Predigt an Neujahr 2013

L I: Num 6, 22-27 / Ev.: Lk 2, 16-21
Schwestern und Brüder!
In dieses neue Jahr, möchte ich Sie mit einer Vision von Roland Breitenbach schicken. Der schreibt in einem Roman: Der übernächste Papst heißt Petrus II. und verlegt seinen Amtssitz von Rom nach Lima. Den herzlichen Empfang dort schildert der Schweinfurter Pfarrer und Schriftsteller so:
„Der junge Mann, der Petrus II. begrüßt hatte, hielt einen Stock in die Höhe, an dem verschiedenfarbige und eigenwillig geknotete Schnüre hingen. „Ich schenke dir zum Neuanfang das Zeichen des Weges“, sagte der junge Mann.
Dann nahm er die erste Schnur und sagte: „Geh in dich!“, und die Menge griff das Wort auf und rief: „Geh in dich!“ Zur zweiten Schnur sagte er: „Komm heraus!“, und die Menge skandierte wieder „komm heraus!“. Bei der dritten Schnur erklärte er: „Sieh nach vorne!“ und die Menge sagte es auch. Mit der vierten Schnur machte er eine weite Bewegung, als wolle er alle umfassen und rief: „Halt an“ und die Menge rief wieder mit: „Halt an!“. Und schließlich zeigte er die fünfte Schnur, reichte dann das ganze Bündel dem Papst und forderte ihn auf: „Geh weiter!“ – „geh weiter!“ jubelten die Versammelten und applaudierten begeistert. Das war der Weg, den sie gemeinsam mit dem Papst gehen wollten!“
Fünf farbige Schnüre an einem Stock – kann das aber nicht auch ein Zeichen des Weges für uns sein? Ich entdecke in diesem Zeichen nicht nur fünf Anregungen für unser Nachdenken an diesem ersten Tag des neuen Jahres, sondern auch fünf Ratschläge, die ein ganzes Lebensprogramm beinhalten oder Impulse und Orientierungshilfen für unseren ureigenen Weg sein können.
„Geh in dich“ – das könnte in dieser Stunde heißen: Werde still und schaue nach, was aus dir geworden ist. Mach dir bewusst, wofür du dankbar sein kannst, welche Erfahrungen dich reifer und reicher gemacht haben. Überlege, ob du mit deinem Leben zufrieden bist, ob es Dinge gibt, die dir Angst machen oder die du noch nicht verarbeitet hast. Geh in dich – nicht nur an diesem ersten Tag, sondern bleibe ab und zu mit dir allein. Nimm dir Zeit für die Stille und das Gebet. Nur dann spürst du, was dich letztlich trägt, was dir Kraft und Lebensmut gibt. Dann erkennst du den Weg, den Gott dich führen will. Denk an die Warnung Eugen Roth’s: „Ein Mensch nimmt guten Glaubens an, / er hab das Äußerste getan. / Doch leider Gott’s vergisst er nun, / auch noch das Innerste zu tun.“
Das „Komm heraus“ könnte heißen: Bring den Dank, der dich an diesem ersten Tag des Jahres erfüllt, in einem frohen Lied zum Ausdruck. Stelle deine Enttäuschungen, deine unerfüllten Hoffnungen, deine Bitten und Klagen im Gebet vor Gott. Nimm in dein Beten und Singen hinein, was dich beschäftigt und bewegt. Komm heraus – nicht nur heute. Geh vielmehr auf andere zu, erzähl ihnen von deinen Erfahrungen, von dem, was dir persönlich am meisten vom Evangelium aufgegangen ist. Denn andere warten auf deine guten Worte, auf deine heilsame Zuwendung. Sie hoffen darauf, dass du deine Talente, deine guten Ideen nicht versteckst. Sie sind dankbar für deine Offenheit und Herzlichkeit. Wie sagte der jetzt n Ruhestand getretene Bischof Wanke aus Erfurt einmal: „Christen, die nicht auffallen, müssen sich fragen, ob sie richtige Christen sind.“
Dann das „sie nach vorne“ an diesem Tag: Nimm das neue Jahr in den Blick mit alle seinen Chancen und Möglichkeiten. Überlege dir, welche Aufgaben du angehen möchtest, welche Veränderungen anstehen, was du weiterführen und intensivieren willst. Sie nach vorne – aber nicht nur an diesem ersten Tag. Klammere dich nicht an die Vergangenheit und trauere nicht den verpassten Gelegenheiten nach. Die Hoffnungsbilder eines Propheten Jesaja haben ein ganzes Volk vor der Resignation bewahrt; die Vision Jesu vom Reich Gottes hat viele mitgerissen und ermutigt, neue Wege zu gehen. Wer ein Ziel vor Augen hat, wer sich ausmalt, was aus ihm und seiner Welt werden könnte, der möchte diese Zukunft aktiv mitgestalten. „Ohne Visionen verkommen die Menschen“, sagt schon ein Sprichwort aus dem Alten Testament.
Die vierte Schnur meint: „Halt an“ – und gönne dir ab und an eine Auszeit. Vielleicht sogar gerade heute, am ersten Tag des neuen Jahres. Komme zur Ruhe und lass dir jetzt in diesem Gottesdienst neue Kraft schenken für die nächste Etappe. Unterbrich ganz bewusst das aufgeregte Treiben eines Jahreswechsels und ziehe Bilanz und bestimme für dich die Richtung, die du gehen willst. Halt an – und lass dich nicht von Termin zu Termin hetzen in diesem neuen Jahr. Mach Atempausen zu einem festen Bestandteil deiner Tage und Wochen. Lege eine Rast ein, wie die Menschen, die Jesus gefolgt sind und wie sie Rast gemacht haben, als sie dann selbst mit dieser Botschaft unterwegs waren. Nur wer von Zeit zu Zeit das Tempo drosselt, kann die Schönheit seiner Lebenslandschaft wahrnehmen. Wie schreibt der Dichter Jean Paul: „Das Leben gleicht einem Buch. Die Toren durchblättern es flüchtig, der Weise liest es mit Bedacht, weil er weiß, dass er es nur einmal lesen kann.“
Und jetzt die letzte der fünf Schnüre. Kennen Sie sie noch? „Geh weiter“! Bleib nicht stehen und gib dich nicht zufrieden mit dem, was bis heute aus deinem Leben geworden ist. Lass dich durch die Texte und Lieder dieser Feier zu neuen Schritten provozieren, und geh, ermutigt und gestärkt in dieses neue Jahr. Geh weiter – und lass dich nicht durch Misserfolge entmutigen, und wage – wie die Jüngerinnen und Jünger Jesu – immer wieder einen neuen Aufbruch. Wer immer nur ängstlich fragt: „Was könnte passieren, wenn ich dieses oder jenes versuche“, der oder die lähmt sich selbst und kommt nicht von der Stelle. Der evangelische Theologe Jürgen Moltmann hat diesbezüglich einmal treffend formuliert: „Christen haben nicht einen Standpunkt, den sie verteidigen müssen, sondern einen Weg, den sie gehen müssen.“
Schauen wir zurück auf den Roman von Roland Breitenbach. Da führt er aus: Petrus II., der übernächste Papst aus unserem Roman, ist überwältigt vom herzlichen Empfang in Lima und kommt erst spät abends in die Klosterzelle, in der er übernachtet. „Wie eine tiefe Weisheit erfüllt ihn die fünf Worte: Geh in dich – komm heraus – sieh nach vorne – halt an – geh weiter! Sie verbanden sich mit seinem Atem und ließen ihn bald tief und fest einschlafen.
Das wünsche ich auch uns an diesem ersten Tag des Jahres 2013: dass sich diese fünf Worte mit unserem Atem verbinden, dass sie uns in Fleisch und Blut übergehen und unseren Lebensrhythmus prägen. Der Stock mit den fünf Schnüren – vielleicht wird er zum Zeichen für unseren Weg in die kommenden Wochen und Monate, und hoffentlich wird er zum Zeichen für den Weg unserer Kirche auf dieser neuen Etappe in diesem dritten Jahrtausend. Amen.  

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Erstellt am: 01.01.2013 10:46 Uhr

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