Predigt zum Fest des Hl. Stephanus 2012

L I: Apg 6, 8-10; 7, 54-60 / Ev: Mt 10, 17-22
Schwestern und Brüder!

Verzeihen Sie mir, wenn ich heute, am sogenannten „zweiten“ Weihnachtsfeiertag, mit etwas sonderbar klingenden Fragen diese Predigt beginne. Son-derbar deshalb, weil sie anscheinend in keinster Weise zum Weihnachtsfest zu passen scheinen. Es handelt sich um die Fragen: „Welcher Buchstabe im Alphabet wird von den Österreichern am meisten gebraucht und am meisten geliebt?“ und „Inwiefern haben die Österreicher diesbezüglich etwas mit den Schwaben gemeinsam?“
Na – kommen Sie drauf? Bei den Österreichern ist der meist gebrauchte Buchstabe das „L“. Dementsprechend wird aus dem Ast, das Astl, aus dem Rad das Radl usw. Nur bei den Autos funktioniert das nicht – und da kommen jetzt die Schwaben ins Spiel. Denn während die Alpenländer nur das „L“ in der Verkleinerung kennen, haben wir Schwaben ein „LE“ daraus gemacht. Und siehe da, das funktioniert sogar bei Automarken: Ein Mercedes-le, ein Audi-le, eine BWW-le – schlau, nicht?
Was so für viele Bereiche des alltäglichen Lebens gilt, das gilt natürlich auch für das Fest, das wir dieser Tage miteinander feiern. Bei den Österreichern wird hier aus dem Christkind, das Christkinderl und bei uns Schwaben das Christkindle, das Kripple, das Esele … Gebracht hat mich auf diese Gedanken der frühere Salzburger Dogmatik-Professor Gottfried Bachl, der sich diesbezüglich mal über seine Landsleute in einem Aufsatz ausgelassen hat. Aber natürlich fragen Sie sich nun schon geraume Zeit zu recht: Ja, um Gottes Willen, was hat denn das alles nun mit Weihnachten bzw. dem Fest zu tun, das wir heute feiern? Dabei meine ich, sind wir mit solchen Gedanken gar nicht so weit von der Wirklichkeit entfernt. Denn gerade im Blick auf Weihnachten ist doch die Gefahr einer Verkitschung oder Verniedlichung des ganzen Festes und seiner Botschaft riesengroß. Man muss sich diesbezüglich nur mal so manche Werbung im Fernsehen oder auch in den Geschäften anschauen. Wo aber das Christuskind zu einem putzigen „Christkindle“ oder „Christkinderl“ verkommt, da kann man dann kaum mehr etwas von der befreienden Kraft und der heilvollen Herausforderung des Weihnachtsgeschehens erahnen. Der Anbruch von etwas ganz Neuem, eines Umbruches, das alles gerät bei einer solchen Sichtweise leicht aus dem Blickfeld und dann geht es beim Weihnachtsfest wirklich nur mehr um eine „immer wiederkehrende Idylle einer ganz und gar inszenierten Bürgerlichkeit.“ (Kardinal Koch)
Es ist durchaus denkbar, dass die Kirche genau diese Gefahr schon relativ früh verspürt und erahnt hat und deswegen ganz bewusst nach dem 25. Dezember eben dieses Gedenken an den ersten Märtyrer Stephanus festgelegt hat. Inmitten von festlichem Glanz, von harmonischem Gesang und feierlicher Stimmung schlägt der Ton hier mehr als auffallend um. Während wir – tief in unserem Innersten – noch auf den Gesang der Engel fixiert sind, schreien in unserer Bibelpassage bereits Menschen ganz wild um sich. Sie halten sich die Ohren zu und stürmen gemeinsam auf ihr Opfer los. Es geht darum, einen auszuschalten, zu beseitigen, ihn mundtot zu machen. Die Rede ist von Stephanus. Dieser war ein Zeitzeuge Jesu und von dessen Botschaft so angetan, dass er mit ihr nicht hinter dem Berg hielt, sondern offen zu ihr stand und sie auch weiter sagte. Deshalb wurde er damals auch mit sechs anderen Männern von den Aposteln zum Diakon berufen und durch Handauflegung geweiht. Sein Dienst war fortan – heute würden wir sagen – sich mit sozial-karitativen Aufgaben der ersten Gemeinden zu befassen und den Glauben zu verkündigen. Sein griechischer Name verrät uns, dass er zu jenen Juden gehörte, deren Familien lange Zeit außerhalb Israels lebten. Also hatte er – im Gegensatz zu den Aposteln – einen griechischen Hintergrund und war in der Kultur und Sprache der Hellenen beheimatet.    
Was bei diesem Stephanus besonders auffällt, das ist seine kritische Sicht des Tempels, des Kultes und seiner Liturgie, die dort gefeiert wurde und der Tora. Hier sind die Ähnlichkeiten mit Jesus von Nazareth unübersehbar. Deshalb ist es auch schlussendlich nicht verwunderlich, dass die jüdischen Autoritäten gegen ihn genauso hart vorgingen, wie gegen Jesus selbst und genau deshalb wurde Stephanus irgendwann zwischen den Jahren 36 und 40 n.Chr. liquidiert, sprich gesteinigt. Der tiefere Grund für diesen tödlichen Konflikt liegt also einzig und allein darin begründet, dass Stephanus aus demselben „Holz geschnitzt“ war wie der Rabbi aus Nazareth. Wie er denkt und was er tut, wie er lebt – und dann eben auch stirbt – das alles erinnert unmittelbar an Jesus. Deshalb ist an diesem ersten Glaubenszeugen Stephanus bis in unsere Zeit hinein erkennbar, was die Nachfolge Jesu aus Menschen machen kann. Wer von diesem Jesus und seiner Botschaft lebt, wer an ihm mit seinem Leben Maß nimmt, der lernt, genauso mutig hinzusehen und sich couragiert für Menschlichkeit und Gerechtigkeit, für eine geistige Offenheit und gegen jede Form der Diskriminierung einzusetzen wie Jesus selbst. Und – der oder die lernt auch, wenn es darauf ankommt eben nicht zu flüchten, sondern standzuhalten.
Stephanus scheute die Auseinandersetzung mit dem religiösen Establishment nicht. Er kritisierte offen die Praxis derer, die für den Tempel und die Religion verantwortlich waren. Der Tempel war ja die Mitte. Hier verdichtete sich all das, was den Menschen heilig und was für ihr Leben maßgeblich war. Und in dieser Mitte sollte eben niemand anders stehen als Jahwe, der Gott, der die Israelitinnen und Israeliten aus den Arbeitslagern Ägyptens befreit und herausgeführt hat. Im Laufe ihrer Geschichte haben die Frauen und Männer Israels ja auf sehr vielfältige Weise erfahren, wie viel an Leben, an Kraft, Mut, Weisheit und Menschlichkeit von dieser Mitte ausgegangen sind. Aber – sie erlebten eben auch, wie sehr dieser Platz in der Mitte immer wieder von verschiedenen Strömungen umkämpft war. Immer wieder versuchten sich andere „Götter“ oder auch „Götzen“ an diesen Platz von Jahwe zu setzen. Dann aber ging es nicht mehr um die Befreiung und Ermutigung, die Jahwe schenkt, sondern nur um eine Steigerung von Einfluss, Bereicherung und Zementierung eigener Machtgelüste und Machtansprüche. Deshalb zeigten, sowohl Jesus wie auch Stephanus, in ihrer Kritik am Tempel bzw. an der einengenden und die Menschen niederdrückenden Gesetzesfrömmigkeit ganz unmissverständlich auf: Dort, wo die Mitte einer Religion falsch besetzt ist, da gehört sie zweifellos entrümpelt und wieder für Gott selbst frei gemacht. Denn wo Gott in der Mitte des eigenen Lebens und in der Mitte des Kultes oder auch des Tempels zu finden ist, da wird der Mensch nie und nimmer an den Rand gedrückt.
Diese mutige, diese offene und gefährliche Auseinandersetzung ist aber mit Jesus und Stephanus längst nicht abgehakt und erledigt. Vielmehr ermutigt doch ihr Beispiel, dass auch wir heute auf unser eigenes Leben, auf die Mitte unserer Religion und unseres Glaubens schauen und fragen: Stimmt die Mitte bei uns? Sind in der Mitte unserer Religion, unseres Glaubens und unserer Kirche – die sich ja explizit auf Jesus selbst beruft und diesen Stephanus als Märtyrer verehrt – sind da all die Attribute erkennbar, die wir unter dem Begriff der LIEBE subsumieren, dem Synonym für Gott selbst? Menschlichkeit, Nähe und Zuwendung, Versöhnungsbereitschaft, Barmherzigkeit und Mitgefühl… Ist das in unseren Reihen, in der Leitung unserer Kirche erkennbar oder geht es da – ähnlich wie in Politik und Gesellschaft – vorrangig um Machterhalt, Machtzentrierung, Ausbau von Abhängigkeitsverhältnissen oder das Kleinhalten von Mündigkeit?
Das heutige Fest sollte Ihnen und mir immer wieder neu Mut machen, uns von Jesus genauso anstecken und inspirieren zu lassen, wie Stephanus. Denn: Es braucht Frauen und Männer, die wie dieser Zeitzeuge Jesu sowohl in Politik und Gesellschaft, aber auch und gerade in unserer Kirche Widerspruch und Zivilcourage riskieren und sich – ganz im Sinne Jesu und des menschenfreundlichen Gottes, den er gepredigt und vermittelt hat – gegen Systeme, Denkweisen, Theologien und Praktiken stellen, die Menschen unfrei machen, die Menschen klein halten und ihnen nur unnütze Lasten auferlegen. Auch wenn das heftigen Widerstand gegen einen selbst bedeutet.
Wozu der Weg in den Spuren Jesu letztlich ermutigen will und wozu im besonderen Stephanus uns anregt, hat Lothar Zenetti treffend in einem Gedicht ausgedrückt:
„Was keiner wagt, das sollt ihr wagen
was keiner sagt, das sagt heraus  
was keiner denkt, das wagt zu denken
was keiner anfängt, das führt aus.

Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen
wenn keiner nein sagt, sagt doch nein
wenn alle zweifeln, wagt zu glauben
wenn alle mittun, steht allein.

Wo alle loben, habt Bedenken
wo alle spotten, spottet nicht
wo alle geizen, wagt zu schenken
wo alles dunkel ist, macht Licht.“

Die Kraft dazu, kommt uns aus diesem kleinen Kind, nicht aus einem verkitschten „Kinderl“ oder „Kindle“ entgegen. Amen.

Infos unter:

Erstellt am: 26.12.2012 17:24 Uhr

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert