Predigttext Joh 3,16-21
16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.
19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.
20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.
21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Liebe Gemeinde!
Endlich ist es so weit. Die anstrengenden Wochen der Festvorbereitungen sind vorbei. Unruhe und Betriebsamkeit haben sich gelegt. Unsere Schritte sind langsamer geworden. Vielleicht haben wir sogar schon ein paar Stunden gefeiert. Vielleicht haben wir uns auf diese Stunde gefreut. Gelassenheit rührt uns an. Endlich ist wirklich Weihnachten. Die Zeit steht still. Der Heilige Abend ist gekommen.
Da steigen schon lange vergessene Bilder in uns auf: Weihnachten, als wir noch Kinder waren, mit Geheimnissen und leuchtenden Augen; das erste gemeinsame Weihnachten als jung verliebtes Paar; das letzte Weihnachten mit den Kindern oder dem Ehepartner… Wie doch die Zeit vergeht! Plötzlich wird uns bewusst: Wir feiern Weihnachten wie eh und je – doch wie viele Veränderungen liegen zwischen heute und den Weihnachten früherer Jahre! Es ist, als lagerten sich um dieses Fest die Erfahrungen unseres Lebens wie Jahresringe um den Kern eines Baums. Alle Jahre wieder dieses „Es war einmal“. Alle Jahre wieder dieses unbestimmte Verlangen nach etwas, was man nicht kaufen und nicht vorbereiten kann und was trotzdem lebensnotwendig ist – mehr womöglich als die vielen schönen Dinge, die auch zu Weihnachten gehören: Ein gelungenes Leben voll Harmonie, Vertrauen, Zärtlichkeit und Glück. Eine heile Welt, ohne Hunger, ohne Kriege, ohne Tränen, ohne himmel- schreiende Ungerechtigkeit. Etwas von Gott.
Was Wunder, wenn wir so etwas wie Heimweh nach der Vergangenheit bekommen – und zugleich Sehnsucht nach etwas Neuem, nie Dagewesenen. Noch einmal die Kinder erleben mit ihrer Neugier, ihrer Freude, ihrem Lachen! Selber noch einmal Kind sein und das Leben mit allen Möglichkeiten vor sich haben! Noch einmal von vorn anfangen! – So werden die Bilder von einst unversehens zu Vor-Bildern, mit denen wir uns ausmalen, wie unser Leben eigentlich aussehen sollte. Es ist, als erinnere uns Weihnachten – „alle Jahre wieder“ – an unseren Traum vom Glück und gelungenen Leben, an all das, was uns allzu oft abhanden kommt oder misslingt und von dem wir doch wissen, wie sehr wir es brauchen: Gerechtigkeit und Frieden für diese Welt, die sich unter tausend Ängsten krümmt. Nähe, Wärme und Menschlichkeit für uns selber. Und unversehens überfallen uns Fragen – nach uns selbst und danach, was wir ausrichten können: Wie kommt es bloß, dass dieses Fest unsere Seele so anrührt? Was wünschen wir uns eigentlich? Was bleibt „im Fluge unserer Zeiten“? Wie gewinnen wir Mut, auch über Abschiede und Krisen hinweg zuversichtlich unseren Weg zu gehen? Kann wahr werden, was wir uns vom Leben erhoffen?
Erinnerungen, Hoffnungen, Fragen, Wünsche. Zumindest die beschert uns das Weihnachtsfest, auch in diesem Jahr. Und irgendwie hängen sie alle zusammen mit der „Geschichte, die da geschehen ist“ – wir haben sie vorhin gehört –, mit der Geschichte vom Kind im Stall von Bethlehem, das später der Mann Jesus werden sollte, erwachsen wie wir. Es ist, als wären alle unsere Fragen und unsere Hoffnungen ans Leben auf geheimnisvolle Weise an ihn gerichtet. Als ginge uns ein Licht auf, wenn wir wissen, wer er für uns ist…
Ja, in der Tat: Dieser Jesus, dessen Geburt wir feiern wie eine Kindheitserinnerung, er redet uns an:
„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
Das ist wie die Stimme unseres eigenen Herzens: War ich nicht immer schon bei euch? Eure zweitausend Jahre Abendland, die Jahre eures Lebens, schöne und schreckliche Weihnachten, diese ganze Welt mit ihrem Elend und ihrer Herrlichkeit – waren sie je ohne mich? Euer Suchen nach Wärme und Nähe, nach Frieden und Glück – ist es nicht in Wahrheit die Suche nach dem menschenfreundlichen Gott und seiner Liebe? Er hat euch längst gefunden! Er ist für euch da, wie ein Mensch für den andern. Denn ich, dessen Geburtstag ihr heute feiert, stehe für euch ein und bleibe bei euch, nah wie Gott selbst. Mein Wort begleitet euch. Wer mir traut, geht nicht verloren. Meine Liebe bleibt und umgibt euch. Fürchtet euch nicht, ihr geht nicht verloren! Ihr seid nicht allein, sondern Kinder einer grenzenlosen Liebe.
So kommt – mit euren Erinnerungen, mit eurer versteckten Angst vor dem, was werden wird, mit eurer großen Sehnsucht. Heute wird euch das Leben neu geboren. Ihr könnt die Menschen werden, die ihr immer schon sein wolltet: mutig und zuversichtlich, mit Gespür fürs Nötige, mit Leidenschaft für den Frieden im Kleinen und im Großen, liebes fähig, mit offenen Augen fürs Leben. Sicher gelingt euch das nicht auf Anhieb und schon gar ein für alle Mal. Aber Schritt um Schritt werdet ihr wachsen – mit den kleinen, aber sicheren Schritten der Nachfolge. Und mit jedem Schritt auf diesem Weg werdet ihr Gott neu kennen lernen. Werden anfangen, diese Welt mit seinen Augen zu sehen.
„Jesus ist geboren, in Bethlehem und überall.
Den Freund der Menschen seht ihr: in einem armen Stall.
Das Kind wird euer Bruder sein, wird euer Leben teilen.
Das Kind wird euer Frieden sein und allen Schaden heilen.
Das Kind wird euch begleiten, ein Freund, der weiß was trennt,
Der alle eure Ängste sieht und sie beim Namen nennt.
Ein Mann, der Armen helfen wird, der Armut auf sich nimmt.
Ein Mann, der Reiche stören wird, der aufdeckt, was nicht stimmt.
Jesus ist geboren: in Bethlehem und überall.
Das Wunder, das uns menschlich macht, beginnt im armen Stall“.
Liebe Gemeinde!
Das ist kein Wunder von anno dazumal, gerade gut für einen jährlichen Gedenktag. Dieses Wunder von neuem geschehen, und erst recht jetzt/heute, am Heiligen Abend – wenn wir’s uns von Christus sagen lassen und ihm glauben, wer wir sind: Kinder Gottes. Also Menschen, die das Leben noch vor sich haben, egal, wie viele Jahre wir auf dem Buckel haben. Menschen voller Aussichten, voller Möglichkeiten. Durch Gottes Liebe zur Welt gebracht. Ins Leben geschickt wie neu geboren. Menschen des göttlichen Wohlgefallens, das allem gilt, was lebt, und nichts und niemand vergisst. Darauf wollen wir uns verlassen. Das wollen wir feiern. Dafür wollen wir leben.
Amen!
Infos unter:
Erstellt am: 24.12.2012 17:08 Uhr