häufig Leid und Krankheit mit Schuld zusammen und sah darin eine Art Strafe. Ein solches Denken findet man vereinzelt auch heute noch. Ich erinnere mich an eine Begegnung mit einer 90jährigen Frau, die wegen einer Fraktur des Oberschenkelhals im Krankenhaus lag.
 
Sie erzählte mir, sie hätte sich den Bruch morgens beim Aufstehen zugezogen und sie fügte die Erklärung hinzu: sie sehe darin eine Strafe, weil sie morgens gleich die Zeitung und nicht zuvor ein geistliches Wort gelesen habe. Offenbar neigen wir Menschen dazu, im Leid nach Schuld zu suchen.
 
Das taten auch die Jünger in unserer Geschichte, als sie einem Menschen begegneten, der von Geburt an blind war. Sie stellten Jesus die Frage:
 
Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?
 
Da es sich um eine Krankheit von Geburt an handelte, mussten nach Meinung der Jünger entweder der Kranke selbst im vorgeburtlichen Zustand oder seine Eltern gesündigt haben.
 
Beides weist Jesus in seiner Antwort klar und eindeutig zurück:
Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes an ihm offenbar werden.
 
Mit dieser klaren Stellungnahme eröffnet Jesus eine neue Sichtweise, Krankheit und Behinderung zu betrachten – weg von der Schuldfrage hin zur Frage nach dem Wozu. Alles im Leben – das Helle und das Dunkle – kann uns dazu dienen, auf innerem Wege zu wachsen und zu reifen – mit Worten unseres Textes zu reden: um Gottes Wirken zu erfahren.
 
Im heutigen Predigttext sind wir eingeladen, uns dieser neuen Sicht von Leid und Krankheit zu öffnen. In der Antwort Jesu an seine Jünger wird ein genereller Zusammenhang von Tun und Ergehen in Frage gestellt, ohne dabei die Verantwortung des Menschen aufzuheben.
Es steht außer Frage. Wer unverantwortlich lebt und die Augen vor der Realität verschließt, bekommt früher oder später die Folgen seines Handelns zu spüren.
 
„Was der Mensch sät, wird er ernten.“ – dies gilt unter bestimmten Bedingungen für destruktive Verhaltensweisen beispielsweise für Alkohol- oder Drogenmissbrauch. Auch können einzelne Krankheiten psychosomatisch bedingt sein, was sich in Sätzen zeigt wie „Was kränkt, macht krank“ oder „Wenn die Seele schweigt, schreit der Körper.“
Aber wir dürfen daraus keinen generellen Zusammenhang von Tun und Ergehen ableiten.
 
Es gibt Widerfahrnisse im Leben, für die wir keine Erklärung haben.
Wir wissen nicht, warum ein Leben so und nicht anders verläuft, warum manchen Menschen viel, anderen scheinbar weniger aufgebürdet bekommen. In der Bergpredigt sagt Jesus: Gott lässt die Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. (Mt 5,45)
 
Auch diese Aussage verbietet uns, Leid und Krankheit mit Schuld oder gar mit einem strafenden Gott zusammenzubringen. Jesus hat Gott nicht als strafenden, sondern als liebenden Vater bezeugt. In der Mitte seiner Botschaft steht die heilende Vergebung, die uns zum Leben befreit und eine neue Sichtweise gibt.
 
Auch im Dunkel kann uns Gott begegnen, kann sein heilendes Wirken erfahren werden. Oft ist es gerade auch das Schwere, das uns innerlich reifen lässt und uns zu einer erweiterten Sichtweise des Lebens verhilft.
Das Was, die Umstände, können wir oft nicht aussuchen, aber das Wie, wie wir damit umgehen, da können wir mitwirken. Eine Patientin, deren beide Beine amputiert werden mussten, hat dies in einem Spruch so zum Ausdruck gebracht: „ Der Stein, der in meinen Garten fiel, hat einen tiefen Sinn, wenn ich ihn nicht versetzen kann, kann ich ihn überblüh“n.
 
Wo wir lernen, unaufhebbares Leiden anzunehmen und es in einem größeren Zusammenhang, in Gott, bedenken, da bleiben wir nicht ohne Hilfe. In einem Vortrag über den Sinn des Leidens hat Viktor Frankl, der Begründer einer sinnzentrierten Psychotherapie, eine Strophe zitiert, die an Aussagen des heutigen Textes aufgreift:
 
„Über Nacht, über Nacht
kommen Freude und Leid.
Und eh du“s gedacht,
verlassen dich beid.
Und gehn dem Herrn zu sagen,
wie du sie getragen.“
 
Auf eine solche neue Sichtweise zielt unser heutiger Predigttext und die Heilungsgeschichte.
 
Die Heilung selbst wird relativ unspektakulär und knapp bezeugt. Es sind nur 2 Verse, wobei die Begegnung mit dem Kranken und das anschließende Gespräch insgesamt 39 Verse umfasst. Schon dieser formale Hinweis macht deutlich, wo der Schwerpunkt liegt.
 
Der Schwerpunkt liegt weniger auf der körperlichen Heilung, sondern weit mehr auf einem neuen inwendigen Sehen. Die äußere Heilung wird wie folgt bezeugt:
 
Als Jesus das gesagt hat, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Und ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.
 
Bei der Schilderung wird die Heilung mit Speichel und mit Wasser in Zusammenhang gebracht . Beidem, dem Speichel und dem Wasser, schrieb man in der Antike heilende Kraft zu. Auch der Kranke muss seinen Teil zur Heilung beitragen. Er soll sich waschen. Die Frage, ob sich die Heilung genau so ereignet hat, wie sie der Evangelist Johannes hier bezeugt, müssen wir angesichts der Quellenlage offen lassen.
 
Schon im nachfolgenden Gespräch wird die Heilung grundsätzlich in Frage gestellt, in dem Nachbarn die Identität des Geheilten anzweifeln.
Mit Beweisen kommen wir hier nicht weiter. Der Glaube gründet nicht auf äußeren beweisbaren Wundern. Das eigentliche Wunder, auf das unser Text abzielt, ist eine neue Sichtweise, unser Leben zu sehen.
 
Statt einer rückwärts gewandten Ursachenforschung werden wir gebeten, unser Leben im hier und jetzt anzunehmen und Gottes Wirken darin zu erkennen.
 
Wo immer wir mit den Augen Jesu die Welt und die Menschen in ihr wahrnehmen, da bekommen wir eine andere Ausrichtung. Wir beurteilen die Menschen nicht mehr allein danach, was sie leisten und uns an Nutzen erbringen, sondern wir sehen tiefer. Wir nehmen wahr, woran sie leiden und wie wir ihnen helfen können. Im Wochenspruch aus dem Epheserbrief (5,8f), der uns diese Woche zur Begleitung gegeben ist, heißt es: „Lebt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“
 
Jesus ist an dem Blinden in der nicht gleichgültig vorbeigegangen. Er hat ihn inwendig geheilt und auch äußerlich eine neue Lebenschance gegeben.
 
Wo wir mit seinen Augen die Welt und die Menschen betrachten, können wir angesichts der weltweiten Not nicht gleichgültig bleiben.
In Afrika und in vielen Regionen der Welt leben Menschen, die von Geburt an mit Augenkrankheiten zu kämpfen haben. Es gibt Hilfsorganisationen, die zu helfen versuchen und die noch wirksamer helfen könnten, wenn wir sie finanziell unterstützen. Eine dieser Organisationen ist die Christoffel-Blindenmission. Mit nur 30 Euro, die eine ambulante Operation kostet, können wir Kinder, die von Geburt an am grauen Star leiden, vor Blindheit bewahren.
 
Unser Leben bekommt Sinn, wenn wir nicht nur um uns kreisen, sondern mithelfen, dem Dunkel in der Welt mit Licht zu begegnen.
Im heutigen Text sind wir dazu eingeladen,wenn es da heißt:
 
Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist. Ich bin das Licht der Welt.
 
Gott selbst helfe uns in Jesus Christus, dass wir sein Licht in die Welt tragen und die Augen nicht vor der Not verschließen.
Amen

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Erstellt am: 21.07.2013 16:08 Uhr

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