L I: Weis 7, 7-11 / Ev: Mk 10, 17-30
Schwestern und Brüder!
Frei nach dem Sprichwort: „Geld verdirbt den Charakter“, verdirbt Geld – nach dem heutigen Evangelium – anscheinend auch die Nachfolge Jesu. So könnten wir jetzt schnell und ganz salopp ein Fazit aus dem eben Gehörten ziehen. Aber ist es wirklich so einfach? Haben wir damit das heutige Evangelium und das, was uns Markus damit deutlich machen will, wirklich schon genügend erfasst und gewürdigt? Ich meine eben nicht. Und deshalb möchte ich mich mit Ihnen heute auf den Weg machen, dieses Evangelium mal aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten. Wer weiß, vielleicht kommen uns ja ganz neue, bisher noch nie gedachte Erkenntnisse.
Das Musical „Jesus Christ, Superstar“ ist sicherlich den meisten unter uns ein Begriff. Mit jungen Erwachsenen der Kolpingsfamilie habe ich dieses Musical in der Filmversion mal angeschaut, wobei anschließend eine junge Frau und Mutter äußerte: „Also dieser Jesus ist mir doch viel zu perfekt! Der macht immer alles richtig; macht nie einen Fehler und nichts geht schief bei ihm. Aber so ist das wohl, wenn man eben doch mehr Gott als Mensch ist.“ Anscheinend hat sich bei dieser Frau im Laufe der Jahre ein Jesusbild herauskristallisiert, mit dem sie nicht mehr allzu viel anfangen konnte: Angefangen von der jungfräulichen Empfängnis bis hin zu dogmatischen Lehrsätzen wie: „…in allem uns gleich, außer der Sünde“, konnte sie den Menschen Jesus von Nazareth nicht mehr entdecken.
Ich weiß noch, wie dieses Gespräch Fragen aufwarf. Fragen, die auch mich bewegt haben: Was für ein Jesusbild trage ich in mir? Ist es mehr der Mensch Jesus von Nazareth oder mehr der Gottessohn Jesus Christus, den ich in ihm sehe? Genau darauf ist für mich dieses heutige Evangelium auch eine mehr als passende frohe Botschaft, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Sie birgt nämlich eine verborgene und doch sehr sympathische Seite an Jesus – eine Seite voll Regungen und Gefühlen.
Wenn wir in die Evangelien schauen, dann werden da Gefühlsregungen Jesu nur sehr zurückhaltend und äußerst sporadisch geschildert. Markus tut das z.B. nur ein einziges Mal – nämlich genau hier in der Begegnung Jesu mit dem reichen jungen Mann. Als dieser nach seiner ersten Frage und der Antwort Jesu nicht locker lässt und sagt: „Meister, alle Gebote habe ich von Jugend an befolgt“, heißt es weiter: „Da sah Jesus ihn an und er gewann ihn lieb!“ An keiner anderen Stelle in den Evangelien finden wir eine derartige Aussage über Jesus wieder: „Da gewann er ihn lieb!“
Doch dann wird diese Zuneigung, die da in Jesus aufkeimt, enttäuscht: Der junge Mann geht weg. Eine persönliche Begegnung, die misslingt, die auch für uns völlig unerwartet, zu keinem guten Ende führt. Das sind wir bei Jesus eigentlich nicht gewohnt und man darf sich schon fragen: Warum erzählt uns das Markus überhaupt? Warum hat er es nicht einfach weggelassen, wie viele andere Begegnungen auch, die wir nicht kennen, weil sie nicht überliefert worden sind? Vielleicht weil Jesus eben doch nicht über den Dingen steht? Gerade darin unterscheidet er sich ja ganz gewaltig von anderen religiösen Gottgestalten, wie z.B. Buddha. Jesus kann seiner Enttäuschung freien Lauf lassen. Auch wenn von seinem Empfinden nichts erzählt wird; aber man spürt doch deutlich, wie überzogen und barsch er reagiert – und gleichzeitig auch, wie menschlich. Eine enttäuschte Freundschaft und Zuneigung bricht sich hier Bahn: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt!“ Selbst seine Jünger reagieren fassungslos, als sie Jesus so reden hören. Und was hat dieser Satz einer enttäuschten Freundschaft nicht erst uns Christen zu kauen und zu verdauen gegeben. Bis hin zu Philosophen wie Hegel haben alle nach Wegen gesucht, auf denen eben ein Kamel durch ein Nadelöhr finden könnte, ohne
dass man das vernünftige Recht auf Eigentum aufzugeben bräuchte.
Die Schwierigkeiten liegen meines Erachtens vor allem darin, dass man zum
einen den Kontext des Evangeliums, in dem Jesus dieses Bildwort propagiert, viel zu wenig oder gar nicht beachtet – und zum anderen, dass man dieses Wort Jesu, den eigenen Besitz preiszugeben, quasi zur Voraussetzung für den Gewinn des ewigen Lebens erklärt. Genau deshalb aber lohnt es sich sehr, die Erzählung über diese Begegnung von Jesus und dem reichen jungen Mann mal etwas genauer anzuschauen.
„Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“, so lautet die Frage, die den jungen Mann umtreibt. Da kommt also einer, der sich existentielle Fragen zu stellen vermag und der darauf Antworten sucht. Und mit dieser, für ihn so bedeutsamen Frage, wendet er sich an Jesus, den er mit „Guter Meister“ anredet. Wer, wenn nicht dieser gute Meister, könnte ihm darauf eine sinnige Antwort geben. Und die bekommt er dann auch. Jesus sagt ihm: „Niemand ist gut, nur einer: Gott!“ Deshalb, so macht er damit deutlich, ist auch nur von ihm – sprich von Gott – eine Antwort darauf zu bekommen, was man an Gutem zu tun hat, um das ewige Leben zu gewinnen. Also gibt er dem jungen Mann zu verstehen, dass ihm ja der Wille Gottes nicht unbekannt sei. „Du kennst doch die Gebote…“
An dieser Stelle hätte das Gespräch durchaus zu Ende sein können, denn die Frage ist beantwortet. Dass es aber eben doch nicht zu Ende ist, sondern jetzt erst richtig losgeht, das liegt nicht an Jesus, sondern das liegt an dem jungen Mann selbst. Durch das, was er von sich gibt, entwickelt das Gespräch eine ganz eigene Dynamik; denn er sagt ja nichts Geringeres als: „Meister, all diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt!“ Wahrscheinlich hat auch Jesus da aufgehorcht, denn wer bitte schön, kann das von sich behaupten. Seine Jünger nicht – zumindest ist uns diesbezüglich nichts überliefert – und wir doch schon gar nicht. Mit dieser Aussage des jungen Mannes kommt Bewegung auf und vor allem: es kommt etwas Neues ins Spiel. Denn mit diesem, seinem wohl überaus ehrlichen Wort, da verändert der junge Mann den Blick Jesu und seine Beziehung zu ihm. Denn es heißt: „Jesus aber sah ihn an!“ Dieses „sah ihn an“ verzögert für mich den Wortwechsel des Gesprächs; ja es setzt sogar eine unerwartete Unterbrechung ein, die gleichzeitig den Anfang von etwas Neuem beinhaltet. Was da jetzt geschieht, das kann man beim Evangelisten Lukas im Gleichnis vom barmherzigen Samariter nachempfinden. Erinnern Sie sich? Da kommen zwei Männer, sehen den unter die Räuber Gefallenen und gehen achtlos an ihm vorbei. Der Samariter aber, so heißt es, „sah ihn“; ja, „er sah ihn an und es ward ihm weh ums Herz.“ Der Samariter sah anders als die anderen und mit seinem Schauen wurde er dem Verletzten ein Nächster; mit seinem Schauen begann die Zuneigung.
Man könnte also sagen: Was Jesus dort im Gleichnis erzählt, das lebt er hier selbst. Mit dem Schauen auf diesen jungen Mann, da beginnt die Zuneigung Jesu zu ihm. Und es heißt: „Er sah ihn an und gewann ihn lieb.“ Jesus sieht, dass das Leben des reichen Mannes mit der Erfüllung der Gebote und der Verheißung des ewigen Lebens noch nicht gefüllt ist. In diesem Leben gibt es noch Raum für mehr – deshalb: „Verkaufe was du hast … dann komm und folge mir nach.“ Jesus weist ihm also den Weg zu einem erfüllten Leben, an dessen Ende der Himmel selbstverständlich nicht fehlen würde. Nur – diese Fülle steht mit der ersten Frage nach dem ewigen Leben überhaupt nicht mehr in einem unmittelbaren Zusammenhang. Was Jesus ihm hier bietet, ist vielmehr eine neue Lebensmöglichkeit: nämlich sein Jünger zu werden. Somit aber wäre der Verkauf seines Vermögens auch kein Verlust für ihn, sondern ein Gewinn.
Allerdings kann der junge Mann dieser Einladung nicht folgen; er kann auf die Sympathie, die in Jesus für ihn ausgebrochen ist, nicht antworten. Wohlgemerkt: sein Reichtum hindert ihn keinesfalls, nach den Geboten Gottes zu leben, aber er macht ihn unfähig, ein Freund und Jünger Jesu zu werden; hindert ihn daran, in einen neuen Lebensraum zu treten. So konnte er die einmalige Chance nicht ergreifen, ein Leben mit Jesus zu leben, obwohl er in seinem Herzen einer war, dem es doch allem Anschein nach zu wenig ist, nur nach den Geboten Gottes zu leben. Den entscheidenden Schritt wollte oder konnte er aber nicht wagen. Eine mehr als misslungene Begegnung für Jesus.
Wie tief enttäuscht dieser darüber ist, zeigt seine Reaktion: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr…“ Der, den er lieb gewonnen hat, schlägt die Einladung aus; den, den er gewinnen wollte, hat die Chance ausgelassen. Und trotzdem ist dieses ehrliche Werben und dieses tiefe Enttäuscht sein in all seiner Tragik auch eine frohe Botschaft. Nicht zuletzt deshalb, und da sind wir jetzt wieder bei der jungen Frau und Mutter zu Beginn meiner Gedanken, weil der, den wir als Sohn Gottes, als Gott selbst erkennen, eben auch ganz und gar wahrer Mensch ist. In dieser Begegnung mit dem jungen Mann, da begegnet uns ein Jesus, der zu Gefühlen und Empfindungen fähig ist, die uns allen nicht fremd sind, und die einfach nur menschlich sind. Jesus war Mensch und nicht Übermensch; er war und ist Gottes Sohn und nicht Superstar. Aber als Sohn Gottes will er uns auch heute ermutigen, die Chance zu ergreifen, das, woran es uns oft mangelt, in Fülle verwandeln zu lassen – durch ihn. Amen.
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Erstellt am: 15.10.2012 17:55 Uhr
