Predigt zum Erntedankfest 2012 (07.10.)

L: 2 Kor 9, 6-10 / Ev: Lk 12, 15-21
Schwestern und Brüder!

Leider Gottes ist es so mit den altvertrauten Geschichten der Bibel; der Überraschungseffekt ist raus. Das gilt auch für das Gleichnis des reichen Kornbauern, welches wir eben im Evangelium gehört haben. Deshalb möchte ich Ihren und meinen Blick heute mal auf die Lesung lenken, die wir dem Apostel Paulus verdanken und die, wie ich meine, hervorragend zum heutigen Fest passt. Dort finden wir nämlich wunderschöne Gedanken vom Säen und Ernten; Gedanken, die mich dazu inspiriert haben, Ihnen heute – an diesem Erntedankfest – mal eine ganz andere Predigt zu halten. Sie beginnt mit: „Es war einmal…“ Jetzt denken Sie sicherlich: So beginnen doch Märchen. Richtig. Nur: das, von dem ich Ihnen jetzt erzähle, das ist kein Märchen. Und trotzdem möchte ich mit genau diesen Worten beginnen.

Es war einmal zu der Zeit, als der liebe Gott noch auf der Erde wandelte. Als die Menschen wirklich noch auf Du und Du mit ihm waren. Es waren herrliche, ja paradiesische Zeiten. Oder besser gesagt: Es hätten paradiesische Zeiten sein können. Wenn nur der liebe Gott nicht so eigensinnig gewesen wäre. Anstatt sich mit Pauken und Trompeten überall schön und herrschaftlich-göttlich zu zeigen, nahm er lieber die Hintertür. Als Eltern suchte er sich so z.B. Menschen aus, die in der Gesellschaft zwar durchaus angesehen waren – schließlich hatte sein Ziehvater den ehrbaren Beruf eines Zimmermanns – aber mit seiner leiblichen Mutter, da verhielt es sich schon anders. Ein junges Ding, über dessen Verlobung mit dem älteren Herrn sich so manche ihr Mundwerk zerriss bzw. mancher ganz neidisch wurde und deshalb wohl auch stänkerte. Als die junge Frau dann auch noch, ohne das Zutun ihres künftigen Mannes, frühzeitig schwanger wurde – übrigens ohne Trauschein und vorheriges offizielles Zusammenleben –, da war der Tratsch natürlich vollends perfekt. Und dann erst seine Geburt: sie fand statt in einem heruntergekommenen Schafstall, in dem er sich von Hirten und dubiosen Magiern aus dem Osten verehren ließ. Aber so war der liebe Gott eben. Für unsere Begriffe und Empfindungen, so denke ich, vielleicht manchmal ein wenig sonderbar. Aber so war das damals und deshalb ging es auch so weiter.
Er zog durch‘s Land, nahm sich Zeit für die Menschen und säte seine Botschaft aus. „Ihr sucht nach Gott? In mir ist er doch schon für euch da. Mitten unter euch ist der, den ihr erwartet und erhofft. Ich bin es. Ich bin die Liebe, der Frieden, die Heilung, die Wahrheit, der Weg zum Leben in Fülle. Seht her und lasst es mich erklären und euch zeigen.“ Und so tat er es ein paar Jahre lang und seine Saat ging auf. Sie ging auf bei Zöllnern und Sündern, bei Huren und anderen Verachteten der Gesellschaft, bei den Fischern oder auch den armen Tagelöhnern, bei Aussätzigen und sogar dem ein und anderen römischen Hauptmann. Nur – allen gefiel das nicht, was der liebende Gott da so säte, und manch einer hielt den, in dessen Gestalt Gott sich den Menschen gezeigt hat, für einen Volksschädling oder sogar den Satan persönlich. Deshalb musste er weg. Deshalb schlugen sie ihn ans Kreuz – aber das ist eine andere Geschichte.
Auf alle Fälle: So war es einmal. Damals. Grob gesagt 2000 Jahre ist das nun her. Manch einer sagt: Wenn er doch noch da wäre – oder wenn er wenigstens mal wieder käme, um ein bisschen von seiner Botschaft auszusähen. Aber heute säen vielmehr das Fernsehen und das Internet, das dem Menschen unverzichtbar geworden scheint. Da wird uns suggeriert: Freu dich am Schaden und an der Dummheit deines Nächsten. Heute sät die Wirtschaft, dass die Welt eine Torte ist und das Leben nichts anderes als ein Wettkampf um die dicksten Stücke. Heute sähen die Banken, dass man sich mit Krediten doch alles leisten kann und wer den Kredit nicht mehr bedienen kann, der fällt in ein Loch und die Banken werden mit Steuergeldern gestützt und geben neue Kredite. Für den armen Nächsten, für den, der bei all dem auf der Strecke bleibt, da haben wir kein Mitgefühl, sondern dafür gibt’s die Kirchen, die Caritas und das Rote Kreuz.
Ach, wenn es doch wieder einmal so wäre, dass der liebe Gott über die Erde ginge…
Und dann waren es die Tage im September und Oktober 1989, da ging er einmal durch Leipzig und verbarg sich unter den Vielen in der Nicolaikirche. Er säte Mut und den Willen zum Frieden in die Herzen vieler Menschen und er ließ alle, die vorher müde und zermürbt, matt und mutlos geworden waren mit dem Ruf erwachen „wir sind das Volk“. Und die Saat ging auf und wuchs zu einem Zug mit Kerzen um den ganzen Innenstadtring. Weil der liebe Gott, ich hab es schon einmal gesagt, manchmal recht sonderbar ist, geschah dies montags und nicht sonntags; was doch naheliegend wäre, weil da ja ihm zu Ehren die Glocken geläutet und Gottesdienste gefeiert werden. Aber nein, er entschied sich für den Montag. Er säte auch Zweifel in die Herzen der Uniformträger und der alten Parteisoldaten. Zweifel an den Dogmen der Partei und stattdessen Gefühle von Mitleid und Liebe: „Sollen wir wirklich auf das eigene Volk schießen? Deutsche auf Deutsche? Arbeiter und Bauern auf Bauern und Arbeiter?“ So säte der liebe Gott, und seine Saat ging auf. Das Dogma wich dem Mitgefühl, die Angst dem Mut, die Zweifel wichen der Hoffnung und es blieb Frieden.
Ist der liebe Gott also doch nicht tot? War also die andere Geschichte mit dem Kreuz doch nicht sein Ende? Muss man denn noch immer mit ihm rechnen? Sät er immer wieder – und immer wieder neu? Ich würde sagen: Ja, man muss wohl mit ihm rechnen. Aber eben nicht so, dass er immer nur die Vordertüre benutzen würde, so dass wir es gleich erkennen. Nein, ein klein wenig müssen wir schon wach und aufmerksam sein – und empfind
sam sowieso. Denn Gott ist die Liebe.
So erging es auch dem Bauern. Sein Name ist nicht wichtig, denn er kann überall im deutschsprachigen Raum seinen Hof haben. Als er den Raps im Frühling besah, da dachte er erstmals daran, ihn zur Biodieselverarbeitung zu verkaufen. Schließlich hatte er gesehen, wie andere Bauern das auch mit Mais und Zuckerrohr machen. So überschlug er für sich, was der Raps wohl bringen würde. Sowohl an Ertrag, als auch an Euro. Vielleicht wäre ja ein wenig Düngereinsatz sinnvoll und lohnenswert – obwohl, das muss gut überlegt sein, denn das Zeug kostet ja auch was. So saß er also auf seinem Traktor und wie er so alles überschlug und auch noch gleich daran dachte, dass man ja die Unterstellpreise für das Winterlager der Wohnwagen in seiner großen Scheune ebenfalls erhöhen könnte… da begann der liebe Gott seine Botschaft in die Augen und die Seele des Mannes zu säen. Auf einmal sah der Bauer die vielen gelben Rapsblüten, die er auch vorher schon wahrgenommen hatte, sicherlich. Aber er sah sie auf einmal anders. Und er roch die Luft, die nur im Frühjahr genau so riecht. Er hörte wie etwas in der Luft sang; ach Gott – eine Lerche, dachte er, und wie schön sie singt. Dann stellte er den Traktor aus, denn das laute Geräusch des Dieselmotors störte ihn jetzt doch ganz vehement. Er spürte auf einmal, wie in seiner Seele ein Gefühl von Schönheit und Frieden aufkam und es wurde ein klein wenig feucht in seinen Augen. All die Zahlen und Umsätze, all die Gedanken an Ertrag und Gewinn waren auf einmal wie weggepustet aus seinem Kopf. So hat ihn der liebe Gott berührt und die Saat ging auf.  
Als seine Frau ihn zur Mittagszeit fragte, was er denn am Morgen so alles auf dem Feld geschafft habe und ob zwischenzeitlich die Rechnungen für die Wohnwagenbesitzer schon geschrieben wären, da hörte er gar nicht richtig hin. Und als seine Frau ihm dann auch noch sagte, dass der von der Kirchenverwaltung angerufen hätte, dass die Pacht für die Streuobstwiesen noch nicht bezahlt sei, da sagte er nur: „Psst! Das will ich jetzt gar nicht wissen. Es war so schön heute Morgen auf dem Land, dass ich Dich fragen möchte: Weißt Du eigentlich, wie schön wir es haben? Ich würde gerne unsere Freunde und die Nachbarn einladen und so ein richtig schönes Fest mit einer Weinbowle feiern…“ Dann nahm er seine Frau in den Arm und gab ihr einen ganz zärtlichen Kuss. Die Saat geht auf. Und damit endet meine Geschichte. Oder doch noch nicht?
Wir feiern heute Erntedank. Wir sagen danke für alles, was wir zum Leben haben. Essen und Trinken, Frucht und Obst. Und wir sagen auch danke für all das, was unsere Seele zum Leben nötig hat: den Frieden, das Lieben und geliebt werden, das Fühlen und mitfühlen. Und bei all dem wird mir bewusst: Der liebe Gott, der früher über die Erde wandelte, der wandelt noch immer über diesen Erdball. Und da, wo er vorbeikommt, da wird es immer ein wenig paradiesisch. Nur sollten wir nie vergessen, dass er bei all dem gerne die Hinter- und nicht die Vordertüre nimmt. Amen.

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Erstellt am: 07.10.2012 19:17 Uhr

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