L I: Jer 1, 4-5.17-19 / Ev: Lk 4, 21-30
Schwestern und Brüder!
Erwartungen prägen mehr oder weniger bewusst unser Leben und auch unsere menschlichen Begegnungen. Da erwarten Eltern etwas von ihren Kindern – und anders herum. Arbeitnehmer haben Erwartungen an ihren Arbeitgeber und der hat natürlich seinerseits Erwartungen an die Mitarbeiterinnern und Mitarbeiter. Junge Paare, die sich für einen gemeinsamen Weg entschließen, haben gegenseitige Erwartungen, wie ihre Zukunft aussehen soll und was jedes von ihnen dazu beitragen kann. Aber Erwartungen werden – wie jetzt gehört – nicht nur von Mitmenschen an uns herangetragen – nein, wir haben auch Erwartungen an uns selbst. Dahinter stehen z.B. bestimmte Bilder, die ich mir von anderen, aber eben auch von mir selbst mache. Stimmen dann diese, meine Bilder und Erwartungen mit denen meiner Mitmenschen überein, dann ist alles ok. Aber wehe, solche Erwartungen werden enttäuscht oder nicht erfüllt, dann kommt es zum Konflikt und die Gefahr ist groß, die anderen oder manchmal auch sich selbst in eine Schublade zu stecken und sich und andere damit einzuengen. Genau diese menschliche Grunderfahrung steckt auch im heutigen Evangelium:
Hier wird noch einmal die brenzlige Situation in der Synagoge von Nazareth, der Heimatstadt Jesu, angesprochen, deren Anfang wir am letzten Sonntag im Evangelium bereits gehört haben. Heute nun erfahren wir die Reaktion der Menschen auf diese, seine Worte. Und wenn man nun diese Reaktion der Menschen betrachtet, dann könnten moderne Überschriften über diese Verse durchaus lauten: „Falsche Erwartungen“ oder auch „Einer gegen alle“. Doch ich denke, wir sollten jetzt die Menschen von damals nicht vorschnell verurteilen, sondern einfach mal den Versuch machen, uns in ihre Lage zu versetzen. So wie sie damals, sind ja auch wir heute im „Bethaus“ versammelt, um Gott zu loben und sein Wort zu hören. Auch heute ist Jesus da, als ein Mensch mitten unter uns – z.B. in Ihrer Person oder der Ihrigen… Wir würden Sie nun bitten, als Lektor zu fungieren und die heute vorgesehene Stelle aus der Heiligen Schrift vorzulesen. Sie tun dies und lesen uns einen Text vor, den wir alle schon oft gehört haben:
„Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; den Gefangenen die Entlassung und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ Soweit so gut. Aber dann schließt unser Lektor Jesus das Buch, sagt nicht: „Wort Gottes mitten unter uns“, sondern schaut uns alle der Reihe nach an und sagt: „Heute hat sich dieses Schriftwort erfüllt. Heute, hier und jetzt – mit mir – fängt das Reich Gottes an.“ Ja wie, um Himmels Willen, meinen Sie wohl, würden wir da reagieren?
Mit Verlaub: Die einen würden wohl eher mitleidig den Kopf schütteln nach dem Motto: Geht’s noch? Hat der oder die noch alle Tassen im Schrank? Andere wären vielleicht empört und würden unserem Lektor/unserer Lektorin Blasphemie unterstellen und zur Kirche hinausjagen. Und die, die sich einfach mal auf ihn einließen? Die suchten aber wohl trotzdem, ähnlich wie die Menschen damals in Nazareth, nach Beweisen für diesen Anspruch. Ja, ich glaube, auch wir bräuchten sichtbare Zeichen, um das, was da behauptet wird, tatsächlich glauben zu können. Oder hat von Ihnen noch niemand den Gedanken gehabt, dass es manchmal einfacher wäre mit dem Glauben, wenn es auch heute solche Wunder gäbe, wie damals? Und deshalb höre ich schon, wie auch heute manche diesen Jesus dann auffordern würden: „Wirk auch bei uns so ein Wunder wie damals. Zeig uns allen, was du tatsächlich kannst und was du draufhast. Rette den Krebspatienten oder den Menschen, der gerade einen Schlaganfall erlitten hat. Es gibt so viele, die auf Heilung warten, weil sie krank sind an Leib und Seele.“ Andere denken vielleicht eher an die vielen Flüchtlinge und Menschen, die in Bürgerkriegen Gewalt erleiden. „All dem“, so sagen sie, „könntest du, Jesus, als Zeichen deiner Macht, doch ein Ende bereiten?“ Und in all diese Wünsche und Gedanken könnte ich dann noch die Aussage eines Mannes auf die Predigt am letzten Sonntag anfügen: „Damit ihr Traum von den Veränderungen in unserer Kirche, tatsächlich Wirklichkeit wird, da muss der Herrgott aber nicht nur ein Wunder geschehen lassen.“
So bleibt also festzuhalten: Wenn Jesus heute leibhaftig einer von uns wäre, dann müsste er uns gegenüber genauso Zeugnisse vorweisen, wie die Menschen in Nazareth es damals von ihm eingefordert haben. Und wahrscheinlich gäbe es auch noch einige, die ihn darüber hinaus auf seine Kirchenzugehörigkeit überprüfen würden. Manche machen das ja ganz versteckt, wie wir im Zusammenhang mit der abgewiesenen Frau in diesem Kölner Klinikum zwischenzeitlich erfahren haben; andere hingegen ganz offensiv, wenn wir an Hetzportale wie kreuz.net oder ähnliche denken. Sie schütteln den Kopf? Oh nein, Beispiele gibt es zur Genüge. Denken wir nur an die vielen Befreiungstheologen in Südamerika, die an der Seite der Armen stehen und für ihre Rechte eintreten und die deshalb in unserer Kirche immer wieder mehr als kritisch beäugt werden. Ich denke da z.B. an Erwin Kräutler, den österreichischen Bischof, der seit mehr als 30 Jahren den Menschen im Amazonasgebiet im Kampf gegen Großgrundbesitzer zur Seite steht und deshalb oft genug in den eigenen Reihen der Kirche Anfechtungen erlebt. Oder ich denke an Jaques Gaillot, den ehemaligen Bischof von Evreux, der Skandale riskiert und an Vorurteilen gerüttelt hat. Bis heute gibt er sich ganz ungezwungen mit Ausländern, Homosexuellen und Drogenabhängigen ab und geht dabei auf Menschen zu, die in der Regel nicht in, sondern außerhalb der Kirche leben und anzutreffen sind. All diesen Menschen hat er – und er tut es noch immer – die unvoreingenommene und bedingungslose Liebe Gottes genauso verkündet wie allen anderen. Damit steht er zweifellos auf dem Boden des Evangeliums, wie es Jesus in seiner Antrittsrede in Nazareth gleichfalls gepredigt hat. Nur: Er darf seit mehr als 18 Jahren nicht mehr Bischof seiner Diözese sein. Und so wie ihm ist es vielen Zeuginnen und Zeugen des Glaubens ergangen, seit es die Kirche gibt. Manche von ihnen wurden dann im Nachhinein heiliggesprochen, weil man Irrtümer und Fehler erkannt und zugegeben hat; aber leider war und ist es nicht immer so.
Hätte es Jesus also, wenn er heute hier unter uns wäre, wirklich leichter als damals? Ich mach da ein dickes Fragezeichen, denn auch heute würde er so manche Erwartungen einfach enttäuschen. Er will nicht, dass Menschen aufgrund seiner Wunder an ihn glauben, sondern er will sie mit seiner Botschaft, mit seinem Leben zur Nachfolge ermutigen. Jesus macht deutlich: Erlösung und Befreiung lässt sich nicht konsumieren wie eine Art Heilmittel in dem Sinne: „Nimm nur die richtige Pille, dann wirst du schön schlank!“ – oder – „Schluck nur genügend Vitaminpräparate, dann bleibst du gesund!“ Nein, Jesus will uns für einen anderen Weg gewinnen, einen Weg, der der Würde und der Freiheit von uns Menschen weit mehr entspricht. Er will das Vertrauen und den Glauben an ihn und seine Botschaft – und zwar mit allen Konsequenzen. Er hat uns diesen Weg gezeigt, er hat ihn uns vorgelebt. Aber ob wir bereit sind, diesen Weg mitzugehen, ihn nachzugehen, das muss jede und jeder von uns selbst entscheiden.
Für die Bewohner von Nazareth war dieser Weg eine zu große Herausforderung; sie konnten und wollten Jesus nicht glauben und nicht vertrauen. Weshalb? Vielleicht auch, weil es zu viele Konsequenzen für jede und jeden Einzelnen gehabt hätte. Da fällt mir die scherzhaft formulierte Frage ein: Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Autoreifen und einem Christen? Und die Antwort lautet: Ein Autoreifen muss mindestens 3 mm Profil haben. Scherzhaft verpackt wird damit deutlich gemacht: das Bedauern darüber, dass es zu wenige Christen mit Profil gibt; die Klage, dass viele ihren Weg nicht mutig und geradlinig gehen und die Enttäuschung, dass kaum jemand für seine christliche Überzeugung einsteht, wenn auf Widerständ gestoßen bzw. Nachteile befürchtet werden. Nur: Wenn wir die Frohe Botschaft leben wollen, dann muss das Konsequenzen haben. Und sie hat diese auch. Ich glaube nämlich, dass überall dort, wo wir der Kraft Gottes Vertrauen schenken, wir genau dieses Profil zeigen und auch heute Wunder geschehen. Dass dort, wo wir uns mit Gottvertrauen auf den Weg machen, wir Profil zeigen und heute Wunder geschehen. Und dass dort, wo wir den Schwachen und Benachteiligten mit unserem Verhalten eine Frohe Botschaft sind, wir Profil zeigen und auch heute Wunder geschehen.
Autoreifen mit Profil hinterlassen Eindrücke und Spuren, ohne Zweifel. Christen mit Profil genauso! Amen.
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Erstellt am: 03.02.2013 19:18 Uhr
