Zündfunke, Donnerstag 21.03.13

Andrea Bolz, Deutschsprachige Katholische Gemeinde, Puerto de la Cruz
Guten Morgen, liebe Schwestern und Brüder!

Ein Rabbiner kommt müde aus der Synagoge nach Hause, und seine Frau fragt ihn, was ihn so erschöpft habe. Mit der Predigt habe er sich so abmühen müssen, sagt er. Er habe von der Not der Armen und ihren Bedürfnissen gepredigt. “Und was hast Du mit der Predigt bewirkt“, fragt seine Frau. „Die Hälfte des Notwendigen ist gesichert“, antwortet er, „die Armen sind nämlich bereit zu nehmen. Ob auch die Reichen bereit sind zu geben, das weiß ich noch nicht.“

Eine überraschende und doch zutreffende Einsicht steckt in der Auskunft des Rabbiners: Es kommt nicht nur darauf an, dass die Reichen geben. Genauso wichtig ist, dass die Armen nehmen. Und es ist ja gar nicht so einfach, bereitwillig Hilfe anzunehmen. Wer sich helfen lassen muss, gesteht sich und anderen damit ein, dass er hilfebedürftig ist, dass er es alleine nicht schafft. Eine zwiespältige Situation. Einerseits wird die Hilfe möglicherweise dringend gebraucht, andererseits ist sie vielleicht nicht frei von Beschämung. Im Judentum spielt die Hilfe für den Notleidenden eine große Rolle. Sie ist religiöse Notwendigkeit und Pflicht. Dabei hat die jüdische Religion nicht nur die Pflicht des Gebenden, sondern auch die Lage des Nehmenden im Blick. Im Laufe der Zeit hat sie deshalb acht Stufen einer rechten, angemessenen Barmherzigkeit entwickelt. Sie gipfelt in der obersten Stufe, die da lautet: So geben, dass der Nehmer nicht weiß, von wem er erhält, und der Geber nicht weiß, wem er gibt. Man spürt hier das Bemühen, den Hilfebedürftigen nicht in eine für ihn peinliche Situation zu bringen und zugleich den Gebenden davor zu schützen, Überlegenheitsgefühlen oder Stolz zum Opfer zu fallen. Für den Gebenden mag diese Anonymität nicht immer verlockend sein. Gerne möchte er vielleicht wissen, ob seine Hilfe angekommen ist, was dank seiner Hilfe alles verbessert oder unternommen werden kann. Oder er hat ein verständliches Interesse an einem schlichten „Dankeschön“. Und es gibt auch Geber, die mehr als nur Geld oder eine anonyme Spende geben wollen, die dann notwendigerweise den Empfänger kennen müssen. Umgekehrt gilt: Mancher Notleidende wird sich nicht als Empfänger anonymer Hilfe wohlfühlen, er wird gerne seine Dankbarkeit zeigen wollen. Es bleibt aber der gültige Hinweis: Nicht nur dass gegeben wird, ist wichtig, sondern es kommt auch darauf an, dass ohne Beschämung genommen werden kann. Dass durch das Nehmen nicht ungewollt zusätzliche Abhängigkeit entsteht. Das gilt für die anonyme Spende ebenso wie für die Hilfe zwischen Menschen, die sich kennen.

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Erstellt am: 21.03.2013 17:38 Uhr

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